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Gesundheit: Deutschland für Außerirdische

Bedrohte Bildung: Warum Experten die Pläne zur Föderalismusreform geißeln

Befinden sich Deutschlands Schulen und Hochschulen vor dem finanziellen Ruin? Oder steht ihnen im Gegenteil eine neue Blüte zum Wohle der ganzen Nation bevor? An den Plänen zur Reform des Föderalismus scheiden sich die Geister – das gilt vor allem für Bildung und Forschung. Vor anderthalb Jahren platzte an dieser Stelle das schon fertig geschnürte Gesamtpaket zur Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung. Während die einen klarere Zuständigkeiten, also mehr Macht für die Länder wollten, verlangten die anderen, dem Bund auch weiterhin rechtliche und finanzielle Mitsprache einzuräumen, ja, diese gerne auch ein wenig auszubauen.

Seit der Einigung der großen Koalition liegt das umstrittene Paket wieder auf dem Tisch, mit den gleichen länderfreundlichen Formulierungen, die es schon im ersten Anlauf der Reform hatte und gegen die schon damals Schul- und Wissenschaftsexperten sowie viele Bundestagsabgeordnete, besonders außerhalb der Union, Sturm gelaufen waren. Zum Schlagabtausch kam es am Montag im Bundestag, als im Rahmen der Anhörungen vor dem Rechtsausschuss 24 Sachverständige ihre Statements abgaben.

„Besser keine Reform als diese!“ rief Christian Bode, Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), den Abgeordneten zu. Die jetzigen Pläne seien weder nötig, um die Länder zu stärken, noch geeignet, Probleme zu lösen. Aus Bodes Sicht wird die neue Verfassung statt dessen satirische Qualität haben. Während der Küstenschutz und die „Agrarstruktur“ auch weiterhin das Privileg genießen werden, als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern gemeinsam finanziert zu werden, wird dies für den Hochschulbau nicht mehr gelten. Auch für Hans Meyer, Verfassungsrechtler an der Humboldt-Universität, ist das ein Rätsel: „Würde ein Außerirdischer diesen Entwurf lesen, müsste er denken, Deutschland sei ein Agrarland.“

Bislang beteiligt sich der Bund an den Baukosten für Hochschulen und Unikliniken zu 50 Prozent, wenn die Länder die andere Hälfte selbst aufbringen. Jahrzehntelang war dies ein Anreiz für die Länder, hier zu investieren. Diese Zeit soll mit der Verfassungsreform zu Ende gehen, die Länder sollen den Hochschulbau allein übernehmen. In einer Übergangsphase bis 2013 zahlt der Bund den Ländern jährlich 695 Millionen Euro – aber ohne von ihnen wie bislang die Kofinanzierung einzufordern, wie Meyer kritisierte. Allerdings entfällt nach 2013 die Pflicht, die Bundesmittel tatsächlich für den Hochschulbau auszugeben. Damit entlarvten die Länder ihre Absichten bereits, meinte Meyer: Offenbar planten sie, das Geld für andere Zwecke als für die Hochschulen auszugeben – mit schlimmen Folgen. So berichtete Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität, an der HU tropfe es durch Decken, in Kriegsruinen wüchsen Birken. „Ostdeutschland hatte andere Voraussetzungen, dort wurde nicht seit den fünfziger Jahren gefördert“, sagte Markschies.

Peter Strohschneider, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, zeichnete ebenfalls ein dunkles Bild. Ohne Bundeshilfen wären die Länder gerade was die immer teurer werdende Universitätsmedizin betreffe völlig überfordert. „Es ist ausgeschlossen, dass die Länder das alleine tragen können“, sagte Strohschneider, einige Länder hätten das schon signalisiert. Sollte die Reform wie geplant umgesetzt werden, werde Deutschland in der Medizin eine Absenkung von Studienplätzen und von Qualitätsstandards sowie die Schließung von Fakultäten erleben – und in der Folge einen Ärztemangel.

Klaus Landfried, ehemaliger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, kritisierte, dass Deutschland mit der Reform wieder keine Chance bekäme, auf europäischer Ebene mit einer Stimme zu sprechen. Schon heute werde die Bundesrepublik bei allen wichtigen Entscheidung über europäische Förderprogramm übergangen.

Bedrohlich erschien mehreren Sachverständigen besonders, dass die neue Verfassung Bundeszuschüsse für die Lehre ausschließt, denn die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern soll abgeschafft werden. Auf Deutschland kommt in den kommenden Jahren jedoch eine neue „Studentenlawine“ zu, mit der die meisten Länder überfordert sein werden, wurde befürchtet. Schon mit der jetzigen Verfassung hätten die Hochschulsonderprogramme der achtziger Jahre auf wackeligen Beinen gestanden. Nach der Reform werde das erst recht der Fall sein. Die Pläne der jetzigen Bundesregierung, mit ihrem „Hochschulpakt 2020“ den Hochschulen Geld für die Forschung zu geben, um sie in der Lehre zu entlasten, wären nach Meinung von Hans Meyer oder Bernhard Kempen, Chef des Hochschulverbandes, eine „rechtliche Umgehung“ der neuen Verfassung. Er verstehe nicht, dass die Föderalismusreform so gestaltet werden solle, „dass man sie am nächsten Tag hintergehen müsste“, sagte Meyer. Kempen appellierte an die Abgeordneten des Bundestags: „Nutzen Sie die Gelegenheit, um für Rechtsklarheit und Rechtswahrheit zu sorgen.“

Nötig wird dieses „Umgehungsgeschäft“, weil die neue Verfassung etwas trennt, das in der deutschen Hochschultradition untrennbar ist, nämlich Forschung und Lehre, kritisierte Hans-Peter Schneider, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Instituts für Föderalismusforschung in Hannover. Der Bund müsse endlich auch explizit die Möglichkeit bekommen, die Lehre zu bezuschussen. Ein Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern wie Deutschland es plane, sei in keinem föderal organisierten Industriestaat der Welt bekannt. In Kanada, dessen Provinzen weit stärker als die deutschen Länder seien, fördere die Zentralregierung gerade mit mehreren hundert Millionen Dollar jährlich ein Vorschulprogramm.

Angesichts der großen Reformen, die Deutschland vor allem in Vorschulen und Schule anschieben müsste, wäre es sinnvoll, dem Bund zu erlauben, „Hilfen zur Fortentwicklung der Bildung zu leisten“, sagte Schneider. Das wäre zwar eine Umkehrung des Kooperationsverbotes. Aber für begrenzte Zeit sei ein solcher Kompromiss nötig.

HU-Präsident Markschies plädierte vehement für Investitionen des Bundes in die Lehre. Er erinnerte daran, „dass es um Menschen geht“, um die Betreuungsrelation zwischen Professoren und Studierenden. Da sei Deutschland international in keiner Weise konkurrenzfähig.

Ein bundesweites Förderprogramm für die Lehre? So etwas kann sich Manfred Erhardt, der einstige Berliner Wissenschaftssenator und ehemalige Generalsekretär des Stifterverbands, nicht vorstellen. „Die deutsche Sehnsucht nach Einheitlichkeit“ stehe dem föderalen Wettbewerb entgegen, sagte Erhardt. Wer verhindern wolle, dass manche Unis stärker und andere schwächer werden, müsse hinnehmen, dass sich alle zur Mittelmäßigkeit entwickeln. Im Übrigen sei keineswegs sicher, dass sich der Bund in dem Maße finanziell für die Bildung engagieren könne und wolle, wie es sich Vertreter von Schulen und Hochschulen wünschen würden. Im Moment suche sich der Bund „die öffentlichkeitswirksamen Rosinen“ heraus. Kurt Biedenkopf, der ehemalige sächsische Ministerpräsident, verwies auf den zweiten Schritt der Föderalismusreform, die Änderung der Finanzverfassung. Dabei müssten die Länder adäquat der ihnen neu zuwachsenden Aufgaben ausgestattet werden.

Bernhard Vogel, früher Ministerpräsident in Thüringen, sieht keine Hinweise dafür, dass arme Länder sich „automatisch bildungsfeindlich“ verhalten, ja nicht einmal dafür, dass mehr Investitionen in Bildung und Wissenschaft notwendigerweise zu besseren Ergebnissen führen. Das belege der Exzellenzwettbewerb, in dem die Uni Bremen gut abgeschnitten habe, oder die Pisa-Studie, in der zum Beispiel Sachsen-Anhalt weit oben stehe. Ohnehin habe die Pisa-Studie in einem Jahr mehr in Gang gebracht, als die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern, die nun abgeschafft werden soll, in 36 Jahren.

Wird die Föderalismusreform tatsächlich noch einmal aufgeschnürt? Christiane Ebel-Gabriel, die Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz, appellierte an die Politiker, „wirklich Gestaltungskraft zu zeigen“ und die Fehler der Reform noch zu beseitigen. Der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss versprach zuversichtlich: „Sie können sicher sein, wir werden Verbesserungen erzielen.“

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