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Gesundheit: Der Historiker geht in Pension

Warum er Geschichte studierte, wurde Reinhard Rürup unlängst gefragt. Eigentlich wollte er sich nur neben seinem zweiten Fach Germanistik weiteren Fragen der Politik und Erziehung widmen.

Warum er Geschichte studierte, wurde Reinhard Rürup unlängst gefragt. Eigentlich wollte er sich nur neben seinem zweiten Fach Germanistik weiteren Fragen der Politik und Erziehung widmen. "Ich war kein Historiker von Haus aus", meinte er.

Dies gilt bis heute. Rürup, der heute an der TU-Berlin mit einer Feier anlässlich seiner Emeritierung geehrt wird, ist einer der wenigen deutschen Historiker, die sich nicht auf Epochengrenzen und Themen festlegen lassen. Von der deutschen Aufklärung bis zum Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion reicht der zeitliche Bogen seines Schaffens, von der Technikgeschichte bis hin zur Berliner Lokalgeschichte. Über die verschiedenen Themen hinweg findet sich der Kern seiner Arbeit in der Frage nach den Emanzipationsbewegungen des letzten und des zu Ende gehenden Jahrhunderts und der Erforschung der gegen diese Bewegungen gerichteten Entwicklungen. Rürups Arbeiten zu den Revolutionen von 1848 und 1918 / 19 gehören bis heute zu den Standardwerken deutscher Revolutionsgeschichte.

Rürup, der in Göttingen studierte, bei Percy Ernst Schramm promovierte und nach einer fünfjährigen Episode an der FU-Berlin seit 1975 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der TU innehatte, hat die am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn stehenden "weiten Fragen" nie aus den Augen verloren. Seine Arbeit in der historischen Kommission der SPD, die Vermittlung von Geschichtswissenschaft in der Öffentlichkeit, etwa mit der Ausstellung "Berlin, Berlin", sein Engagement im Rahmen des Schülerwettbewerbs "Deutsche Geschichte" und zuletzt die Tätigkeit als Leiter der Gedenkstätte "Topographie des Terrors" zeigen, dass Geschichtsschreibung für ihn immer auch ein politisches Anliegen ist.

Die Öffentlichkeit hat Rürup in den letzten Jahren besonders in dieser letzten Funktion wahrgenommen: als Stimme in der Debatte um das Holocaust-Mahnmal, als ständiger Mahner und Streiter für die vom Berliner Senat nur halbherzig vorangetriebene Gedenkstätte und als jemand, der Projekte einer "Geschichte von unten" beförderte und die Erinnerung an das Schicksal Berliner Juden wachhielt. Rürup gehörte zu den ersten deutschen Historikern, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit der Geschichte der Juden in Deutschland beschäftigten. Seine und die von ihm geförderten Arbeiten bilden den Grundstock der Forschung zum modernen Antisemitismus in Deutschland. Studenten schätzen an ihm, dass er weiter neugierig ist auf neue Zugänge zu einem Thema, das als besterforschtes der Zeitgeschichte gilt.

Die TU entlässt einen Professor in den Ruhestand, der neben seinen enormen wissenschaftlichen Verpflichtungen stets die Qualität der Ausbildung seiner Studenten im Auge hatte. Als er 1975 an die TU kam, zählte sein Institut knapp fünfzig Studenten, heute sind es über siebenhundert. Welche beruflichen Perspektiven sich jungen Historikern bieten und wie angesichts steigender Studentenzahlen geeignete Lehrformen gefunden werden können, war der dritte Schwerpunkt seiner Arbeit, in die Rürup auch seine internationalen Erfahrungen einbrachte. Gastprofessuren in Berkeley, Jerusalem und Oxford brachten Kontakte, von denen nicht nur seine Studenten profitierten. "Dass unser kleines Institut heute international bekannt ist, verdanken wir hauptsächlich Reinhard Rürup", so Volker Hunecke, Direktor des Instituts für Geschichtswissenschaft an der TU.

Reinhard Rürup wird seinen Ruhestand nur teilweise antreten können und wollen. Zu viele Dinge sind noch unerledigt, zu viele neue Fragen ungeklärt. Er ist eben kein Historiker von Haus aus.Im Campus-Verlag ist eine Festschrift für Reinhard Rürup unter dem Titel "Geschichte und Emanzipation" erschienen.

Jens Schley

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