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Gesundheit: Die Gesundheitsbewegung

Körperliche Aktivität vermindert das Risiko für Gelenkleiden. Mit dem Training sollte man früh beginnen

Der Mensch ist ein „Lauftier“, das sich freiwillig für lebenslängliches Sitzen entschieden hat, mit verheerenden Folgen für seine Gesundheit. Leiden des Stütz- und Bewegungsapparats („muskuloskelettale Krankheiten“) haben so zugenommen, dass die Orthopäden sich fragen, ob deren Behandlung künftig noch finanzierbar ist.

Und da so gut wie alle Körperfunktionen von der Bewegung abhängig sind, stieg auch die Fallzahl vieler anderer Krankheiten enorm an. Denn Inaktivität ist das Gesundheitsproblem des dritten Jahrtausends. Dies war der Tenor kürzlich beim „Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie“ im Berliner ICC. Die Neandertaler mussten – so schätzen manche Forscher – täglich 40 Kilometer laufen. Der Zivilisationsmensch legt im Durchschnitt eineinhalb Kilometer zurück – „vom Fernseher zum Kühlschrank zum Klo“ sagte Hans-Jürgen Pesch (Universität Erlangen-Nürnberg).

Bewegungsmangel fördert, zusammen mit zu kalorienreicher Ernährung, das Übergewicht. Nach einer bundesweiten Erhebung des Berliner Robert-Koch-Instituts sind selbst von den Drei- bis Siebzehnjährigen schon 15 Prozent übergewichtig. „Kinder sitzen heute im Durchschnitt achteinhalb Stunden täglich“, berichtete der Berliner Orthopäde Siegfried Götte (Vorsitzender der Akademie Deutscher Orthopäden) und mahnte mehr Schulsport an.

Die Hälfte aller Schulkinder hat Haltungsschwächen oder -schäden, doppelt so viele wie vor 50 Jahren. Mehr als die Hälfte der Schüler kennt schon Rückenschmerzen, später der häufigste Grund für Frühberentung. Insgesamt ist etwa jeder vierte Fall von Invalidität und von Arbeitsunfähigkeit auf Leiden des Muskel- und Skelettsystems zurückzuführen, wie Wolfhart Puhl (Orthopädische Spezialklinik Oberstdorf) konstatierte. Dazu gehört auch die Osteoporose. Der übermäßiger Knochenschwund wäre aber laut Puhl durch Bewegung und Belastung am besten zu verhüten und zu behandeln.

Auch für die Arthrose wird der Boden schon in der Jugend bereitet. Sie ist zwar eine Verschleißkrankheit, aber außer durch Unfallverletzungen wird dieser Verschleiß, nach dem Motto „Wer rastet, der rostet“, durch Bewegungsmangel gefördert und nicht durch Bewegung, sofern sie nicht mit Überlastung verbunden ist. Eine trainierte, gut entwickelte Muskulatur schont und stützt nämlich die Gelenke. Dass Frauen häufiger Arthrose bekommen, erklärte Götte mit ihrer geringeren Muskelkraft.

Die Rolle des Übergewichts, der andere große Risikofaktor für diese degenerative Gelenkkrankheit, analysierten Wissenschaftler der TU Dresden: Je höher das Körpergewicht, desto früher bekommt man eine Arthrose. Diese tritt nicht nur in den besonders belasteten Hüft- und Kniegelenken, sondern erstaunlicherweise auch in den kleinen Gelenken der Hände auf.

Die Orthopäden erwähnten aber auch die wichtigsten anderen, eher „internistischen“ Folgen der Fettleibigkeit: das metabolische Syndrom, eine Stoffwechselstörung. Sie steigert das Risiko für Diabetes, außerdem für Bluthochdruck und erhöhte Blutfettwerte, was wiederum die Gefahr einer Herz-Kreislauf-Krankheit ebenso ansteigen lässt wie der Bewegungsmangel.

Aus der Kenntnis der Risiken ergeben sich die Empfehlungen zur Prävention: Abnehmen, vernünftig essen, natürlich nicht rauchen und sich genug bewegen. Immer wieder wurde Sport empfohlen, aber ohne Überbelastung.

„Der Sport des älteren Menschen ist der Spaziergang“, sagte Puhl. Auch so kann man im Alter Muskeln, Sehnen, Knochen, Bandscheiben und das Herz-Kreislauf-System täglich ausreichend belasten und sich damit seine Mobilität erhalten, sofern man früh damit angefangen hat. Jochen Eulert (Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie) prägte das paradox klingende Wort von der „Pädiatrischen Geriatrie“. Das bedeutet: Schon als Kind legt man den Grundstein für ein gesundes Alter. So haben sich spezielle Gymnastikprogramme für Kleinkinder bewährt, und zwar gleich doppelt: Die Kinder wurden nicht nur körperlich, sondern auch geistig beweglicher und im Vergleich zu ihren Altersgenossen später weniger anfällig für Gelenk- und Rückenleiden.

Aber wie motiviert man möglichst die ganze Bevölkerung zu lebenslanger Bewegung? Es gibt eine europäische Präventionskampagne, die eben dies anstrebt, mit dem Ziel der Gesunderhaltung des Stütz- und Bewegungsapparats, berichtete Anthony Woolf (Universität Exeter). Gemeinsame Aktivitäten sind in Deutschland bereits zu registrieren. Sportvereine, Bundesministerien, Medien, Krankenkassen und Volkshochschulen unterstützen die Initiative „Deutschland bewegt sich“.

Wie Johannes Vöcking (Barmer Ersatzkasse) berichtete, haben sich in diesem Rahmen seit 2003 in über 8000 Einzelveranstaltungen (Laufen, Walken oder Badminton) 19 Millionen Menschen bewegt. Ein bemerkenswerter Anfang einer Massenbewegung. Dazu Vöcking: „Wir hätten kein Finanzierungsproblem im Gesundheitswesen, wenn sich die Einstellung und das Verhalten der Bevölkerung ändern würde.“

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