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Gesundheit: Die „Kuschelpädagogen“ werden zu Vorbildern

Individuelle Förderung, Gruppenarbeit: Die Kultusminister wollen, dass die Oberschulen die Methoden der Grundschule nachahmen

Die deutschen Grundschullehrerinnen und -lehrer können heute mit stolz geschwellter Brust in die Klassenzimmer gehen. Seit gestern steht offiziell fest, dass sie die Helden der Pisa-gestressten Bildungsnation Deutschland sind. Das zeigen die am Dienstag veröffentlichten Ergebnisse der Iglu-Studie und so sieht es auch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD), die den Lehrerinnen und Lehrern gratulierte: „Ich möchte Ihnen meine volle Anerkennung aussprechen.“

Auch die Kultusminister halten die Arbeit der Grundschullehrer inzwischen für so gut, dass sie von den Oberschulen nachgeahmt werden soll. Während man nach der Pisa-Studie davon ausgegangen war, dass die bei den 15-Jährigen festgestellten Sprachprobleme schon in der Grundschule zu Tage treten, also auch dort angegangen werden müssen, heißt es nun: „Die bei Pisa aufgedeckten Probleme müssen vorrangig in der Sekundarstufe I selbst gelöst werden. Die individuelle Förderung der Grundschule muss in der Sekundarstufe I ihre Fortsetzung erfahren.“ Die Grundschule, einst als Ort der „Kuschelpädagogik“ in der Kritik, ist nun ein Vorbild für die Oberschulen.

Bulmahn sagte, die Studie zeige aber auch, dass das Bildungssystem „nicht objektiv und nicht gerecht“ sei. Die Auslese der Kinder nach Klasse 4 richte sich stark nach der sozialen Herkunft, nicht aber nach den tatsächlichen Schulleistungen. „Neben den möglicherweise fatalen Folgen für die Schullaufbahn eines Kindes führt dies auch zu Problemen im Unterricht, weil die aufnehmenden Schulen mit einer Homogenität rechnen, die nicht gegeben ist“, sagte Bos.

Damit Schüler nicht falsche Empfehlungen erhalten, will Bulmahn schulformübergreifende Standards, deren Einhaltung von einer nationalen Bildungsagentur überwacht werden soll.

Ein weiteres Iglu-Ergebnis: Die deutschen Grundschüler sind schwach in der Rechtschreibung. Bestimmte Regeln, die schon am Ende der zweiten Klasse erwartet werden, beherrschen nur 80 Prozent der Viertklässler. Die Hälfte der Schüler scheitert an jedem fünften „Rechtschreibphänomen, das auf erweiterte orthographische Kompetenzen verweist“. Dieser Leistungsstand der Schüler befriedigt die Forscher nicht – „schon gar nicht, wenn man die für den Rechtschreibunterricht aufgewendete Zeit berücksichtigt“. Die deutschen Grundschüler lesen sowohl litarische Texte als auch Sachtexte auf gleich gutem Niveau. Doch immerhin ein Drittel eines Jahrgangs kommt bei der Lektüre nicht über die Kompetenzstufe II (siehe nebenstehende Grafik) hinaus und wird später Schwierigkeiten in allen Fächern haben, meinen die Forscher.

In den Naturwissenschaften liegen die deutschen Schüler international im oberen Drittel – allerdings gemessen an den Ergebnissen der Tims-Studie von 1995, denn die Naturwissenschaften sind bei Iglu nur in Deutschland geprüft worden. Das gleiche gilt für die Mathematik, bei denen die Deutschen oberhalb des Durchschnitts liegen. Trotzdem verlässt knapp ein Fünftel der Kinder die Grundschule „mit zum Teil erheblichen Defiziten in Mathematik“.

Schüler in dem besten und dem schlechtesten Bundesland haben einen Lernabstand von einem Dreivierteljahr. Wie die einzelnen Länder abgeschnitten haben, soll aber erst Ende des Jahres veröffentlicht werden.

Außerdem förderte die Iglu-Studie zu Tage, dass die Schulleitungen in anderen Nationen hauptsächlich mit Leitungsfunktionen wie Personalmanagement und Außenkontakten beschäftigt sind und nur nebenbei unterrichten, während es in Deutschland und Frankreich gerade umgekehrt ist – was angesichts der Bedeutung der Management-Aufgaben den Schulen dieser Länder zum Nachteil gereichen kann. Ferner fanden die Forscher heraus, dass die durchschnittliche Unterrichtszeit von 812 Stunden im vierten Schuljahr in Deutschland um 115 Stunden unter dem Durchschnitt der getesteten EU-Länder liegt.

Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass der Grundschule „eine bildungspolitische Aufgabe von zentraler Bedeutung zukommt“. Mängel, die nicht schon dort behoben würden, verschärften sich in der Oberschule immer weiter. Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Karin Wolff (CDU), sagte, unter den Kultusministern sei angesichts der Iglu-Ergebnisse nicht über eine achtjährige Regelschule gesprochen worden, wie Edelgard Bulmahn sie vorgeschlagen hatte. Natürlich sei eine solche Reform aber jedem Bundesland freigestellt. Die Kultusminister schlagen neben verbesserten Unterrichtsmethoden vor, den Unterricht in der Oberstufe durch eine praxisnähere Lehrerausbildung voran zu bringen. Alle Lehrer sollen den Kontakt zu den Eltern mehr suchen als bislang. Die Kultusminister wollen ab 2004 Bildungsstandards für die Grundschule formuliert haben.

Mehr im Internet:

www.erzwiss.uni-hamburg.de/IGLU/home.htm

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