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Gesundheit: Der schwarze Kontinent zeigt Risse

An der Südspitze des Roten Meeres öffnet sich die Erde. Ein Ozean wird entstehen, das Horn von Afrika wird abbrechen

Wenn Geologen Laien begreiflich machen wollen, dass sich die Erdoberfläche ständig verändert, haben sie ein Problem: Die Erdkruste wölbt, zersplittert und verschiebt sich in aller Regel viel zu langsam, um dabei beobachtet werden zu können – selbst während eines Menschenlebens.

Doch jetzt können Forscher quasi im Zeitraffer beobachten, wie sich im Osten Afrikas, an der Südspitze des Roten Meeres, hunderte Erdspalten auftun. Dort in der Afar-Senke reißt der Kontinent auseinander, das Horn von Afrika wird abbrechen – zwar erst in einigen Millionen Jahren, doch das ist für geologische Ereignisse eine kurze Zeitspanne.

Kontinentalplatten bewegen sich bei ihren trägen Wanderungen über den Globus oft langsamer voran, als Fingernägel wachsen. Selbst aktive Gebirge wie die Alpen oder der Himalaya stemmen sich pro Jahr lediglich um wenige Millimeter in die Höhe – nur etwas schneller, als sie gleichzeitig wieder abgetragen werden.

Doch was der Geologe Dereje Ayalew und seine Kollegen von der Universität von Addis Abeba vor Ende September letzten Jahres in der äthiopischen Afar-Senke erlebten, war spektakulär: Gerade waren sie aus ihrem Hubschrauber gestiegen, da rumorte es unter ihnen. Vor den Füßen der Wissenschaftler zogen sich meterbreite Risse durch die Erde, wie in einem Katastrophenfilm aus Hollywood.

Nach wenigen Sekunden war das Spektakel vorbei, doch die äthiopischen und britischen Geologen wussten, was sie da gerade gesehen hatten: ein weiteres Indiz für die mittlerweile verbreitete Ansicht, dass Afrika sein Horn verlieren wird. Der Kontinent reißt allmählich entzwei, und in den so genannten Grabenbruch wird das Meer eindringen – wie beim Roten Meer weiter nördlich schon geschehen.

Die Afar-Senke gehört vorwiegend zu Äthiopien und teilweise zu Eritrea und Dschibuti. Bekannt wurde die Gegend als „Wiege der Menschheit“, nachdem der US-Paläoanthropologe Donald Johanson dort 1974 etwa ein Fünftel des Skeletts eines 3,2 Millionen Jahre alten weiblichen Australopithecus afarensis gefunden hatte. Die Urahnin des heutigen Menschen erhielt den Namen „Lucy“.

Drei gewaltige Verwerfungen der Erdkruste treffen sich hier: Die nördliche verläuft entlang des Roten Meeres zwischen Saudi-Arabien im Osten und Ägypten und Sudan im Westen; die zweite kommt von Osten, erkennbar am Golf von Aden. Der dritte Riss zieht sich von der Afar-Senke nach Südwesten mitten hinein nach Ostafrika, wobei er sich nördlich des Viktoria-Sees gabelt: Ein auf Landkarten gut erkennbarer Ast verläuft in einem ausgreifenden Halbbogen über den Tanganjika- See bis über den Malawi-See hinaus wieder Richtung Ozean; der zweite Ast quert Kenia und ist verantwortlich für Vulkane wie den fast 5900 Meter hohen Kilimandscharo. Tief aus der Erde dringt Magma durch die gespreizte Erdkruste und ergießt sich als Lava übers Land.

Tektonisch ist die Afar-Senke sehr unruhig. „Da gibt es unwahrscheinlich viele Beben“, sagt Ulrich Achauer, Seismologe an der Universität Straßburg. Ursache ist vom Erdmantel her aufquellendes Magma, das die darüber liegende Kruste zerreißen und auseinanderdriften lässt. Das führt auch dazu, dass Teile der Erdkruste einbrechen.

Teile der Afar-Senke sind bereits so weit eingebrochen, dass sie mehr als hundert Meter unter dem Meeresspiegel liegen. Nur noch das Hochland von Danakil an der Küste hindert das Rote Meer daran, die Senke zu überfluten. Denn jetzt schon überschwemmt das Meer regelmäßig das Danakil-Tiefland östlich von Afar; jeder Vorstoß hinterlässt Salzkrusten.

Immer wieder haben die Geologen um Dereje Ayalew die Afar-Senke in den vergangenen Monaten besucht. Dabei stießen sie jedesmal auf neue Risse – hunderte in einem Gebiet von der Größe Berlins, manche Dutzende Meter tief. Hier und da quollen aus der Tiefe 400 Grad heiße Dämpfe empor.

In manchen Klüften war das Brodeln von Flüssigkeiten zu hören, überall roch es nach Schwefel, ab und zu schüttelte sich die Erde. Nie zuvor wurde ihrer Ansicht nach ein sich so rasch bildendes Netz von Erdrissen beobachtet. „Offenbar haben wir die Geburt eines Ozeanbeckens miterlebt“, sagt Cynthia Ebinger von der Universität London – vorerst eine Vermutung, denn oft genug kamen anderswo vergleichbare Prozesse später zum Halten.

Doch in der Afar-Senke geschieht alles sehr schnell, zumindest aus GeologenSicht. Ebenfalls 2005 haben Forscher um Tim J. Wright von der britischen Universität Oxford mit Hilfe von seismischem Gerät und des europäischen Satelliten Envisat beobachten können, wie innerhalb von nur vier Wochen ein gewaltiger Riss den Boden der Afar- Senke zerteilte, 60 Kilometer lang und vier Meter breit.

Erstmals konnten Forscher Derartiges live verfolgen. Wie das Team um Wright kürzlich im Fachjournal „Nature“ (Band 442, Seite 291) berichtete, stieg glutflüssiges Magma aus der Tiefe empor, um eine Spalte zu füllen – vielleicht die Geburt neuen Meeresbodens. Die Afar-Senke gehört zu den wenigen Stellen weltweit, an denen Platten der Erdkruste innerhalb von Landmassen zerbersten und nicht am Boden von Ozeanen.

Bis das Horn von Afrika sich endgültig vom großen Rest des Kontinents verabschiedet, wird es aber noch dauern. Nach Berechnungen von Geophysikern dürften etwa zehn Millionen Jahre vergehen, bis der Ostafrikanische Graben ähnlich aussehen wird wie das Rote Meer heute.

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