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Gesundheit: Der geschmiedete Himmel

Die 3600 Jahre alte „Scheibe von Nebra“ wurde in vier Abschnitten gefertigt und trägt mehrere Handschriften

Die Welt ist eine Scheibe. Eine Scheibe, die vor 3600 Jahren aus weicher Bronze gefertigt wurde. Ein Schmied goss den Rohling und hämmerte ihn in kaltem Zustand so weit aus, dass er zu reißen drohte. Um die Platte noch dünner zu machen, erwärmte er sie zwischendurch immer wieder und ließ so das Metall erneut erweichen. Anschließend schmückte er die Scheibe mit einer damals in Mitteleuropa kaum bekannten, in Mykene und im Orient dagegen weit verbreiteten Technik: Er vertiefte die Platte dort, wo er kleine Goldplättchen in Form der Mondsichel oder als Sterne platzieren wollte. Die Plättchen schob er am Rand in feine Schlitze und klopfte sie mit ein paar Schlägen fest.

Mit welchen Mitteln und welcher Technik der Meister die prächtige „Himmelsscheibe von Nebra“ vollendete, konnten Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen am Donnerstag in Berlin-Adlershof berichten. Archäologen, Astronomen, Chemiker und Physiker haben den sensationellen Fund in den vergangenen Monaten eingehend studiert und die Geschichte seiner Herkunft in etlichen Punkten neu geschrieben.

Raubgräber hatten die Scheibe und einige Schwerter 1999 auf dem 252 Meter hohen Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt gefunden. Sie setzten der Scheibe nicht nur mit schweren Hammerschlägen zu. Unseligerweise reinigten sie sie anschließend mit Abrazo-Stahlwolle, Zahnbürsten und scharfem Spülmittel. Die Oberfläche der Scheibe ist daher an vielen Stellen verkratzt und muss sehr aufwendig restauriert werden.

Doch die Hehler und ihre Mittelsmänner tappten der Polizei im Februar vergangenen Jahres bei einer fingierten Übergabe in einer Hotelbar in Basel in die Falle. So ging das bedeutende Kunstwerk mit der wohl ältesten konkreten Abbildung des nächtlichen Sternenhimmels in unseren Breiten an das Landesamt für Archäologie Sachsen-Anhalt.

Die Himmelsscheibe wurde in mindestens vier Phasen hergestellt. Das belegen unter anderem Röntgenuntersuchungen im Forschungslabor „Bessy“ in Adlershof. „Unsere Anlage ist im Wesentlichen eine gigantische Glühlampe“, sagte Bessy-Geschäftsführer Wolfgang Eberhardt. Ihren scharf gebündelten Strahl richteten Physiker auf alle Goldplättchen der Himmelsscheibe.

„Das Röntgenlicht regt die Atome im Material an“, erläuterte der Experimentator Martin Radtke. Die energiegeladenen Atome fallen jedoch nach kurzer Zeit wieder in ihren Ausgangszustand zurück und senden dabei ihrerseits Licht aus. Die Energie dieses Lichtes ist charakteristisch für die jeweiligen Atome. Gold, Zinn und andere chemische Elemente lassen sich so unterscheiden, ohne das Material zu schädigen.

Radtkes Analyse hat ergeben, dass der Meister die Himmelsscheibe zunächst mit 32 Sternen, der Mondsichel und einem weiteren kreisrunden Plättchen verzierte. All diese Goldfolien haben alle dieselbe chemische Zusammensetzung. Das runde Plättchen könnte die Sonne darstellen. Nach Ansicht des Archäoastronomen Wolfhard Schlosser von der Ruhr-Universität Bochum handelt es sich jedoch um den Vollmond.

Die Himmelsscheibe dürfte in der vergleichsweise bilderfeindlichen mitteleuropäischen Frühgeschichte eine Seltenheit gewesen sein. Noch erstaunlicher aber ist, dass in einem späteren Bearbeitungsschritt zwei seitliche Bögen aus Gold hinzugefügt wurden, von denen einer später verloren ging. Es sind abstrakte Horizontbögen, die womöglich auf den Gebrauch der Scheibe als Kalender hinweisen (siehe Kasten). Um die Bögen einzusetzen, mussten zwei Sterne entfernt und einer versetzt werden. Die Handschrift des Meisters und seine technik haben sich allerdings verbessert: für die Überarbeitung genügten ihm nun wenige Schläge.

Die Himmelsscheibe wurde dann noch einmal verändert: Plötzlich erschien noch ein Goldbogen am unteren Rand. Die filigrane Fiederung gebe zu erkennen, dass es sich um ein stilisiertes Schiff handele, sagte der Landesarchäologe Harald Meller, der die wissenschaftliche Arbeit von Beginn an betreut hat. Derartige Sonnenbarken auf der Reise zwischen den Horizonten kennen Archäologen von bronzezeitlichen Felsbildern in Skandinavien. „Es ist ein religiöses Symbol“, sagte Meller. Eines, das auch in späteren Jahrhunderten immer wieder auftauchte. Doch ungeachtet ihrer religiösen Bedeutung wurde die Scheibe in einer vierten Phase rundum durchlöchert, vermutlich um sie irgendwo zu befestigen. Wie weit die jeweiligen Zeitabschnitte auseinander liegen, lässt sich bisher nicht sagen. Und damit auch nicht, wie viele Meister an der Scheibe gearbeitet haben.

Sie ist gleichwohl ein herausragendes Beispiel dafür, wie weit religiöse Symbole, handwerkliche Techniken und Materialien in der frühen Bronzezeit über den Kontinent verbreitet waren. So stammt das für die Bronzescheibe verwendete Kupfer mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Region Mitterberg in Österreich, das Gold aus Rumänien. Das fand der Archäometallurge Ernst Pernicka aus Freiberg in mühevoller Arbeit heraus, als er den Bleigehalt des Metalls mit dem aus Lagerstätten in ganz Europa verglich.

In der „Scheibe von Nebra“ verdichteten sich viele kulturelle Einflüsse zu einem bis heute erhaltenen Kunstwerk. Und trotz raffinierter Analysemethoden hat der vor 3600 Jahren geschmiedete Himmel noch immer nicht all seine Geheimnisse preisgegeben.

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