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Gesundheit: Der wahre Bioterrorist

Forscher fordern die EU auf, ihr Impfverbot aufzuheben – und die Impfstoffentwicklung voranzutreiben

Impfen oder nicht impfen? Das ist derzeit die entscheidende Frage bei der Bekämpfung der Vogelgrippe, sagte der Virologe Hans-Dieter Klenk von der Universität Marburg auf einer Tagung in Braunschweig. Klenk gilt als führender H5N1- Forscher Deutschlands. Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer (CSU) ist gegen eine Impfung von Geflügel. Horst Seehofer will erst mal abwarten und die Impfstoffforschung verstärken.

Doch während die Vogelgrippe weiter ins Land dringt und die Nutztierbestände bedroht, wächst der Druck auf Seehofers Position. „Ich frage mich, worauf er eigentlich wartet“, sagte der Virologe Klenk im Gespräch mit dem Tagesspiegel und kritisierte die von der EU vorgeschriebene Regulierung scharf.

Die EU verbietet grundsätzlich Impfungen von Nutzgeflügel – lässt aber zugleich viele Ausnahmen zu. „Eine Keulung ist sinnvoll, wenn es sich um einen einmaligen Ausbruch handelt“, sagte Klenk. „Das Vogelgrippevirus aber wird wahrscheinlich immer wieder auftauchen.“ In Asien ist das gefährliche Virus H5N1 längst „endemisch“: Die Wildvögel dort sind dauerhaft infiziert. In China hat man deshalb schon vor Monaten mit einer Impfung des Nutzgeflügels begonnen. „Die deutsche Regierung ist mit der EU-Regulation schlecht beraten“, sagte Klenk in Braunschweig und forderte: „Die EU-Politik sollte definitiv geändert werden.“

Andere Experten auf der Tagung, die die Gesellschaft für Biotechnologische Forschung organisiert hatte, stimmten dem Virologen aus Marburg zu. „Ich sehe das genauso“, sagte Albert Osterhaus vom Erasmus Medical Center in Rotterdam. Als 1997 erstmals ein dreijähriger Junge in Hongkong an Vogelgrippe starb, war Osterhaus der Erste, der das Virus identifizierte: H5N1.

Ein Impfstoff, den man für das Nutzgeflügel entwickelt, würde vielleicht sogar Menschen einen gewissen Schutz bieten. Den Einsatz eines solches Impfstoffs könnte man in Erwägung ziehen, wenn eine Pandemie eintritt. Firmen wie das Pharmaunternehmen Glaxo Smith Kline arbeiten mit solchen „Prototypen“. Die Weltgesundheitsorganisation WHO liefert den Firmen regelmäßig jenen gefährlichen Virusstamm von H5N1, der gerade stark unter den Wildvögeln zirkuliert. Zuvor wird der Erreger gentechnisch so entschärft, dass man einige Bausteine – eine gefährliche Kette von Aminosäuren – des Moleküls, mit dem das Virus in die Wirtszellen der Tiere dringt, gegen harmlose Bausteine austauscht.

Die Erfolge mit der Entwicklung eines Prototypen-Impfstoffs halten sich jedoch in Grenzen, wie die Virologin Elisabeth Neumeier vom Sächsischen Serumwerk in Dresden, das zu Glaxo gehört, auf der Tagung in Braunschweig ausführte. Weltweit ist die Impfstoff-Industrie derzeit in der Lage, etwa 300 Millionen „trivalente“ Impfstoffdosen pro Jahr zu produzieren. Nicht gerade exorbitant viel, wie Neumeier sagte – gemessen an sechs Milliarden Erdenbewohnern.

„Trivalent“ heißt: Der Impfstoff besteht aus einer Kombination von insgesamt drei verschiedenen Impfstoffen, die gegen drei Grippe-Erreger schützen. Im Falle einer Pandemie mit H5N1 hätte man es mit nur einem Erreger zu tun. Somit ließen sich pro Jahr 900 Millionen Dosen herstellen. Da man aber für einen wirksamen Schutz einmal auffrischen müsste, könnte man mit derzeitigen Kapazitäten jährlich 450 Millionen Impfstoffdosen produzieren. Mit anderen Worten: Es reicht nicht.

Wie lange es dauern wird, bis im Ernstfall ein Impfstoff zur Verfügung steht, wissen selbst die Experten nicht genau. „Zwischen vier und sechs Monate“, schätzt der Virologe Osterhaus. Impfstoffe werden in Hühnereiern produziert. Für eine trivalente Dosis braucht man einen Hühnerembryo, ein Ei also. „Ein Huhn legt am Tag ein Ei“, sagte Osterhaus. „Sie lassen sich nicht dazu zwingen, mehr zu legen.“ Insofern lässt sich der Prozess der Impfstoffentwicklung mit herkömmlichen Methoden nicht beschleunigen.

Beunruhigend ist außerdem, dass die Ausbeute an Impfstoff bei den derzeitigen H5N1-Impfstoff-Prototypen eher gering ist: Er liegt nur bei zehn Prozent der Menge, die man sonst bei den saisonalen Grippe-Impfstoffen erhält. „Wir werden länger brauchen, als wir dachten“, sagte Neumeier über den Pandemie-Impfstoff.

Welche Menge an Impfstoffen man letztlich für einen wirksamen Schutz gegen H5N1 braucht, hängt auch davon ab, wie gut der „Hilfsstoff“ (Fachjargon: Adjuvans) wirkt, den man zusätzlich zum Impfstoff verabreicht, um das Immunsystem zu alarmieren. Ein beliebtes Adjuvans, das auch Glaxo Smith Kline im Falle einer Pandemie nutzen möchte, ist Aluminium. Spritzt man einen Grippeimpfstoff zusammen mit Aluminiummolekülen ins Gewebe, bringt das Metall prompt das Arsenal der Körperabwehr auf den Plan, das so auch schnell auf den eigentlichen Feind Aufmerksam wird: das Grippevirus.

60 bis 70 Prozent der globalen Impfstoffindustrie befindet sich in Europa. Osterhaus forderte die EU auf, den Firmen die Entwicklung und die Tests eines Pandemie-Impfstoffs zu finanzieren. Der Grund: Vielen Firmen erscheint die Investition in einen Pandemie-Impfstoff nicht sehr lukrativ. Schließlich ist nicht sicher, ob und wann es zur Pandemie kommt – und man weiß nicht, von welchem Virus die Pandemie ausgehen wird. Und doch ist klar: Es muss investiert werden. „Denn“, so Osterhaus, „der wahre Bioterrorist ist die Natur.“

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