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Gesundheit: „Der Neuanfang muss Visionen ermöglichen“

Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Karl Max Einhäupl, will Berlins Uni-Medizin trotz der Sparzwänge einen Spitzenplatz erhalten

Fast genau ein Jahr ist es her, dass Sie vor den Folgen der Kürzung um 98 Millionen Euro an Berlins UniMedizin gewarnt haben. Jetzt liegt die Empfehlung des Wissenschaftsrates für die Umsetzung vor. Ist die Entwicklung auf dem richtigen Weg?

Zunächst einmal braucht Berlin auf jeden Fall einen Neuanfang in der Hochschul-Medizin. Dafür macht unser Vorschlag den Weg frei. Zufrieden kann man angesichts der Einschnitte wohl kaum sein. Aber wir wollen es schaffen, dass die Spitzenforschung trotz der von der Politik vorgegebenen Einschnitte stark bleibt.

Warum fiel die Entscheidung jetzt für eine gemeinsame Fakultät und eine Klinik unter dem Dach zweier Universitäten?

Dafür gab es eine klare Mehrheit, um die Kräfte zu bündeln, Doppelungen abzubauen und ein ausreichendes wissenschaftliches Potenzial zu erhalten. Eine Medizinische Hochschule mit dem Vorteil stringenter und erprobter Entscheidungsstrukturen und wenig Blockademöglichkeiten liefe dagegen dem modernen Wissenschafts-Verständnis zuwider, Medizin, Naturwissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammenzuführen. Die Zuordnung der medizinfakultät allein zur Humboldt-Universität hätte wiederum zumindest für die Freie Universität eine Schwächung dargestellt.

Worin liegt der Charme dieser Lösung?

Wir haben die Hochschulmedizin in der Universität belassen und ihr dennoch durch straffe Entscheidungsgremien die Möglichkeiten gegeben, schnell und flexibel ohne große Widersprüche zu Entscheidungen zu kommen. Der Senat muss dafür rasch die gesetzlichen Grundlagen schaffen.

Das hat er zugesagt ...

Das kommt wohl auch in wenigen Monaten. Die Übergangszeit kann man durch befristete Berufung von Experten gestalten, die nicht aus Berlin kommen – und damit den Neuanfang sichern. Keinesfalls darf man in der Medizin die Berliner Tradition fortsetzen, die Entwicklung durch alte Verbindungen, Vorurteile und gegenseitige Blockaden zu behindern.

Reichen die Änderungen als Voraussetzung für einen Neuanfang aus?

Wenn die Fusion umgesetzt wird, kommen sehr schmerzliche Einschnitte – denn ohne Abbau kann man 98 Millionen Euro nicht einsparen. Es kommt jetzt darauf an, dass die Wissenschaft selbst die Schwerpunkte setzt. Die Organisation der Klinika muss sich primär an den wissenschaftlichen Konzepten ausrichten. Die Voraussetzungen für den Betrieb der Klinika – also ein funktionsfähiger Fächerkanon und kosteneffektive Standortstrukturen – müssen natürlich auch stimmen. Aber man darf nicht wieder alles nach klinischen Gesichtspunkten ausrichten, da es sonst nicht möglich sein wird, auch in der klinischen Forschung auf internationale Spitzenplätze zu gelangen.

Die Expertenkommission hat für die Konzentration der Forschungsbereiche detaillierte Vorschläge vorgelegt. Stimmen Sie denen zu?

Ich finde in den Empfehlungen viele vernünftige Ansätze. Aber mit der Fusion werden Umzüge nötig: Das führt zwar perspektivisch zu Einsparungen – kostet aber erst einmal. Der Senat muss bereit sein, das zu finanzieren.

Die Exzellenz der Forschung soll ja das Leitmotiv der Strukturreform werden. Was sind dafür entscheidende Schritte?

Berlin steht mit an der Spitze der Medizinfakultäten in Deutschland. Welche Stadt sonst hat das Glück, auf eine so große Zahl exzellenter Wissenschaftler zurückgreifen zu können? Jetzt muss nach Qualitätskriterien strukturiert werden. Und die Politik muss das unterstützen: Dort, wo ein Wissenschaftsfeld erfolgreich erforscht wird, müssen die Wissenschaftler konzentriert werden, die etwas beizutragen haben. Wir können es uns nicht mehr leisten, einen Schwerpunkt an drei verschiedenen Kliniken zu unterhalten und damit Zusammenarbeit zu behindern und Abgrenzung zu fördern. Gespart werden muss konsequent an den forschungsschwachen Bereichen.

Die Expertenkommission hat empfohlen, 1300 Klinikbetten abzubauen. Ist das ein Essential?

Ein Bettenabbau ja, Aber ob es 1300 sein müssen, weiß ich nicht. Es macht keinen Sinn, an dem jetzigen Bettenbestand festzuhalten. Wer in Berlin daran glaubt, hat einfach die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Gibt es Konkurrenz zu den kommunalen Krankenhäusern?

Wenn man will, dass an den Berliner Universitätsklinika Spitzenforschung und -lehre betrieben wird, muss man akzeptieren, dass zunächst die universitären Strukturen und dann erst die kommunalen und privaten Träger bedient werden. Das bedeutet nicht, dass die Universität sich herausnehmen kann, was sie will. Aber es kann nicht hingenommen werden, dass neben einer Universitätsklinik, die sich mit einem Forschungsthema befasst, ein kommunales Krankenhaus zu demselben Schwerpunkt eingerichtet wird und am Ende beide nicht ausgelastet sind.

Was gehört denn noch zu den Lichtblicken?

Die neue Charité soll auch neue Wege erproben, wie Juniorprofessoren, Karrieren für Naturwissenschaftler in der Medizin, innovative Studiengänge und bessere Rahmenbedingungen für die klinische Forschung. Der Neuanfang muss es ermöglichen, wieder Visionen zu entwickeln. Natürlich wird es schwieriger, diesen Traum mit reduzierten Ressourcen zu erfüllen. Aber ich halte es immer noch für möglich, Spitzenpositionen zu halten. Dazu brauchen wir auch unbedingt ein Zentrum für Life-Sciences, wo Wissenschaftler verschiedener Fächer an Zukunftsprojekten arbeiten.

Soll man dafür nicht doch nachverhandeln?

Es macht jetzt keinen Sinn, bei dem festgeschriebenen Willen der Politik die Einsparungen erneut zu verhandeln. Vielleicht geht es Berlin zu einem späteren Zeitpunkt wieder besser. Aber die Strukturreform mit der Vorstellung zu beginnen, dass wir letztlich weniger einsparen müssen, wäre eine Illusion. Die Wissenschaft muss bereit sein, sich auf dieses Konzept einzulassen.

Ohne wenn und aber?

An der Obstruktion würde sie scheitern, weil sie dann auch weiterhin selbst keine handlungsfähigen Strukturen schaffen kann.

Mit Leidenschaft ist darum gestritten worden, welche Gremien künftig die Geschicke der Uni-Medizin leiten sollen. Warum?

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates bedeuten einen Paradigmenwechsel. Wir sind von den üblichen gremienstrukturierten Leitungseinrichtungen weggegangen – Gremien wählen Personen nach vielfältigen Gesichtspunkten und die so Gewählten leiten dann ein Unternehmen nicht immer nach sachgerechten Kriterien. So kann man eine große Einrichtung nicht führen, die internationale Spitzenforschung betreiben soll. Durch den kleinen Vorstand mit vielen Befugnissen haben wir die Grundlage gelegt. Für das Gelingen müssen wir die richtigen Persönlichkeiten finden. Das ist schon deshalb nicht so einfach, weil es in Deutschland noch keine verbreitete Kultur für Universitätsleitungen mit modernen Managementqualitäten gibt. Wir wollen Menschen finden, die gute Wissenschaftler sind, in der wissenschaftspolitischen Routine Erfahrung haben und willens sind, hier eine große Aufgabe nach vorn zu bringen. Denen muss man attraktive Bedingungen bieten.

Was für Menschen müssen das sein?

Zuerst müssen wir fünf Personen für den Aufsichtsrat suchen; denn der ist extrem wichtig. Es kommt darauf an, dafür Menschen mit Mut, Überzeugungskraft, Visionen und Verständnis für wissenschaftliche und klinische Sachverhalte zu gewinnen – die sowohl aus dem wissenschaftlichen wie aus dem wirtschaftlichen Umfeld kommen. Denn neben seiner Kontrollfunktion hat dieses Gremium die Aufgabe, Visionen zu entwickeln.

Woher kommen die anderen?

Von den drei Mitgliedern im Vorstand wird der Dekan auf jeden Fall aus der Berliner Medizin kommen. Man kann den Fakultäten nur wünschen, dass sie ihn im Sinne dieses Wissenschaftsverständnisses auswählen. Die beiden anderen werden über den Aufsichtsrat eingesetzt. Sie müssen die Geschicke einer so großen Einrichtung leiten können, aus der Wissenschaftscommunity, aber möglichst nicht aus Berlin kommen.

Das müssen sehr unabhängige Personen sein. Bei der Beratung über die Zukunft der Berliner Hochschulmedizin habe ich mich oft gefragt, wie Sie es aushalten, so zwischen allen Stühlen zu sitzen.

Ich glaube, dass es in der Wissenschaft viele Persönlichkeiten gibt, die sich ein Maximum an Unabhängigkeit bewahrt haben. Solche finden Sie beispielsweise in der Deutschen Forschungsgemeinschaft und im Wissenschaftsrat. Es ist aber nicht einfach, solche Kontroversen auszuhalten. Das geht bis zum Bruch persönlicher Freundschaften. Ich habe aber auch viel Zustimmung und Ermutigung erfahren in den vergangenen Monaten. Persönliche Befindlichkeiten dürfen hier aber nicht im Vordergrund stehen, sondern es muss um die Sache gehen. Ich würde gern eines Tages von der Berliner Szene abtreten mit der Genugtuung, dass es gelungen ist, mit vielen anderen zusammen in Berlin etwas auf den Weg zu bringen, das international an der Spitze steht und anknüpft an die weltweite Bedeutung medizinischer Forschung in Berlin vor 100 Jahren. Das ist der Maßstab – nicht der einer durchschnittlichen deutschen Universität. Über schmerzliche persönliche Erfahrungen muss man dafür hinweggehen.

Wollen Sie denn Berlin verlassen?

Aber nein, zumal ich jetzt die Hoffnung habe, dass es noch besser möglich sein wird, in Berlin Wissenschaft und exzellente Medizin zu betreiben.

Das Interview führte Bärbel Schubert.

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