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Gesundheit: Deutsch-amerikanische Konferenz: Geisteswissenschaften als bedrängter Riese

Die Sorge stand den etwa 30, fast ausnahmslos männlichen und angegrauten Hochschullehrern ins Gesicht geschrieben. Sie waren am Sonntag zur Eröffnung einer deutsch-amerikanischen Konferenz über die Perspektiven der Geisteswissenschaften in die Berliner Humboldt-Universität gekommen, und sahen sich gleich zu Beginn durch eine schonungslose Dia-Projektion mit ihrer möglichen Zukunft konfrontiert: Gulliver, der Riese, bewegungsunfähig am Boden, gepeinigt von Zwergen.

Die Sorge stand den etwa 30, fast ausnahmslos männlichen und angegrauten Hochschullehrern ins Gesicht geschrieben. Sie waren am Sonntag zur Eröffnung einer deutsch-amerikanischen Konferenz über die Perspektiven der Geisteswissenschaften in die Berliner Humboldt-Universität gekommen, und sahen sich gleich zu Beginn durch eine schonungslose Dia-Projektion mit ihrer möglichen Zukunft konfrontiert: Gulliver, der Riese, bewegungsunfähig am Boden, gepeinigt von Zwergen.

Mit dem Motiv hatte Wissenschafts-Staatssektretär Josef Lange seine Auftaktrede garniert, die Deutung, insbesondere die Identität der Zwerge, wurde jedoch erst im weiteren Verlauf der Vorträge klar. Diese kreisten um die zentrale Frage des Gedankenaustauschs mit Wissenschaftlern der Cornell-University aus Ithaca: Wie ist der dramatische Bedeutungsverlust der Geistes- gegenüber den Natur- und Ingenieurswissenschaften aufzuhalten?

Lange plädierte dafür, die Deregulation der universitären Arbeit voranzutreiben, sie stärker als bisher an den Bedürfnissen des Marktes zu orientieren. Studentenzahlen im Verhältnis zu denen der Wissenschaftler sollten verringert, das Lehrpersonal verjüngt und Ressourcen zielgenauer eingesetzt werden. Wichtig sei es, in Forschung und Lehre ein konkurrenzfähiges Profil zu entwickeln, und Unternehmen für "strategische Allianzen" zu gewinnen.

Wiederfinden liess sich das Bild des von Zwergenhand gelähmten Riesen im anschliessenden Vortrag Hunter R. Rawlings. Der Präsident der Cornell-University verdeutlichte nicht nur den sich verstärkenden Zwang zu ökonomischer Verwertbarkeit geisteswissenschaftlicher Arbeit, sondern betonte auch die Gefahren einer solchen Annäherung an die Wirtschaft. Er befürchte, dass man "die menschlichen Werte im Zentrum der Geisteswissenschaften aus den Augen verliere". Geisteswissenschaftler müssten weiterhin vor allem "moralisches Wissen entwickeln, unabhängig kritisieren und zwischen der Kultur der Elite und der der Masse vermitteln". Darin liege eine Chance, denn niemand sonst tue das.

Seine eigene und viele andere amerikanische Universitäten hätten sich freilich schon vor Jahren für einen leichteren Weg entschieden. Man habe sich den ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen weitgehend angeschlossen. "Möglicherweise sind wir dabei zu weit gegangen" räumte Rawlings nach der Veranstaltung ein. Für Deutschland treffe momentan noch das Gegenteil zu. Man müsse jetzt überlegen, wo hier Grenzen zu ziehen seien, um die Beweglickeit und Unabhängigkeit des Geistes gegenüber der Wirtschaft zu sichern, und ein Schicksal, wie es Gulliver erfahren hat, zu verhindern.

Rico Czerwinski

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