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Gesundheit: Des Königs Drachentöter

Schelling kam 1841 nach Berlin, um Hegel zu überwinden – war aber schon zu schwach. Zum 150. Todestag

Von Anatol Schneider „Ich bin so froh, Schellings zweite Stunde gehört zu haben – unbeschreiblich“, schrieb Sören Kierkegaard im Jahr 1841 aus Berlin an seinen Bruder. Der dänische Philosoph war gekommen, um Friedrich Wilhelm Joseph Schellings Vorlesungen zu hören. Weiter hieß es in dem Brief: „So habe ich denn lange genug geseufzt und haben die Gedanken in mir geseufzt; als er das Wort ,Wirklichkeit’ nannte, vom Verhältnis der Philosophie zur Wirklichkeit, da hüpfte die Frucht des Gedankens in mir…Ich erinnere mich fast an jedes Wort, das er von dem Augenblick an sagte. Hier kann vielleicht Klarheit kommen.“

Kierkegaard sprach für die Intellektuellen seiner Zeit. Karl Jaspers nannte die Berliner Veranstaltung das letzte intellektuelle Ereignis von europäischem Rang. Dass sich die Situation in der Philosophie auf Schelling als Hoffnungsträger zugespitzt hatte, lag an der Entwicklung der vorausgegangenen Jahre. Hegel war 1831 in Berlin verstorben, woraufhin der Sturm auf sein System losbrach. Die Angriffe richteten sich dabei auf die religionsphilosophischen Partien. In der heute abseitig klingenden, damals jedoch lebhaft diskutierten Frage, ob Hegels Philosophie in der Lage sei, den Gehalt des Gedankens der göttlichen Persönlichkeit im Begriff einzufangen – was Hegel vorgab – entschied die Mehrheit der Disputanten gegen den Begriff.

In dieser aufgeheizten Stimmung meldete sich nach jahrelanger publizistischer Abstinenz Schelling zu Wort, der wichtigste Gegner Hegels. Indem er Begriff und Wirklichkeit, Vernunft und Wollen einander gegenüberstellte, läutete er die nachidealistische Ära der Philosophie ein. Im Vorwort der Übersetzung eines Werkes des französischen Philosophen Victor Cousin ließ Schelling verlauten, mit dem logischen Begriff, mit dem „Reinrationalen“, wie er es nannte, sei an die Wirklichkeit nicht heranzukommen. Die Immanenz des logisch vernünftigen Denkens müsse aufgebrochen werden in Richtung auf ein dem Denken zuvorkommendes „Wollen“ des Denkenden. Der Ausgangspunkt jeder Philosophie müsse daher in dem Satz bestehen: „Ich will nicht das bloße Seiende; ich will das Seiende, das ist oder existiert.“

Für vernunftgläubige Linkshegelianer wie Theodor Echtermeyer und Arnold Ruge blieb Schellings spätes Denken folgerichtig „nichts weiter als Romantik in Form der Philosophie“. Eben dieser Ruf eines romantischen, also konservativ christlichen Philosophen war es jedoch, der Schelling im Jahr 1841 den Posten an der Berliner Universität eintrug. Schelling sollte kommen, um, wie es am Berliner Hof hieß, „die Drachensaat des Hegelschen Pantheismus“ auszurotten. Im Oktober 1840 sandte König Friedrich Wilhelm IV. den Grafen Dönhoff mit der Werbung nach München, und als der bayerische Hof nach einigem Hin und Her Zustimmung signalisierte, gab es kein Halten mehr. Per Kabinettsordre wurden Schelling 5000 Taler Gehalt, 1000 Taler Umzugsgelder sowie unbedingte Zensurfreiheit zugesichert. Schelling selbst bat darum, vom Dekanat, Rektorat und allen sonstigen Universitäts-Geschäften freibleiben zu dürfen. In seinem Übereifer ließ Friedrich Wilhelm IV. Schelling noch vor Eintreffen des abgesandten Grafen wissen, es sei an ihm, unter welchen Bedingungen er komme, so dass Schelling bei 8000 Talern, Umzugsgelder inklusive, einschlug.

Unter den Liberalen verursachte die Nachricht Katerstimmung. Arnold Ruge kündigte an, Schellings Vorlesung allein in der Absicht zu besuchen, um „aktenmäßig zu beweisen, was alle Welt schon weiß, dass er nämlich nichts Neues weiß“. Schließlich, so bekannte Ruge heftig, sei Schelling für ihn „der eklatanteste Abfall von aller Philosophie überhaupt“.

Bevor Schelling das erste Mal in Berlin ans Pult trat, hatten seine Vorlesungen den Ruf eines Politikums ersten Ranges. Gleichzeitig hofften die Kritiker Hegels, von denen sich neben Kierkegaard etwa Johann Gustav Droysen, Friedrich Engels oder Michael Bakunin eingefunden hatten, Rüstzeug an die Hand zu bekommen, um die Enge des philosophischen Begriffs in Richtung auf die Wirklichkeit überwinden zu können.

Schelling selbst war dabei nicht der Mann, hinter solchen Ansprüchen zurückzubleiben. Er förderte sie nach Kräften. Mit der einen Hand wies er auf die dem Nihilismus erliegende Gegenwart, während er mit der anderen den Zeitgenossen das „Mittel der Heilung für die Zerrissenheit unserer Zeit“ verabreichen wollte. So versprach er seinen Zuhörern „eine starke Philosophie, eine solche, die mit dem Leben sich messen kann, die, weit entfernt, dem Leben und seiner ungeheuren Realität gegenüber sich ohnmächtig zu fühlen, oder auf das traurige Geschäft der bloßen Negation und Zerstörung beschränkt zu sein, ihre Kraft aus der Wirklichkeit nimmt“. Noch einmal gab Schelling damit der Überzeugung von der Kraft des Denkens Ausdruck. Allein die Philosophie sollte in der Lage sein, die Widersprüche der Zeit zu versöhnen.

Den Erwartungen seiner Zuhörer zu entsprechen, misslang Schelling jedoch. Der Kredit seines Denkens war aufgezehrt. Bereits im Februar 1842, wenige Monate nach dem Beginn der Vorlesungen, schrieb Kierkegaard an seinen Bruder: „In Berlin habe ich nichts mehr zu schaffen. Ich bin zu alt, um Vorlesungen zu hören, ebenso wie Schelling zu alt ist, um sie zu halten. Seine ganze Potenzlehre bekundet die höchste Impotenz." Und Varnhagen schimpfte in seinen Tagebüchern: „Man war auf wissenschaftliche Blöße und Schwäche gefasst, aber doch nicht auf solches Zeug.“ Immer mehr wuchs der Unwille, den Überlegungen Schellings zu folgen, dem bald die Zuhörer fernblieben.

In Berlin hieß es in den Folgejahren, Schelling lese jetzt zu herabgesetzten Preisen. Zuletzt schwand auch dem Philosophen die Hoffnung, sodass er Minister Eichhorn bat, ihn von seinen Pflichten zu entbinden. Im Wintersemester 1845/46 las Schelling zum letzten Mal über die Philosophie der Mythologie. Doch Schelling blieb in Berlin, wo er mit den Aufständen von 1848 den Anbruch einer neuen Zeit erlebte.

Das achtzehnte Jahrhundert, in das der 1775 Geborene hineinreichte, war lange zu Ende gegangen, und mit dem 19. Jahrhundert wandelte sich die Stellung der Philosophie. Die Hoffnung, sie könne ein Mittel zur Heilung der Zeit sein, war zerstoben. Die Wirklichkeit sollte nicht mehr gedeutet, sie sollte verändert werden. Die Zeit war reif für Karl Marx und Sören Kierkegaard.

Als Schelling am 20. August 1854 während eines Kuraufenthaltes in Bad Ragaz starb, war er bereits nicht mehr von der Welt, die ihm den Abschied gab.

1775

F. W. J. Schelling wird in Leonberg (Württemberg) geboren.

1790 - 1795

Schelling beginnt 15-jährig ein Theologiestudium in Tübingen – mit Hegel und Hölderlin. Schellings erste Veröffentlichung: „Ideen zu einer Philosophie der Natur“.

1798

Professur in Jena, Bekanntschaft mit Fichte, den Brüdern Schlegel und Novalis.

1799

Erster Entwurf zu einem System der Naturphilosophie.

1803

Heirat mit Caroline Schlegel. Ordentliche Professur in Würzburg.

1806

Schelling tritt in den Bayerischen Staatsdienst ein.

1809

Tod Carolines. „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der Freiheit“ erscheinen.

1812

Heirat mit Pauline Gotter.

1827-1841

Professur in München.

1835-1840

Lehrer des späteren Königs Maximilian II.

1841

Ruf nach Berlin.

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