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Gesundheit: Der Sturm

Es stürmt in Deutschland. Regen und Schneeschmelze schwappen in diesem Jahr recht früh über unser Land hinweg.

Es stürmt in Deutschland. Regen und Schneeschmelze schwappen in diesem Jahr recht früh über unser Land hinweg. Auch gestern stieg das Hochwasser von Oder und Elbe weiter an. Die wachsenden Pegelstände halten die Erinnerungen an frühere Fluten wach. Noch vertrauen die Anwohner von Rhein und Oder, Main und Mosel auf den Schutz der Dämme. So schlimm wie damals, beim Jahrhunderthochwasser, dürfte es zu ihren Lebzeiten nicht noch einmal werden! Jahrhundertkatastrophen gibt es, wie das Wort ja schon sagt, schließlich nur ein Mal in hundert Jahren.

Die Rechnung der Klimaforscher sieht anders aus. Wegen der fortschreitenden globalen Erwärmung werden Nord- und Westdeutschland in diesem Jahrhundert voraussichtlich fünf Mal häufiger als bisher von außergewöhnlich großen Überschwemmungen heimgesucht. Wo Anrainer bislang alle 100 Jahre mit einem Desaster rechneten, lassen die Fluten Städte, Dörfer und weite Landstriche künftig im Mittel alle 20 Jahre in schlimmste Not sinken. Mit einem ähnlich starken Anstieg der Höchstwasserstände müssen neben Nord- und Westdeutschland auch Großbritannien oder Länder wie Indien und Bangladesch rechnen.

Bereits im vergangenen Jahrhundert sind große Flutkatastrophen in aller Welt zahlreicher geworden. Das berichten amerikanische, britische und schwedische Forscher in der am heutigen Donnerstag erschienenen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" (Band 415, Seite 512). Sie haben versucht, die regionalen Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels abzuschätzen.

Klimaforscher halten sich mit solchen Prognosen bisher meist zurück. Sie sind sich ihrer Vorhersagen in den vergangenen Jahren eher ungewisser als sicherer geworden. Dennoch: Dem Bericht des internationalen Klimabeirats IPCC zufolge erhöht sich die Temperatur auf der Erde um 1,5 bis 4,5 Grad, wenn sich der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre verdoppelt.

Der Ausstoß von Industrie- und Autoabgasen könnte die globale Mitteltemperatur auch noch stärker beeinflussen. Im Wissenschaftsmagazin "Science" (Band 295, Seite 113) stellten US-Forscher zuletzt fest, dass die Spanne auf 1,4 bis 7,7 Grad ausgeweitet werden müsse. Sonst könne man am Ende deutlich daneben liegen. Große Unsicherheitsfaktoren sind zum Beispiel die Ozeane, die Kohlendioxid in bislang kaum bekannten Mengen aufzunehmen vermögen.

Paradoxe Prognosen

Noch schwieriger ist zu ermitteln, in welchem Maße die unterschiedlichen Regionen der Erde von der Erwärmung betroffen sein werden. Je detaillierter die Ergebnisse sein sollen, desto weiter laufen die Berechnungen aus dem Ruder. Während zum Beispiel meistenorts die Gletscher schmelzen, haben Forscher kürzlich verblüfft festgestellt, dass es in großen Teilen der Antarktis nicht etwa wärmer, sondern kälter geworden ist - allen Prognosen zum Trotz.

Die jetzige Regen- und Flutvorhersage jedoch soll kein solcher Schlag ins Wasser sein. Das zumindest glauben die Experten: "Die Klimamodelle sagen übereinstimmend, dass die Niederschläge außerhalb der Tropen zunehmen werden", sagt Reiner Schnur vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Denn die Erwärmung des Globus lässt fast überall mehr Wasser verdunsten.

Um diese Erkenntnis in eine Niederschlagskarte umwandeln zu können, haben Klimaforscher nun auf ähnliche Verfahren zurückgegriffen, wie sie ihre Kollegen, die Wetterfrösche, seit etlichen Jahren verwenden. Die Meteorologen stehen oft vor der Schwierigkeit, schon die gegenwärtigen Wetterdaten nicht genau zu kennen. Aktuelle Windverhältnisse oder die Bodenfeuchte sind ihnen nur in etwa bekannt. Für exakte Vorhersagen sind aber solche Unsicherheiten höchst problematisch. Wie man aus der Chaos-Forschung weiß, können kleinste Unterschiede in den Anfangswerten zu großen Abweichungen in der späteren Prognose führen. Das gilt insbesondere bei komplexen Systemen wie dem Wetter.

Das Unberechenbare berechnen

Daher berücksichtigen die Klimaforscher die Anfangsunsicherheiten von vornherein bei ihren Kalkulationen. Sie errechnen ein ganzes Bündel von Wetterprognosen. Wenn die Ergebnisse dann weit auseinander zu laufen beginnen, ist das Ende des Vorhersagezeitraums erreicht. Die Trefferquote der Wetterdienste hat sich durch solche "Ensemble-Rechnungen" - entgegen landläufigen Meinungen - enorm gesteigert.

Ein derartiges Rechenexempel haben nun auch Klimaforscher angestellt. Beim Klima liegt die Anfangsunsicherheit unter anderem in der Unkenntnis einiger Vorgänge in der Natur und der begrenzten Rechenkapazität der Computer, die es zum Beispiel unmöglich macht, einzelne Wolkenfelder einzubeziehen. Ein internationales Wissenschaftlerteam hat daher 19 verschiedene Klimamodelle berücksichtigt, um die Unwägbarkeiten der vielfältigen Simulationsverfahren gegeneinander auszugleichen.

Den jetzigen Ensemble-Rechnungen zufolge trifft der Klimawandel unter anderem Monsun-Gebiete wie Indien und Bangladesch. "Dort werden sich die Änderungen buchstäblich am stärksten niederschlagen", sagt Schnur. Aber die Wahrscheinlichkeit für extreme Niederschläge wird auch in Nord- und Mitteleuropa größer.

Deutschland hat derartige Veränderungen schon in den letzten Jahrzehnten zu spüren bekommen. Die Winter sind in unseren Breiten mit wesentlich mehr Niederschlägen einhergegangen. In den wärmeren Monaten, ab April, blieb der Regen hingegen oft aus. Extreme Regengüsse werden Nord- und Westdeutschland künftig fünf Mal häufiger unter Wasser setzen. "Auch im restlichen Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit für schwere Niederschläge drei bis fünf Mal größer", sagt Schnur.

Die Folgen der erhöhten Niederschläge sind schon jetzt auf der ganzen Welt zu sehen. Im 20. Jahrhundert hat die Häufigkeit großer Überschwemmungen und Hochwasserkatastrophen erheblich zugenommen, resümieren Wissenschaftler in einer zweiten "Nature"-Studie. Sie berücksichtigt die größten Wasserreservoirs der Erde, die ihren 100-Jahre-Höchststand inzwischen in immer kürzeren Abständen überschreiten.

Klima-Experte Reiner Schnur schätzt die Aussagekraft der neuen Vorhersagen höher ein als die der bisherigen Einzelprognosen. Er hebt insbesondere deren ökonomischen Nutzen hervor: Wer künftig ein Haus in einer hochwassergefährdeten Gegend bauen wolle, könne sich an solchen Ergebnissen orientieren.

"Es gibt auch seitens der Versicherungen ein sehr großes Interesse an den Vorhersagen", sagt Schnur. Sie bedürfen allerdings großer Computernetzwerke. Und solange die Modelle noch am grundsätzlichen Unverständnis etlicher klimarelevanter Prozesse kranken, dürften selbst noch leistungsstärkere Rechner das allgemeine Vertrauen in regionale Prognosen nur unwesentlich erhöhen.

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