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Gesundheit: Deutsch ist uncool

Osteuropäische Schüler lernen lieber Englisch, aber Ältere üben weiter fürs Studium im Nachbarland

Bedrich Pazdera ist Deutschlehrer in Prag. Er ist gerne Deutschlehrer, aber leider lernen die tschechischen Schüler nicht mehr gerne Deutsch, sagt Pazdera: „Sie finden die Sprache uncool.“ Pazderas Englischkollegen am Wirtschaftsgymnasium geht es besser, sie suchen dringend Verstärkung.

Der unglückliche Pädagoge aus Prag war vor kurzem Gast beim Berliner Lehrerseminar, das die Berliner Landeszentrale für politische Bildung seit zehn Jahren regelmäßig veranstaltet. Auf dieser Tagung informieren sich deutsche Lehrer über aktuelle politische Entwicklungen. Dieses Mal tauschten sie Erfahrungen mit Deutschlehrern aus Mittel- und Osteuropa aus. Sie hörten bedenkliche Nachrichten. Denn auch in Russland und Ungarn stellen Deutschlehrer seit einiger Zeit fest, dass die Begeisterung ihrer Schüler für ihr Fach nachlässt.

Neue Zahlen aus dem Goethe-Institut bestätigen die Entwicklung. In Russland beispielsweise sank die – geschätzte – Zahl der Deutsch lernenden Schüler von etwa vier Millionen im Jahr 2000 auf etwa drei Millionen in diesem Jahr. In Lettland beträgt der Rückgang im gleichen Zeitraum mehr als 20 Prozent. Bei Bedrich Pazederas Landsleuten halbierte sich binnen zwei Jahren die Zahl fast: Von 624 100 Schülern im Jahr 2000 auf 365 200 im Jahr 2002. „Das Deutsche verliert Terrain als erste Fremdsprache“, stellt Robert Fallenstein vom Goethe-Institut fest.

Dabei galt noch vor einigen Jahren Mittel- und Osteuropa als die wahrscheinlich einzige Region auf der Welt, in der Deutsch mit Englisch als wichtigste Fremdsprache konkurrieren kann. Eine „regelrechte Explosion“ des Interesses am Deutschen habe es nach dem Umbruch von 1989 gegeben, sagt Robert Fallenstein. In Russland beispielsweise, wo an den Schulen oft nur eine Fremdsprache unterrichtet wird, lag Deutsch in der Mitte der Neunziger noch vor Englisch. Inzwischen kommen auf einen Deutschschüler mehr als zwei Englischlerner.

„Seitdem sich bei uns die Computer-Kultur etabliert hat, bevorzugen die Schüler Englisch“, hat Bedrich Pazdera beobachtet. Das trifft allerdings für Jugendliche auf der ganzen Welt zu. Deshalb spricht das Goethe-Institut von einer „Normalisierung“ beim Zuspruch für das Fach Deutsch. Schließlich sei Deutsch immerhin „als Zweitsprache ohne Konkurrenz, und zwar in allen osteuropäischen Ländern“, sagt Fallenstein. Allein auf den Einfluss von Internet, Popmusik und Videospielen sei der Vorrang des Englischen jedoch nicht zurückzuführen, betont Bedrich Pazdera. Denn gleichzeitig „verabschiedet sich langsam die Generation, die Deutsch als Kultursprache pflegte und teilweise noch als Umgangssprache nutzte“.

Nur in Polen ist die Begeisterung für die Sprache des westlichen Nachbarn ungebrochen. 2004 hatten 400 000 Schüler mehr das Fach Deutsch auf dem Stundenplan als 2000 – mehr als 2,5 Millionen sind es inzwischen. „Deutschland ist dort die Brücke zum Westen“, sagt Robert Fallenstein. Deutsche Unternehmen spielen als Arbeitgeber eine wichtige Rolle. Sie bieten Jobs in ihren polnischen Werken genauso wie in den Stammsitzen jenseits der Grenze. Für eine Einstellung setzen sie meistens Deutschkenntnisse voraus. Deutschland ist für viele junge Polen die erste Wahl, wenn sie im europäischen Ausland studieren wollen.

Das gilt bislang auch für junge Osteuropäer aus den anderen Ländern, die bereits die Universitäten besuchen. „Esten, die nach Portugal zum Studium gehen? Das gibt es einfach nicht. Für die ist Deutschland gleichbedeutend mit Europa“, sagt Werner Roggausch, der beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) für den Bereich Deutsch als Fremdsprache zuständig ist. Bei den Älteren boomt der Deutschunterricht deswegen – so wie früher auch in den Schulen. An den osteuropäischen Unis zählen Deutschkurse zu den beliebtesten. Die Kurse, die die Goethe-Institute in Mittel- und Osteuropa anbieten, werden regelrecht gestürmt. „Die Nachfrage ist so groß, dass wir sie gar nicht erfüllen können“, sagt Fallenstein. In Russland beispielsweise seien die Kurse „heillos überlastet“.

Allerdings sind dem Boom in der Erwachsenenbildung Grenzen gesetzt, finanzielle Grenzen. Gerne würden die Goethe-Institute mehr Sprachkurse anbieten. Dazu aber fehlt das Geld: Die Bundesregierung kürzte in den letzten Jahren beständig den Etat der deutschen Kultur- und Sprachvermittler im Ausland.

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