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Gesundheit: Der Charité eine Chance

Für eine handlungsfähige Hochschulmedizin: Aufruf führender Wissenschaftler

Berlin gehört mit seiner traditionsreichen Universitätsmedizin zu den herausragenden Wissenschaftsstandorten in Deutschland. Mit fast 100 Millionen Euro eingeworbener Drittmittel belegt die Charité einen Spitzenplatz. 15000 Beschäftigte, darunter über 4000 Wissenschaftler und Ärzte und ein Jahresumsatz von über einer Milliarde Euro zeigen das ökonomische Potenzial der Charité, das sie in Verbindung mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor für die gesamte Region BerlinBrandenburg macht.

Nicht zu verkennen ist die schwierige finanzielle Situation, in der sich die Universitätsmedizin in Deutschland – auch in Berlin – befindet. Neben der gravierenden Absenkung des jährlichen Zuschusses für Forschung und Lehre in einer Höhe von 98 Millionen Euro bis zum Jahre 2010 in Berlin ist die Universitätsmedizin bundesweit aufgrund der Umstellung der Vergütung stationärer Krankenhausleistungen auf Fallpauschalen von weiteren Einnahmeausfällen bedroht. Die klinische Forschung in Deutschland muss besser werden, dafür braucht sie gut aufgestellte universitätsmedizinische Einrichtungen wie die Charité.

Diesen und anderen Herausforderungen versuchen die Länder mit unterschiedlichen Reformansätzen zu begegnen. In Berlin wurde 2003 der Entschluss gefasst, die bis dahin getrennten Universitätsklinika und Medizinischen Fakultäten zur „Charité – Universitätsmedizin Berlin“ zu vereinigen. Als Ziel des hierfür geschaffenen „Vorschaltgesetzes“ gilt es, die wissenschaftliche und medizinische Exzellenz sowie wirtschaftliche Krankenversorgung und den effektiven Einsatz der Mittel für Lehre und Forschung zu sichern.

Der am 23. August 2005 veröffentlichte Entwurf für das abschließende „Berliner Universitätsmedizingesetz“ ist jedoch kein geeigneter Schritt, dieses Ziel zu erreichen. Statt – wie schon vom Wissenschaftsrat gefordert – handlungsfähige, schlanke Strukturen für die Charité festzulegen, werden vorhandene Gremien noch ausgeweitet und zusätzlich neue geschaffen: Anstatt eine Verschlankung der ohnehin schon ausgeprägten Organstruktur mit doppelten Leitungsgremien an der Spitze der Charité vorzunehmen, soll die Zahl der Organe aufgestockt werden. Schon die im Vorschaltgesetz verankerten sechs Organe erfordern einen enorm hohen Abstimmungsbedarf. Als siebtes „Organ“ soll nun die Zentrumsleitung hinzukommen. Da die Charité beabsichtigt, eine ganze Reihe von Zentren einzurichten – zurzeit sollen es 17 sein –, bedeutet dies tatsächlich, dass die Charité dann 23 Organe hätte. Wir können uns keine Universitätsmedizin vorstellen, die mit 23 Organen effektiv arbeiten kann.

Anstatt die innere Organisation der Charité in der Satzung zu regeln, werden detaillierte Festlegungen für die neu einzurichtenden Zentren per Gesetz getroffen. Zentren aber müssen immer einen Mehrwert schaffen und sich flexibel den jeweiligen Bedingungen anpassen. Deswegen sind Festschreibungen auf Gesetzesebene kontraproduktiv. Anstatt die Vorgabe des Vorschaltgesetzes zur Vereinigung der Personalvertretungen zu erfüllen, sollen nun innerhalb der Charité zwei neue Personalvertretungen geschaffen werden, die Wissenschaft und Krankenversorgung voneinander trennen.

Anstatt die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsrats zu reduzieren oder zumindest nicht weiter zu erhöhen, ist eine Erweiterung um drei Beschäftigte aus der Charité vorgesehen. Es ist zu befürchten, dass der Aufsichtsrat schwerfälliger wird und die Belange der Wissenschaft in den Hintergrund treten.

Anstatt den Vorstand zu stärken und hier die nötige Kompetenz zu bündeln, wird dem Fakultätsrat in wichtigen Punkten faktisch ein Vetorecht eingeräumt. Dies betrifft die Vereinbarungen mit dem Land über die Höhe des Staatszuschusses und Strukturentscheidungen. So werden die Kompetenzen des Vorstands beschnitten und Entscheidungen können sich verzögern. Für die Wahrung der Belange von Forschung und Lehre wäre das Vetorecht nicht erforderlich, da der Dekan der Medizinischen Fakultät bereits dem Vorstand der Charité angehört. Außerdem kann er den Aufsichtsrat anrufen, wenn er durch eine Entscheidung die Belange von Forschung und Lehre beeinträchtigt sieht.

Mit 23 Organen, zwei Personalvertretungen, einer Vergrößerung des Aufsichtsrats und einem Vorstand mit eingeschränkten Handlungskompetenzen riskiert Berlin, durch überbordende Bürokratie den Anforderungen an eine wirtschaftliche, qualitativ hochwertige und Exzellenzansprüchen genügende Universitätsmedizin nicht gerecht zu werden.

Wir appellieren dringend an die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses, bei ihrer wichtigen Entscheidung für ein Berliner Universitätsmedizingesetz zu bedenken, dass nur eine handlungsfähige Charité zukünftig in der Lage sein wird, die sie verpflichtende Tradition zugunsten nationaler und internationaler Sichtbarkeit weiterzuentwickeln. Geben Sie der Charité die Chance, zu einem Leuchtturm der Lebenswissenschaften zu werden – das wäre in unser aller Interesse.

Unterzeichner: Guido Adler, Winfried Benz, Johannes Dichgans, Dietrich Niethammer, Jörg Siewert, Klaus Wilms

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