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Gesundheit: Der Besuchermagnet ist eine Teilruine

Das Gebäude mit der Prunkfassade leidet immer noch unter Kriegsschäden. Auch die Forschungsgelder sind zusammengestrichen wordenUwe Schlicht Das Naturkundemuseum in Berlin gehört zu den fünf bedeutendsten Museen dieser Art in der Welt.

Das Gebäude mit der Prunkfassade leidet immer noch unter Kriegsschäden. Auch die Forschungsgelder sind zusammengestrichen wordenUwe Schlicht

Das Naturkundemuseum in Berlin gehört zu den fünf bedeutendsten Museen dieser Art in der Welt. Es kann sich mit New York, London, Paris und Wien vergleichen. Aber in einem Punkt ist es einzigartig: Kein Naturkundemuseum von Weltniveau ist baulich so heruntergekommen wie das in Berlin. Noch immer sind die Kriegsschäden unübersehbar. Hinter der Prunkfassade aus wilhelminischer Zeit - die Einweihung fand 1889 in Anwesenheit des Kaisers statt - und dem großen Austellungsraum mit den Sauriern beginnt die Nachkriegszeit. Ein Seitenflügel des Museums ist immer noch eine Ruine. Nur die Außenmauern stehen, sonst bestimmen leere Fensterhöhlen und geborstene Stockwerke das Bild. Aus den Steinen grünen junge Birkenbäume.

Selbst im Jahr 2000 muss sich das Naturkundemuseum in einem Teilbereich mit einem provisorischen Dach aus der Nachkriegszeit begnügen. Seitdem es durchregnet, wurde das Dach mit einer Kunststofffolie verschweißt. Sie hält vielleicht noch drei Jahre. Viele Fenster wurden nach 1945 nur povisorisch zugemauert. Man sieht heute noch die Eile, mit der das geschah. Lücken im Mauerwerk, durch die der Wind pfeift und schiefe Ziegelreihen sind Zeugnisse eines Provisoriums, das inzwischen 55 Jahre dauert. 40 Fenster sind auf diese Weise zugemauert worden. Würde man heute die Ziegel herausreißen und normale Fenster einbauen, wären erhebliche Kosten fällig. Denn es handelt sich in dem alten Bau nicht um Normfenster, die man in Serie herstellen könnte. Jeder Rahmen muss einzeln vermessen und gesondert konstruiert werden.

Seit Jahren regnet es durch

Die Folge dieser Provisorien: Das Naturkundemuseum war einmal nach dem Prinzip gebaut worden, möglichst viele Austellungsobjekte in natürlichem Licht zu präsentieren. Jetzt liegen viele Räume im Halbdunkel. Die Provisorien verhindern, dass große Sammlungen von Reptilien, Fellen, Vögeln, Insekten und Säugetieren oder Mineralien für den allgemeinen Publikumsverkehr geöffnet werden. Denn im vierten Obergeschoss des Museums hat es seit Jahrzehnten durchgeregnet. Die Folge: Nicht nur die Farbe blättert von den Deckengewölben und dunkle Flecken werden blosgelegt - ganze Deckenteile sind im Laufe der Jahre herabgestürzt und können sich jederzeit weiter lösen. Daher können lediglich Wissenschaftler in die Räume gelassen werden, wenn sie zur Bestimmung von Tierarten auf die Mustersammlungen des Museums zurückgreifen. Nur während der langen Nacht der Museen werden Gruppen von nicht mehr als 20 Besuchern unter Aufsicht in die Magazinräume geführt. Dort konnten sie im August 1999 hautnah erleben, welche Folgen es hat, wenn der Staat nicht die nötigen Sanierungskosten aufbringen will oder kann. 28 bis 30 Grad an heißen Sommertagen sind in den Magazinräumen keine Seltenheit. Das schadet den Sammlungen und fördert die Verdunstung des Präparieralkohols in den großen Glasbehältern.

Besonders schädlich sind diese Temperaturen für die seltene Sammlung alter Felle, die heute noch für die DNS-Erbgutanalyse unentbehrlich sind. Die Fellsammlung dürfte unter extremen Temperaturschwankungen und Insektenbefall kaum noch die nächsten fünf Jahre überstehen. Das schätzt jedenfalls der Direktor des Naturkundemuseums, Hans-Peter Schultze.

Professor Schultze ist verbittert, weil das Naturkundemuseum eigentlich schon dreimal saniert und modernisiert sein sollte - zweimal in der DDR und das dritte Mal nach der Wiedervereinigung. Inzwischen sind die Sanierungskosten von 400 Millionen Mark auf 240 Millionen Mark heruntergerechnet worden. Allein der Aufbau der Kriegsruine im Seitenflügel würde 46 Millionen kosten. Beim Wiederaufbau soll dieser Teil des Naturkundemuseums klimatisiert werden, um dort die gefährdete Fellsammlung unterzubringen.

Auch in diesem Jahr dürfte nicht mit dem Wiederaufbau der Kriegsruine begonnen werden. Jedenfalls ist in der Berliner Investitionsplanung für die nächsten Jahre das Naturkundemuseum wieder einmal ganz nach hinten gerutscht. Es sei denn, der Berliner Senat entscheidet am 9. Mai anders und würde in der anschließenden Sitzung des Wissenschaftsrats vom 10. bis 12 Mai auch Bundesgelder für die Renovierung bekommen. Der Wissenschaftsrat ist aufgeschlossen, hat er doch das Naturkundemuseum wegen seiner Forschungsleitungen und herausragenden Bedeutung außerordentlich positiv bewertet. Bleibt der Berliner Senat jedoch bei der vorgesehenen Streichung von Investitionsmitteln für den Hochschulbau, wird das Museum in den nächsten zwei Jahren kaum noch eine Chance bekommen. Denn dann dürfte es um eine Abwägung gehen, bei der unter den vielen dringenden Bauvorhaben vor allem der weitere Ausbau der Charité und des Wissenschaftsparks in Adlershof Vorrang hätten.

Weiter auf der Warteliste

Dem Naturkundemuseum werden nicht nur die notwendigen Millionen für Sanierung und Wiederaufbau versagt, auch die Gelder für die Forschung sind zusammengestrichen worden. Das ist eine Folge von immer wieder verschobenen Entscheidungen der Politiker. Eigentlich sollte das Naturkundemuseum schon längst als Institut der Leibniz-Gemeinschaft (ehemalige Blaue Liste) eine Bund-Länder-Förderung erhalten, und zwar sowohl für den Wiederaufbau als auch für den laufenden Betrieb. Da aber in die Bund-Länder-Förderung der Leibniz-Gemeinschaft neue Forschungsinstitute nur aufgenommen werden, wenn andere negativ beurteilte Institute dafür weichen, zieht sich die Entscheidung hin. Berlin hat der Aufnahme des Elektronensynchrotronspeicherrings Bessy II in die Leibniz-Gemeinschaft den Vorzug gegeben, und das Naturkundemuseum muss weiter warten.

Dadurch bleibt es auf absehbare Zeit ein Zentralinstitut der Humboldt-Universität. Wenn die Universität enorme Einsparsummen zu verkraften hat, wird auch das Naturkundemuseum herangezogen. Diese Katstrophenpolitik lässt sich in Zahlen belegen: Der Forschungsetat wurde von 241 000 Mark im Jahr 1999 auf 95 000 Mark in diesem Jahr huntergefahren. Für die Spezialbibliothek stehen nicht mehr 145 000 Mark zur Verfügung, sondern nur noch 75 000 Mark. Die Wissenschaftler treibt jetzt die Sorge um, ob sie überhaupt noch die Grundausstattung sichern können, die für eine erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln für die Forschung vorausgesetzt wird. "Heute müssen wir bereits Geräte wie das Elektronenmikroskop abschalten, weil es 32 000 Mark an Wartungskosten verursacht", sagt Direktor Schultze.

Professor Schultze ist 1993 aus Kansas in den USA an das Naturkundemuseum gekommen. "Ich bin 1993 mit vielen Versprechungen aus den USA an die Humboldt-Universität gelockt worden. Zu den Versprechungen gehörten die Renovierung des Naturkundemuseums und der Aufbau der Kriegsruine. Außerdem wurden uns Labors versprochen. Die Labors sind aus Haushaltsmitteln der Humboldt-Universität gebaut worden. Alle anderen Investitionen sind nicht erfolgt. Ich wollte in das Zentrum der Wissenschaften nach Berlin kommen. Unter den heutigen Bedingungen würde ich mit Sicherheit nicht mehr nach Berlin gehen."

Das Naturkundemuseum hat drei bedeutende Forschungsabteilungen für Zoologie, Paläontologie und Mineralogie. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs unterhält das Museum eines der größten Graduiertenkollegs der Humboldt-Universität, das sich den erdgeschichtlichen Einbrüchen widmet - also dem Klimawandel und damit dem Artenwandel. Solche Katastrophen wie das Aussterben der Saurier in der Tierwelt hat es in der Erdgeschichte mehrfach gegeben. Diese Einschnitte werden unter dem Fachbegriff "Evolutive Transformationen und Faunenschnitte" erforscht.

Zur Zeit bereitet das Naturkundemuseum eine Expedition nach Tansania vor, um mit der Saurierforschung dort wieder anzuknüpfen, wo in den Jahren von 1908 bis 1913 im damaligen Deutsch-Ostafrika die Saurier gefunden wurden, die seitdem in der großen Halle des Naturkundemuseums stehen. Viele Kinder und Schüler, die mit ihren Eltern und Klassen das Naturkundemuseum besuchen - 213 000 sind es im Jahr -, halten die Saurier für die Attraktion.

Uwe Schlicht

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