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Gesundheit: Die Lebensuhr aufziehen

Biologen kommen dem Alterungsprozess auf die Spur – und hoffen, ihn eines Tage bremsen zu können

Besonders jugendlich sahen sie nicht gerade aus, die Teilnehmer einer Konferenz über Ursachen des Alters, die sich unlängst am Titisee versammelt hatten. Auch schienen nicht alle Wissenschaftler daran zu glauben, dass die Befunde zahlloser Experimente mit Fadenwürmern, Fruchtfliegen und Mäusen auf den Menschen zu übertragen sind. Wie sonst wäre es zu erklären, dass manch einer überflüssige Pfunde mit sich herumtrug, obwohl Darben im mittleren Alter die Lebenserwartung erhöht?

„Die beste Methode, sehr alt zu werden, besteht darin, sich die richtigen Eltern auszuwählen“, scherzte Jerry Shay, Zellbiologe von der US-amerikanischen Universität Texas in Dallas. Zwar sind sich die Wissenschaftler darin einig, dass Erbfaktoren weniger wichtig sind als Umwelteinflüsse wie die Ernährung, die Lebensweise oder einfach nur Glück zu haben. Allerdings gilt diese Aussage nur für den Durchschnitt.

Um herauszufinden, welche Stoffwechselprozesse und Regelkreisläufe das Altern beeinflussen, sind neben Tierexperimenten vergleichende Studien mit Menschen aus langlebigen Familien hilfreich.

Eine aufschlussreiche Untersuchung hat der niederländische Genetiker Rudi Westendorp gemacht. Er identifizierte in der holländischen Bevölkerung 500 Geschwisterpaare, die beide über 90 Jahre alt waren. Als Vergleichsgruppe dienten die Ehepartner der Greise, später wurde die Untersuchung auf die Kinder und deren Ehepartner ausgedehnt und es wurden die Familiengeschichten zurückverfolgt. Dabei zeigte sich, dass die Sterblichkeit unter den Hochbetagten und deren Blutsverwandten etwa 30 Prozent niedriger war als in der Durchschnittsbevölkerung und bei den Ehepartnern. Beleg dafür, dass die erhöhte Lebenserwartung den Erbanlagen zu verdanken war und nicht besserer Medizin.

Westendorp mutmaßte, dass die biologische Uhr der langlebigen Niederländer langsamer tickte und konzentrierte sich auf deren Stoffwechsel. Es stellte sich heraus, dass die Hochbetagten den Zucker in ihrer Blutbahn besser nutzten. Ihre Bauchspeicheldrüsen mussten weniger Insulin produzieren; die Muskeln wurden noch im hohen Alter gleichmäßig mit dem „Treibstoff“ Glukose versorgt. Damit unterscheiden sich diese Alten von der Durchschnittsbevölkerung, deren Gene im Laufe der Evolution daraufhin optimiert wurden, die Zeiten des Nahrungsüberschusses zu nutzen und Fettreserven für Hungerperioden anzulegen.

Dank einer drastisch gestiegenen Lebenserwartung erkranken wir nun an den Spätfolgen der guten Futterverwertung, so eine Theorie vieler Forscher: Übergewicht und Diabetes, Arterienverkalkung, Herzinfarkt und Schlaganfall sind gemeinsam zur häufigsten Todesursache in der westlichen Welt geworden.

Doch die Stoffwechselprozesse, die das Altern vorantreiben, können mit der Gentechnik manipuliert werden, wie zahlreiche Tierexperimente belegen. Nicht nur bei Hefepilzen, Fadenwürmern und Fruchtfliegen ist es so bereits gelungen, die Lebensspanne um 30 bis 200 Prozent zu verlängern. Auch bei Mäusen, die 97 Prozent ihres Erbmaterials mit dem Menschen gemein haben, purzeln die Altersrekorde im Labor, seit Forscher gelernt haben, den Zuckerstoffwechsel herunterzufahren – vor allem durch Eingriffe bei Wachstumshormonen und in der Insulin-Regulation.

„Wir sind dabei, die Stellschrauben zu identifizieren, an denen man drehen muss, um das Leben zu verlängern“, bekräftigte Jan Hoeijmakers von der Universität Rotterdam. Wie die meisten seiner Kollegen ist der Holländer optimistisch, dass es auch beim Menschen gelingen wird, die guten Jahre zu vermehren.

Schon haben Forscher Firmen gegründet. David Sinclair von der Harvard Medical School etwa. Zwar glaubt der Mitbegründer des Unternehmens Sirtris Pharmaceuticals, dass die ersten Arzneien, die etwas gegen das Altern bewirken, in den Glukosestoffwechsel eingreifen werden. Er selbst setzt aber auf Substanzen, die das Erbmaterial im Zellkern stabilisieren.

Der Schlüssel dazu soll ein Gen namens Sirt1 liefern, das beispielsweise durch die in roten Weintrauben vorkommende Substanz Resveratrol aktiviert wird. Weitaus wirksamer seien einige jener Moleküle, die von etwa 50 Chemikern bei Sirtris entwickelt worden seien, sagte Sinclair. Diese wolle man jetzt in Mäusen und „möglicherweise im nächsten Jahr“ auch an Menschen erproben.

Michael Simm

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