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Gesundheit: Der Ölteppich unterm Baum

Eine Weihnachtsgeschichte, ökologisch korrekt, von Thomas de Padova

Es war kein schlechtes Jahr. Er ist mit dem Rad zur Arbeit gefahren. Als seine Lebensgefährtin mit dem Kind nach Italien jettete, reiste er ihnen 24 Stunden mit dem Zug hinterher. Er hat Anteile an einem Windpark gekauft und einen solargetriebenen Milchaufschäumer. Seine persönliche Kohlendioxid-Bilanz sähe ganz brauchbar aus, würde sie kurz vor Jahresende nicht wieder einbrechen: Zu Heiligabend muss eine echte Tanne her mit echten Kerzen.

Einen viele Jahre alten Baum zu fällen und ihn über Hunderte von Kilometern zu transportieren, damit er ein paar Tage das Wohnzimmer dekoriert, darüber hat Konstantin sich schon im letzten Jahr aufgeregt. Diesmal sind es die Kerzen, jede von ihnen ein Feststofftank für einen klimaschädlichen Brennstoff, jede mit einem Docht als Pipeline. Sie verbrennen Wachs zu Wasser. Und Kohlendioxid.

Das allein wäre noch nicht tragisch, wenn Konstantins Lebensgefährtin nicht wieder auf denselben billigen, dünnen, roten Kerzen bestehen würde: Kerzen aus Paraffin. Sie will Erdöl abfackeln! Er hat ihr schon oft klarzumachen versucht, dass … „Diesmal bitte keinen Krach!“

Am Weihnachtsabend hat die Chemie zwischen ihnen noch nie gestimmt. Das Rohöl wird für die Kerzenherstellung destilliert und anschließend gereinigt, übrig bleiben gesättigte Kohlenwasserstoffe: Paraffin. Den darin enthaltenen Kohlenstoff haben unzählige Algen vor vielen 100 Millionen Jahren im unnachahmlichen Prozess der Photosynthese unserer Atmosphäre entzogen. Die Erde hat ihn unter hohem Druck zusammengepresst und an ausgewählten Orten gespeichert. Diesen uralten Kohlenstoff übergeben Konstantin und seine Familie am Heiligen Abend den Flammen. Sie singen „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“, und er muss mit ansehen, wie der kostbare fossile Rohstoff binnen weniger Minuten verlodert und als Treibhausgas die Erde aufheizt. Stangenweise. Unumkehrbar. Für ein bisschen Kerzenschein!

Er senkt den Blick. Um die Krippe herum haben sich Biobauern mit ihren Schafen versammelt. Drinnen legen drei Ölscheichs ihre Gaben nieder. Sie huldigen dem grinsenden Junior.

Konstantin schämt sich. Anstatt die Lagerstätten der Erde anzuzapfen und ihr schwarzes Gold zu verballern, könnte man Stearinkerzen aus pflanzlichem Öl nehmen. Oder Bienenwachskerzen. Daran haben zwar auch ziemlich viele Wabenbaubienen gearbeitet, die zuvor mit Pollen und Nektar gefüttert werden mussten. Aber immerhin handelt es sich dabei um nachwachsende Rohstoffe. Um frische Biomasse!

„Frohe Weihnachten!“

„Frohe Weihnachten!“ antwortet er, von Klingglöckchen umbimmelt.

„Ich hoffe, du behältst die Gans im Auge.“

Ach ja, der Gänsebraten! Ihre Stimme klingt nicht einmal vorwurfsvoll. Eigentlich isst sie kein Fleisch. Er hat sich trotzdem Gans gewünscht. Wie immer.

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