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Gesundheit: „Die Alltagswelt ist eine Scheinwelt“

Jetzt will er Einstein widerlegen: Ein Gespräch mit dem Physik-Nobelpreisträger Theodor Hänsch

Herr Hänsch, das Berliner Publikum war begeistert, dass Sie die Quantenoptik so verständlich erklären konnten.

Es ist eine Art Hobby für mich, Wissenschaft begreifbar zu machen.

Damit stehen Sie gegen das Vorurteil, dass jemand, der sich mit Quanten beschäftigt, in einer ganz eigenen Welt lebt.

Es ist sicher eine Welt, die unserem Alltag völlig fremd ist. Um sich da einzudenken, muss man schon ein wenig ein Einsiedler sein. Aber letzten Endes ist die Quantenwelt tatsächlich die Realität. Die Alltagswelt ist eine in unserem Kopf zurechtgebastelte Scheinwelt.

Sie gelten ja als Bastler und Tüftler.

Von Jugend an habe ich gerne die Hände benutzt, um zu experimentieren. Andere lieben den Modellbau, ich freue mich, im Labor optische Experimente aufbauen zu können, um neuen Effekten auf die Spur zu kommen.

Wie die aktuellen Pisa-Ergebnisse zeigen, ist eine solche Freude an der Physik in der Schule schwer zu vermitteln.

Ich glaube, das hängt davon ab, wie es die Lehrer anpacken. Man sollte es nicht von der Mathematik her aufzäumen, die oft abschreckt, sondern von alltäglichen Verständnisfragen. Wie funktioniert der CD-Spieler, wie schafft es der Kühlschrank, die Milch kalt zu machen? Das ermöglicht es zu verstehen, wie die Technik und letztlich die Natur funktioniert.

Schauen wir auf die Forschung. Da ist die Physik trotz der Defizite in der Schule in Deutschland anscheinend gut dran.

In der Grundlagenforschung können wir uns international durchaus sehen lassen.

Wie kommt es, dass es gerade die deutschen Physiker sind und weniger die Chemiker oder Mediziner, denen – wie Ihnen jetzt oder Wolfgang Ketterle 2001 und einigen anderen in den letzten 20 Jahren – der Nobelpreis zugesprochen wurde?

Das könnte an der Tradition liegen. In Deutschland hatte die Physik schon immer einen hohen Stellenwert. Den ersten Nobelpreis überhaupt bekam ja mit Wilhelm Röntgen ein deutscher Physiker. Vielleicht werden bei uns die traditionsreichen Disziplinen eher gepflegt, die neuen Entwicklungen in anderen Feldern dagegen nicht so schnell aufgegriffen.

Sie haben 16 Jahre lang in den USA geforscht. Was können wir vom amerikanischen System lernen?

Wir können das nicht einfach nachmachen. Die ganze Gesellschaft in den USA funktioniert anders. Sie ist viel innovationsfreudiger. Das Land ist enorm viel reicher. Man kann Ressourcen viel verschwenderischer einsetzen. Auch für Forschungsprojekte, bei denen man das Geld ziemlich sicher in den Sand setzen wird. Man tut es trotzdem, weil es vielleicht eine kleine Chance für den Erfolg gibt. In Deutschland ist man viel konservativer und vorsichtiger.

Was hat unser System dagegen zu bieten?

Unsere Stabilität hat auch Vorteile, vor allem in der Grundlagenforschung, weil man risikoreiche Projekte verfolgen kann, von denen noch nicht abzusehen ist, dass sie in kurzer Zeit Früchte tragen werden. Das ist innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft recht gut ausgebaut. Wenn es aber darum geht, Ideen in Produkte umzusetzen, ist unser starres System eher hinderlich. Das sind uns die Amerikaner mit ihrer Flexibilität und Risikofreudigkeit überlegen.

Das deutsche System ist mit der Hochschulforschung und außeruniversitären Einrichtungen dual aufgebaut. Finden Sie, dass die Kooperation gut funktioniert?

Von Seiten der Max-Planck-Gesellschaft gibt es vielfach enge Zusammenarbeit. Viele neue Berufungen werden – wie bei mir – so ausgesprochen, das man gleichzeitig Professor an der Universität ist und Direktor am Max-Planck-Institut. Das ist sehr gut, weil man die Ressourcen der MPG nutzen kann, die meist wesentlich besser sind als das, was an den Universitäten verfügbar ist. Gleichzeitig profitiert die Forschung vom Enthusiasmus der Studenten.

Warum integriert man nicht die Max-Planck-Institute in die Unis?

Das würde nicht funktionieren. Diese Gleichmacherei würde die Max-Planck- Institute ausbluten lassen. Wenn man alle Universitäten gleich behandelt, verhindert man, dass sich Konstellationen herausbilden, bei denen einige Hochschulen deutlich an der Spitze stehen. Man kann nicht lauter Spitzenunis haben. Wenn ich alle gleich behandle, dann gibt es gar keine.

Es gibt ja jetzt die Exzellenzinitiative, mit der Spitzenforschung an Hochschulen gefördert werden soll.

Das ist erfreulich, ein erster guter Schritt. Früher durfte man das Wort Elite ja gar nicht in den Mund nehmen.

Sie sind Direktor am Max-Planck-Institut in Garching und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Funktioniert das gut? Es gibt Wissenschaftler, die sich ausschließlich auf die Forschung konzentrieren und sich nicht auch noch mit Studenten abgeben wollen.

Bei der experimentellen Forschung sind wir auf Doktoranden angewiesen. Das sind diejenigen, die sich nicht durch alte Vorurteile abschrecken lassen und die, wenn’s sein muss, wirklich Tag und Nacht mit aller Energie arbeiten. Mit Doktoranden zu arbeiten, ist daher keineswegs ein notwendiges Übel, sondern essentiell, um bei unserem Abenteuer Forschung wirklich voranzukommen.

Experimentieren Sie selbst auch noch?

Ich habe mein eigenes kleines Labor an der Universität München, wo ich kleine Ideen schnell ausprobiere, um zu sehen, ob ich auf dem Holzweg bin.

Sie haben die Frequenzkamm-Technik erfunden, was vom Nobelkomitee als Begründung für die Auszeichnung hervorgehoben wurde. Was ist das Besondere an dieser Technik?

Der Frequenzkamm ist ein Werkzeug, um die Farbe von Licht extrem genau zu bestimmen. Das ist interessant im Zusammenhang mit Atomen. Die sind sehr wählerisch, was die Farbe des Lichts angeht. Beleuchtet man ein Atom mit Laserlicht, so wird es nur angeregt, wenn die Frequenz ganz genau stimmt. Und die Größe der Frequenz liefert wiederum Informationen darüber, was in dem Atom vor sich geht. Nun gibt es Spektrallinien, die unheimlich scharf sind, so dass die Frequenz auf einen winzigen Bruchteil genau stimmen muss.

Was haben Sie erreicht?

Es gab keine praktikable Methode, die Farbe des Lichts genau genug zu bestimmen. Einige Labors in nationalen Standardinstituten hatten ganze Fabrikhallen voller Laser, um die Frequenz des Lichts, das sind ja die Schwingungen pro Sekunde, zu vergleichen mit den Mikrowellenfrequenzen des Cäsium-Atoms, mit denen die Sekunde definiert ist. Heute haben wir ein nur noch schuhkartongroßes Gerät, das viel mehr leistet als diese Fabrikhallen früher. Diese konnten nur eine Farbe bestimmen, wir können inzwischen jede beliebige Farbe aus 15 oder 16 Dezimalstellen genau messen.

Was sind Ihre Ziele in der Forschung?

Wir arbeiten mit dem Frequenzkamm. Er ist ein Werkzeug für uns, etwa um zu untersuchen, ob Naturkonstanten wirklich konstant sind oder ob sie sich langsam ändern. Und ob Einstein mit seiner Relativitätstheorie wirklich Recht hatte.

Wie wollen Sie das überprüfen?

Insbesondere die spezielle Relativitätstheorie macht sehr präzise Vorhersagen. Bisher hat man keine Abweichungen gefunden. Doch mit unseren Frequenzkämmen können wir eben noch viel genauer messen. Niemand weiß, ob alles noch stimmt, wenn wir das überprüfen.

Würden Sie sich freuen, wenn Sie Einstein widerlegen könnten?

Ja, das würde heißen, dass wir noch nicht auf dem Boden der Erkenntnis angelangt sind, sondern, dass es immer noch neue Phänomene gibt, die man erklären muss.

Es war zu lesen, dass Sie sich sehr gefreut haben, als Sie die Nachricht über den Nobelpreis bekamen. Mit welchen Gefühlen denken Sie jetzt daran, dass Sie in etwa einem Monat in Stockholm die höchste wissenschaftliche Auszeichnung entgegennehmen werden.

Mit ein wenig Angst und Sorge wegen der Ablenkung und der Verpflichtungen, die auf mich zukommen. Andererseits ist es eine schöne Bestätigung nicht nur für mich, auch für das Gebiet, für unser Institut und alle, die uns geholfen haben, das hier in Deutschland zu realisieren.

Was halten Sie davon, dass der Nobelpreis oft erst zwei, drei Jahrzehnte nach der Forschungsleistung verliehen wird?

Es ist vielleicht besser, wenn man ihn nicht zu früh bekommt. Ich kenne Nobelpreisträger, die danach praktisch aufgehört haben zu forschen.

Das Gespräch führte Paul Janositz.

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