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Gesundheit: Die Einsamkeit der Mammutjäger

Puristisch: Das wieder eröffnete Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte

Merowingische Krieger reiten über den Schlosshof. Wilde Germanen scharen sich durstig um ein Metfass. Schmuckgießer formen Gewandspangen, wie sie Jahrhunderte später in Frauengräbern gefunden werden. Wenn an diesem Sonnabend das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte im Langhansbau des Schlosses Charlottenburg wieder eröffnet, geht es volkstümlich zu. Museumsleiter Wilfried Menghin hat eine „Re-Enactment-Gruppe“ zum zweitägigen Fest eingeladen. In originalgetreuen Kostümen zeigen sie die Handwerkskunst der Menschen in Europa um 500 bis 700 n. Chr.

Ein Mitmach-Programm für Jung und Alt mit Bogenschießen und Axtwerfen, verspricht Menghin. Im neugestalteten Museum selbst fehlen solche populären Inszenierungen fast vollständig. Betont kühl ist die Ausstellungsarchitektur des Büros Roger Karbe mit den schwarz gefassten Glasvitrinen, den weißen Wänden und dem dunkelgrauen Teppichboden. Karbe gestaltete auch schon den im August 2003 eröffneten Umbauabschnitt mit Sälen zum Paläolithikum, Neolithikum und zur Bronzezeit.

Wer es anschaulich mag – und das sind ja nicht nur Kinder – fühlt sich am ehesten im Virchow-Saal wohl. Hier gibt es einen Überblick über die Menschheitsgeschichte vom Australophitecus bis zum Homo Sapiens Sapiens und über die Technikgeschichte von der Steinzeit bis zum Mittelalter. Im Virchowsaal überlebten auch drei der in den 60er-Jahren gestalteten Dioramen, darunter ein Lager eiszeitlicher Mammutjäger in Mähren.

Doch in den übrigen Sälen und Vitrinen sprechen nur die Objekte und überraschend kurze Erläuterungstexte zum Betrachter. „Puristisch“ nennt Menghin die Präsentation. Der Archäologe hält nichts davon, „aus Gewandnadeln ein ganzes Gewand zu rekonstruieren“. Er zeigt nur die Nadeln, wie sie etwa in Hügelgräbern der Hallstattkultur (7. bis 6. Jahrhundert v. Chr.) in der Oberpfalz gefunden wurden. Die Vor- und Frühgeschichte arbeitet zu sechzig Prozent mit Grabfunden, zu dreißig mit Schatz- oder Hortfunden und zu zehn Prozent mit Objekten, die in Siedlungen gefunden werden, erklärt Menghin. Da gäbe es nur wenige Funde, die solche lebensnahen Inszenierungen zuließen, wie Museumsbesucher sie lieben.

Aber warum wird auch schriftlich so wenig erklärt? Menghin glaubt nicht an den „Lernort Museum“, will Raum für die Fantasie der Besucher lassen. Ihm sei es am wichtigsten, dass sie eine Vorstellung davon bekämen, wie unterschiedlich die Menschen zur selben Zeit in West- und Südeuropa lebten. Menghin geht es darum, das „Kulturgefälle“ etwa zwischen Römern und Germanen zu zeigen. Eine Vitrine in Saal 5 zeigt Objekte aus dem Fürstengrab von Lübsow in Pommern: Eine fein gearbeitete Bronzestatuette – „römische Importware“ – scheint über den eher primitiv anmutenden Zeugnissen der germanischen Handwerkskunst zu schweben. Solche Nachbarschaften sprechen für sich, meint Menghin.

Das heißt nicht, dass es in der neuen Ausstellung keine Inszenierungen mehr gibt. Aber auch sie sind eher ästhetischer Art. So leuchtet der berühmte kegelförmige Priesterhut aus der Bronzezeit im neuen „Goldsaal“ in seiner Einzelvitrine nicht nur dank eines ausgeklügelten Lichtsystems. Durch einen Mauerschlitz treffen außerdem Sonnenstrahlen auf den goldenen Kulthut eines Priesters – aber nur zur Wintersonnenwende. Eine Inszenierung der astralen Bezüge der Ornamente, die Menghin entziffert hat. Neben dem Goldhut zeigt das Museum erstmals die vor zwei Jahren erworbenen Werkzeuge eines Goldschmiedes aus der Bronzezeit, darunter Stempel, wie sie für die Punzierung des Helms verwendet wurden.

Golden glänzt auch der Schatz des Priamos, den der deutsche Kaufmann und Hobby-Archäologe Heinrich Schliemann 1873 in Troja entdeckte. Die Brust- und Ohrgehänge, die Diademe, Armreifen und die Trinkgefäße sind in Berlin allerdings nur in Repliken zu sehen – auf unabsehbare Zeit, wie Menghin mittlerweile glaubt. Die Originale, die von der Roten Armee 1945 als Kriegsbeute nach Moskau verschleppt wurden, gelten nach einem Duma-Gesetz von 1998 als Eigentum des russischen Staates.

Im neuen Schliemann-Saal öffnet sich auch ein neues Fenster in das reiche Magazin des Museums: Erstmals werden die sehr gut erhaltenen Stücke aus der Sammlung von Max-Ohnefalsch-Richter, dem „Schliemann Zyperns“, gezeigt, darunter eine Saugschale mit Stierkopf aus dem 11./10. Jahrhundert v. Chr. Diese Sammlung, die bis zur Wende in Ostberlin eingelagert war, gehört zu den Schätzen, die die Berliner Vor- und Frühgeschichte trotz der Kriegsverluste wieder zu einem bedeutenden Museum in Europa machen.

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