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Gesundheit: Die alten Geliebten fallen über ihn her

"Käte, du sollst blau tragen": HdK-Schauspielstudenten nähern sich BrechtVON TOM HEITHOFFBrecht ist tot? Nein, noch nicht ganz.

"Käte, du sollst blau tragen": HdK-Schauspielstudenten nähern sich BrechtVON TOM HEITHOFFBrecht ist tot? Nein, noch nicht ganz.Noch röchelt er, noch japst er nach Luft in seinem rostigen Krankenbett und wimmert leise vor sich hin.Der starke Brecht mit äußerst schwachem Atem.Aber gleich ist es soweit.Der Moment des Sterbens ist gekommen.Und diese Sekunde ist nicht leer, sie ist voller Vergangenheit.Die Bilder seines Lebens stürzen auf ihn ein.Und er ist natürlich mittendrin. Die Schauspielklasse des 3.Jahrgangs der HdK zeigt diesen Lebens-(Alb-)Traum des sterbenden B.B., der in Augsburg beginnt, in der Pennälerzeit ungelenker Jungs, die nach den Mädchen schielen und schüchtern mit den Füßen scharren.Mit grandioser tänzerischer Komik schwankt hier das Verhältnis der Geschlechter über die Bühne (stimmungsvoll im Stile einer Stummfilmbegleitung unterstrichen von einer vierköpfigen Combo um Eckehard Scholl), bis Brecht endlich seine Stimme erhebt und sich als Dichter in die Welt pflanzt. Er ist ein Kerl, der Brecht.Oder doch nicht? Sein Bild bekommt im Laufe der Aufführung neue Konturen.Der starke Mann, den man zu kennen meint, ist er hier nicht.Auch wenn er sich in seinen frühen Allmachtsphantasien der "Baal"-Zeit aufführt wie ein Gott auf Erden, auch wenn er die Frauen schwängert und zweien zugleich die Heirat verspricht, erscheint er in der Inszenierung von Barbara Bilabel auch stets als Opfer. Anfangs ist er das Opfer seiner Triebe, seiner Ansprüche an die Welt.Und auch in der nächsten Station Berlin, wo er mit der Dreigroschenoper seinen großen Erfolg hat, wo er die Theorie des epischen Theaters formuliert, zeigen sich unerwartet Züge der Machtlosigkeit: Wie verschüchtert sich der lederjackentragende Autor der Dreigroschenoper plötzlich zeigt, als er die Moritat von Mackie Messer vortragen soll.Wie er stammelt und die Einsätze verpaßt und sich hilfesuchend umdreht.Wie er sich in den Frack des Erfolgs zwängen lassen muß.Fast hat man Mitleid mit ihm, auch wenn er sich auf der Theaterprobe wieder als rechter Kotzbrocken aufführt. Ohnmächtig wirkt er auch, wenn er nach der Vertreibung durch die Nazis in Hollywood ankommt und an der glatten grellen Oberfläche der Amerikaner keinen Halt findet; ein verschüchterter kleiner Fremdling stapft und tänzelt da durch die Szene, einer, der plötzlich sogar in die Rolle des Geopferten aus dem Lehrstück "Die Maßnahme" gerät, als der Ausschuß für unamerikanische Tätigkeiten Teile dieses Stückes zitiert und Brecht zum "Mitspielen" nötigt. Übermächtig in ihrer - zum Teil köstlich karikierten - Tumbheit ist auch das Personal seiner letzten Station Ost-Berlin.Wehrlos muß er sich die Reden der Politiker anhören, muß sich mit dem Stalinpreis behängen lassen (wobei ihm prompt ins Herz gestochen wird)."Die Deutsche Demokratische Republik war sein Staat.Er stand mit ihm auf Du und Du, und er war ganz der seine" wird da mit dünner, sich überschlagender Stimme dem Brecht ins Ohr posaunt.Und der kann sich nur noch winden.Der "neue Klassiker des Arbeiter- und Bauernstaates" vertreibt die graugesichtigen Lobredner mit erotischer Lyrik. Schließlich zieht "Helene Weigel" ihren schwachen Dichter im Krankenbett auf der rotierenden Drehbühne hinter sich her - wie einst als Mutter Courage.Doch lange hält sie das nicht durch.Sie läßt los, und das Bett, darin ein wimmernder Brecht, fährt in den Hintergrund, wo seine ehemaligen Frauen versammelt sind, um einen letzten Blick auf ihn zu werfen.Und dann? Dann ist er plötzlich tot. "Wir glauben, daß Brecht in Wahrheit nach der blauen Blume suchte", heißt es mit Blick auf den Titel (Käte, du sollst blau tragen) im Programmheft.Vielleicht.Vielleicht wollte man auch etwas Neues über Brecht sagen, indem man die Figur geviertelt hat? Brecht in vier Stücke gehauen, indem vier Schauspieler (Andreas Bisowski, Andreas Maier, Markus Wünsch und Koen Monserez) in seine Rolle schlüpften? Barbara Bilabel und die neunköpfige HdK-Schauspielklasse haben - vielleicht war das richtig - sich auf der Bühne jedenfalls mit Thesen zurückgehalten.Sie haben in einer bilderreichen, betont subjektiven Annäherung "ein Stück Brecht" zusammengesetzt, das sich nicht in die Diskussion um den "wahren B.B." einmischen will. Und auch wenn in der letzten Szene seine in jedem Sinne "alten" Geliebten über ihn herfallen, wird das keine Diskussion unter den Gelehrten auslösen.Denn was man sieht, ist ein Traum, ein Spiel, eine Phantasie.Und die steckt glücklicherweise nur mit einem Bein in der Realität. Weitere Vorstellungen täglich bis zum 24.Februar, jeweils 19 Uhr 30 im Theatersaal der HdK, Fasanenstr.1b.Karten können unter der Nummer 3185-2191 reserviert werden.

TOM HEITHOFF

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