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Gesundheit: Die Autowelle bricht noch lange nicht - aber der Otto-Motor verliert

Immer diese schwierigen Entscheidungen schon am frühen Morgen: Das silberne Cabrio heute oder besser der rote Kombi? In den passen die Bilderrahmen leichter rein, die sie noch abholen will.

Immer diese schwierigen Entscheidungen schon am frühen Morgen: Das silberne Cabrio heute oder besser der rote Kombi? In den passen die Bilderrahmen leichter rein, die sie noch abholen will. Sophie Driver könnte auch den dicken Schwarzen ihres Lebenspartners nehmen. Der ist die ganze Woche in Amerika "on business". Sie nimmt den Kombi und schaltet für die Fahrt nach Mitte den Elektroantrieb ein. Schön leise und schön sauber so - und der Autopilot, der seit fünf Jahren in allen neuen Autos zur Standardausstattung zählt, könnte die Fahrt fast zu einem puren Vergnügen werden lassen, wenn nur nicht so wahnsinnig viele andere Menschen in ihren noblen oder ulkigen Karossen unterwegs wären. Es ist unheimlich eng geworden auf den Straßen der Hauptstadt an diesem Dienstagmorgen im Januar 2020. Unvorstellbar, fast anderthalb Millionen Pkw sind jetzt in Berlin gemeldet. Über zweihunderttausend sind in den zwanzig Jahren seit Jahresbeginn 2000 dazu gekommen. Gottseidank sind nicht alle gleichzeitig "auf Achse". Man kann ja auch seine Anzüge nicht alle auf einmal tragen. Aber auf den Strassen sind fast so viele Autos mit fremden Kennzeichen unterwegs wie solche mit dem "B" auf den Schildern.

In Deutschland wird die Flotte der Personenkraftwagen bis 2020 auf über 51 Millionen angewachsen sein. Noch einmal 10 Millionen mehr als heute. 1950 waren es kaum 1,3 Millionen und 1990 "erst" 32 Millionen in ganz Deutschland. Ein Teil der zusätzlichen Autos geht auf das Konto der noch um fast 2 Millionen zunehmenden Zahl der über 18jährigen. Denn das sind diejenigen, die prinzipiell "führerscheinfähig" sind. Im statistischen Durchschnitt verfügen dann 1000 Erwachsene über 750 Autos, heute sind es schon 640. Da viele Erwachsene dann zu alt sind, um noch selbst zu fahren, da andere auf ein eigenes Auto verzichten werden - wo soll man die Dinger in der Stadt auch lassen - sind zwei oder drei Autos in etlichen Haushalten gar nichts Außergewöhnliches mehr.

Das alles und noch viel mehr wissen die professionellen Weissager von der Deutschen Shell AG. Seit Jahrzehnten leuchten sie mit ihren immer besser konstruierten vorausgerichteten Scheinwerfern die Zukünfte der Autowelt in Deutschland aus. Ihre Bilanz kann sich sehen lassen. Die Prognosen haben eigentlich immer ins Schwarze getroffen oder zumindest dicht daneben. Deshalb darf man den jüngsten Voraussagen (Shell-Pkw-Szenarien "Mehr Autos - weniger Emissionen", 1999) getrost vertrauen.

Das gilt auch für die frohe Botschaft, dass die um mehrere Millionen größere Autoflotte dennoch deutlich weniger Treibstoffe verbrauchen wird. Neue Wagen kommen in zwanzig Jahren im Durchschnitt mit vier Litern Kraftstoff aus, nur noch halb so viel wie heute. Und alle zusammen, die älteren Vielsäufer und die sparsamen Neuen schlucken rund dreißig Prozent weniger als heute noch. Auch das führt zu einer längst überfälligen Entlastung der Umwelt, weil die Emissionen kräftig zurückgehen werden.

Dieses Wunder "Mehr Autos und doch weniger Emissionen" ist bei Licht besehen gar keines. Warum nicht? Weil die einzelnen Kutschen, wie ihre historischen Vorgänger, als Pferdestärken noch Pferdestärken waren, je nach Wetter und je nach Anlass zur Ausfahrt aus der Remise geholt werden. Damit kommen am Ende eines Jahres immer weniger Kilometer auf jedem Tachometer hinzu. Die jährlichen Fahrleistungen der Autos gehen von 12.650 (1998) auf nur noch 11.500 Kilometer zurück. Und weil das so ist, wächst auch die Gesamtfahrleistung aller PKWs im Lande nicht so stark wie die Fahrzeugflotte. Aber so zwischen 20 und 85 Milliarden Kilometer mehr als heute werden es bis 2020 schon werden, je nach dem, welches der beiden Szenarien der Shell-Studie man für wahrscheinlicher hält. In dem Szenario "Neue Ordnung" lassen die Zukunftsforscher die Wirtschaft stärker wachsen und die Verkehrswege kräftiger ausbauen. Die alternative Zukunft unter der Dachmarke "Kreative Vielfalt" klingt nur schön. In ihr "dominiert der einzelne Mensch mit seiner Vielfalt an Meinungen, Interessen und Weltanschauungen. In einer hektischen und hochtechnisierten Welt setzt er mit großer Kreativität auf spontane Veränderungen und pragmatische Problemlösungen." Weil "der Staat und seine Institutionen mit dem Veränderungsdruck nicht Schritt halten und an Einfluß verlieren" wächst die Wirtschaft nur verhalten und die "Verkehrsprobleme, speziell in Ballungsgebieten, nehmen zu. Doch die Kreativität der Menschen findet einen Ausweg, ihr Mobilitätsbedarf verlagert sich auf die virtuelle Ebene: online shopping, Video-Konferenzen und Arbeiten im virtuellen Büro ersetzen zunehmend die physische Mobilität".

Ob das eine wahrscheinliche Zukunft ist, darüber läßt sich streiten. Aber wahrscheinlich und erfreulich liest sich, dass der Antrieb nach Otto in beiden Szenarien an Bedeutung verliert und alternative Antriebe, vor allem durch Brennstoffzellen, in zwanzig Jahren bis zu zwanzig Prozent der Fahrzeuge bewegen sollen. Auch das Cabrio von Sophie Driver.

Heik Afheldt

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