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Gesundheit: „Die Belastung muss eingeschränkt werden“ Der Tumorspezialist Klaus-Peter Hellriegel über Prävention

„Wer nicht zur Früherkennung geht, braucht kein schlechtes Gewissen zu haben.“ Stimmen Sie diesem Kernsatz aus dem neuen Buch „Mythos Krebsvorsorge“ zu?

„Wer nicht zur Früherkennung geht, braucht kein schlechtes Gewissen zu haben.“ Stimmen Sie diesem Kernsatz aus dem neuen Buch „Mythos Krebsvorsorge“ zu?

Die Autoren vertreten die Auffassung, dass jeder unter Abwägung der Chancen und Risiken für sich zu entscheiden hat, ob er zur Früherkennung geht oder nicht. Das halte ich prinzipiell für richtig: Die Teilnahme an einer Früherkennungsuntersuchung sollte freiwillig sein. Der informierte, aufgeklärte, aktivere und kritische Patient, der sich mit seiner Erkrankung auseinandersetzt, hat bessere Chancen bei der Überwindung seiner Erkrankung, speziell auch im Kampf gegen Krebs. Wer nicht zur Früherkennungsuntersuchung geht, geht das Risiko ein, dass seine Erkrankung zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt wird, bereits weiter fortgeschritten ist und deshalb geringere Heilungschancen hat. Wer zu einer Früherkennungsuntersuchung geht, betreibt eine Risikominimierung. Dass er dabei auch gewisse Risiken eingeht, ist unvermeidbar. Und er muss sich darüber im klaren sein, dass die Untersuchungen keinen absoluten Schutz vor Krebs bieten können.

„Krebsfrüherkennung ist teuer und erfüllt nicht ihre Aufgaben“, lautete eine kritische These Ihres Kollegen Lothar Weißbach aus dem Jahr 2000. Hat sich seitdem etwas verbessert?

Diese These ist bewusst provokant formuliert, sie bedarf einer differenzierteren Betrachtung. Zum einen gibt es Erkrankungen, bei denen die Diagnosestellung im Frühstadium keine Auswirkungen für die Therapie hat. Hierzu zählt etwa eine Form von Blutkrebs, die chronische lymphatische Leukämie. Auch die Früherkennung von Fernmetastasen ist bei Frauen mit Brustkrebs keineswegs mit einer verbesserten Lebenserwartung verbunden. Bei einer Reihe anderer Untersuchungen sind die Verfahren entweder zu aufwendig oder zu ungenau. Es gibt aber heute einige Untersuchungen, deren Einsatz sinnvoll ist, weil das Verhältnis zwischen Aufwand, Nutzen und eventuellem Schaden günstig ist: Ich nenne nur die Untersuchung auf Gebärmutterhalskrebs, auf Brustkrebs bei Frauen zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr und bei Patienten mit einem erhöhten genetischen Risiko.

Machen die Werbekampagnen zur Früherkennung („Krebs ist heilbar“) nicht zu große Versprechungen?

In Deutschland erkranken etwa 350000 Personen jährlich an Krebs. 140000 von ihnen können geheilt werden. Heilung heißt, dass die Betroffenen die gleiche Lebenserwartung haben wie Gleichaltrige, die nicht an Krebs erkrankt sind. Dass Kranke mit weniger fortgeschrittenen Krebserkrankungen eine höhere Heilungsrate haben, ist unbestritten. Werbekampagnen für eine qualitätsvolle Früherkennung halte ich deshalb für berechtigt.

Die Wahrnehmung der Krebsärzte sei verzerrt, kritisieren Weymayr und Koch in ihrem Buch: Sie müssten immer wieder hilflos zusehen, wie junge Patienten an Krebs sterben. Deshalb verlören sie die Perspektive der Gesunden, also der Mehrheit, aus den Augen. Stimmt das?

Ich glaube nicht, dass der verantwortungsbewusste Arzt seine Augen vor den negativen Konsequenzen der Früherkennung verschließt. Für jeden Arzt sollte ja das Prinzip des „primum nil nocere“ gelten, also die Maxime, in erster Linie nicht zu schaden. Das Gespräch hat dabei einen hohen Stellenwert. Zu einer psychischen Belastung können besonders falschpositive und falsch-negative Befunde führen, die bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar sind. Die Belastung muss eingeschränkt werden, indem der Zeitraum zwischen der Mitteilung des ersten Untersuchungsergebnisses und der Zusatzdiagnostik möglichst gering ist.

Das Interview führte Adelheid Müller-Lissner.

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