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Gesundheit: Die Krankheit danach

Als ob ein Schlaganfall nicht schon schlimm genug wäre: Viele bekommen hinterher eine Depression. Die Mediziner können sich den Zusammenhang bislang kaum erklären.

Wer würde nicht trauern, wenn ein solches Ereignis ganz plötzlich ins Leben eingebrochen ist? Von einem Tag auf den anderen nicht mehr laufen zu können, wegen einer halbseitigen Lähmung den einen Arm nicht mehr zu spüren, die Sprache zu verlieren. Möglicherweise erstmals im Erwachsenenleben von der Pflege durch andere abhängig zu sein. Nicht zu wissen, wie alles weitergeht, welche Besserungen noch zu erwarten sind. Zu ahnen, dass es mit harter Arbeit verbunden sein wird, alles annähernd wieder so wie früher hinzubekommen. Eine lange Durststrecke ist zu überwinden. Und man ist verwundbar geworden, man fürchtet, bald erneut einen Schlaganfall zu erleiden.

„Niedergeschlagenheit bis hin zur Depression ist in einer solchen Situation eine verständliche Reaktion“, sagte Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie der Charité und Erster Vorsitzender der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) kürzlich auf einer Pressekonferenz anlässlich des Welt-Schlaganfall-Tages. Rund ein Drittel aller Schlaganfall-Opfer werden danach auch noch von einer Depression heimgesucht. Mit der Feststellung, dass die deprimierte Stimmung nur allzu verständlich sei, geben sich die Experten allerdings längst nicht mehr zufrieden. Denn das Krankheitsbild der „Post-Stroke-Depression“ gibt ihnen auch einige Rätsel auf.

Warum bekommen zum Beispiel Menschen, die wegen einer Krankheit an Knochen und Muskeln in ihrer Beweglichkeit stark eingeschränkt sind, die vielleicht sogar nie mehr werden laufen können, weit seltener eine Depression? Eine Erklärung könnte sein, dass bei Schlaganfall-Patienten schon zuvor mehr psychische Belastungen bestanden haben. Ein hoher Stress-Level und eine schon bestehende Depression gelten als Risikofaktoren für einen Schlaganfall. Man weiß zudem auch, dass es eher die Älteren, eher die Frauen und vor allem eher diejenigen trifft, die unter besonders schweren körperlichen Einschränkungen zu leiden haben. Dass ihre Psyche von dem Schlag des Schlaganfalls in besonderem Maß gebeutelt wird, leuchtet ein. „Allerdings bietet auch eine erfolgreiche Behandlung der Folgen des Schlaganfalls keinen Schutz vor Depressionen“, gibt Endres zu bedenken.

Der US-amerikanische Neurologe Robert Robinson von der Universität Iowa hat deshalb schon Ende der 90er Jahre die Vermutung geäußert, dass hinter den auffallend häufigen depressiven Erkrankungen nach einem Schlaganfall auch Veränderungen im Gehirn stecken. Inzwischen ist die Forschung zu diesen biologischen Faktoren weitergegangen, es ist bekannt, dass Ausfälle von Nervenzellen und Beeinträchtigungen von Nervenbahnen in bestimmten Regionen des Gehirns nach dem „Schlag“ besonders häufig mit Depressionen einhergehen.

Bei jedem Schlaganfall, ob er nun – wie in vier Fünfteln der Fälle – von einem Gefäßverschluss oder von einer Hirnblutung ausgelöst wird, sterben wegen mangelnder Versorgung mit Sauerstoff Zellen im Gehirn ab. Eine frühzeitige Behandlung, zu der in den meisten Fällen die Auflösung des Blutpfropfs gehört, der ein Blutgefäß verschließt, trägt zwar wesentlich dazu bei, dass alles glimpflich ausgeht. Trotzdem kann es zu einem Ungleichgewicht zwischen den Botenstoffen im Gehirn kommen. Und zu einem Mangel an Neurotransmittern wie Serotonin und Dopamin, der den Betroffenen – zusätzlich zu den Veränderungen, die sie verarbeiten müssen – empfindlich auf die Stimmung schlägt.

Das wiederum kann den weiteren Verlauf ungünstig beeinflussen. Langzeituntersuchungen zeigen, dass es die Überlebenschancen deutlich einschränkt, wenn zu dem Schlaganfall und seinen sichtbaren körperlichen Folgen als „Zweitkrankheit“ noch eine Depression hinzutritt. Deshalb ist es wichtig, die rund 260 000 Patienten, die in jedem Jahr allein in Deutschland wegen eines Schlaganfalls in die Klinik kommen, auch in dieser Hinsicht aufmerksam zu beobachten und angemessen zu behandeln.

Möglicherweise kann man ihnen mit der richtigen Therapie gleich doppelt helfen: Untersuchungen zeigen nämlich auch, dass Medikamente, die Depression bekämpfen, bei Schlaganfall-Patienten zugleich zu besseren Erfolgen in der Rehabilitation führen. So hatten für die FLAME-Studie, deren Ergebnisse 2011 in der Fachzeitschrift Lancet Neurology veröffentlicht wurden, Patienten mit einer schweren halbseitigen Lähmung schon in der ersten Woche nach dem Schlaganfall einen Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bekommen. Im Vergleich zu den Mitpatienten, die ein Scheinpräparat eingenommen hatten, waren bei ihnen nach drei Monaten deutlich weniger Behinderungen zurückgeblieben.

Ist es also sinnvoll, sicherheitshalber allen Patienten nach einem Schlaganfall ein solches Mittel zu verordnen, weil sie sich dann schneller erholen? „Für eine allgemeine Gabe ist es noch zu früh, wir müssen weitere Studien abwarten“, sagt Endres. Die bisherigen Ergebnisse sollten Ärzte seiner Ansicht nach allerdings ermutigen, die Schwelle für eine Verordnung von Antidepressiva nach einem Schlaganfall niedriger anzusetzen. Um die Chance zu erhöhen, dass er nicht zum schweren Schicksalsschlag wird.

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