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Gesundheit: Der Chef wächst über sich hinaus

Bei den Anemonenfischen führt ein Karrieresprung zu imposanter Körpergröße – notfalls auch zur Geschlechtsumwandlung

Sozialer Aufstieg wird belohnt. Bei vielen in Gruppen lebenden Tieren sind es nur die Ranghöchsten, die für Nachwuchs sorgen. Um das Privileg, eigene Gene an die nächste Generation weitergeben zu dürfen, wird oft mit ungewöhnlichen Mitteln gekämpft.

Unter Anemonenfischen (Amphiprion percula) müssen Emporkömmlinge in ihre neue Rolle hineinwachsen: je größer der Clownfisch, wie die Tiere nach ihrer bunten Färbung auch genannt werden, umso höher sein Rang. Die Stufen in der sozialen Hierarchie sind an einem Größenunterschied von etwa einem Zentimeter erkennbar. Bei einer Länge von meist unter acht Zentimetern ist das ein deutliches Merkmal. Doch die körperliche Veränderung kann noch weiter reichen. Um den höchsten Rang zu erlangen, wechseln die Fische offenbar auch das Geschlecht.

Anemonenfische leben an tropischen Riffen. Ihren Namen haben sie vom engen Zusammenleben mit blumenartigen Tieren. Zwischen den Fangarmen von Seeanemonen suchen die Fische Schutz vor Fressfeinden. Gegen die Nesselzellen, die anderen Fischen zum Verhängnis werden können, sind Anemonenfische durch eine besonders dicke Schleimschicht geschützt.

Der größte und ranghöchste Fisch in der meist zwei- bis sechsköpfigen Wohngemeinschaft ist ein Weibchen. Gemeinsam mit dem zweitgrößten Tier, einem Männchen, verteidigt es das Recht, Nachkommen zu zeugen. Groß gewachsene Konkurrenten, die dem Pärchen seinen Rang streitig machen, werden vertrieben oder getötet. Nur deutlich kleinere Mitbewohner der Anemone werden geduldet. Doch wenn eines der beiden ranghöchsten Tiere aus der Gruppe ausscheidet, etwa weil es gefressen wird, legen alle rangniederen Gruppenmitglieder an Größe zu.

Der Biologe Peter Buston von der Cornell Universität in Ithaca (USA) untersuchte die- se Wachstumsschübe. Er hielt die Tiere in Sechsergruppen. Entfernte er das ranghöchste Weibchen, wuchs dessen ehemaliger Fortpflanzungspartner nicht nur, aus „ihm“ wurde auch eine „Sie“, ein weiblicher Gruppenchef. Wie Buston in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“ berichtet, rücken alle anderen Gruppenmitglieder in der Hierarchie auf. Und mit jedem Platz, den ein Tier in der Rangfolge aufsteigt, legt es auch an Körpergröße zu.

Entnahm Buston das ranghöchste Männchen, war beim größten Weibchen kein zusätzliches Wachstum zu beobachten. Aber das dritte Tier in der Rangfolge übernahm jetzt die Position des entnommenen Männchens. „Erst wenn ein Fisch von Platz drei auf Platz zwei aufsteigt, entwickeln sich seine Fortpflanzungsorgane“, sagt der Biologe. Das geschlechtslose Tier entwickelte sich zu einem fortpflanzungsfähigen Männchen und wuchs seinem neuen Rang entsprechend.

Dies konnte der Wissenschaftler auch in den Küstengewässern Papua-Neuguineas beobachten. „Andere Faktoren wie die Wassertiefe, die Größe der Anemone oder Unterschiede zwischen verschiedenen Riffpopulationen haben keinen bedeutenden Einfluss auf die Größe der Tiere“, sagt Buston.

Die Abstufung der Körpergröße mit der Rangfolge wird also auch bei frei lebenden Anemonenfischen aufrechterhalten. Die Tiere durchlaufen einen Wachstumsschub, sobald sie eine höhere Position in der Hierarchie ausfüllen können. Im Gegensatz zu vielen anderen Tieren erreichen sie eine dominante Position nicht durch Verhaltensänderungen, sondern durch Wachstum. Nach Bustons Einschätzung könnten die Wachstumsrate und die Größe eines gruppenlebenden Organismus auch bei anderen Tierarten ein Ergebnis des sozialen Umfelds sein.

Den Anemonenfischen hilft die Größenregelung, den Frieden in der Wohngemeinschaft zu wahren. Die kleineren Gruppenmitglieder stellen keine Bedrohung für das ranghöchste Pärchen dar. Rangkämpfe sind daher in der Regel überflüssig. Das Pärchen kann ungestört von Nebenbuhlern den Nachwuchs sichern. Die kleinen Anemonenfische müssen warten, bis sie an der Reihe sind, in ranghöhere Positionen hineinzuwachsen.

Patrick Eickemeier

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