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Gesundheit: „Die Lehre hat sich nicht verbessert“

Zum Treffen der europäischen Bildungsminister: Was Studierendenvertreter am Bachelor kritisieren

Frau Hirsch, heute treffen sich Europas Bildungsminister in Bergen, um Bilanz über die Einführung der Bachelor und Masterstudiengänge zu ziehen. Sie studieren Politikwissenschaften am Otto-Suhr-Institut. Wie hat sich der Studienalltag inzwischen verändert?

Der Organisationsaufwand für die Studierenden ist jetzt höher als vor der Reform. Die Studierenden müssen ständig darauf achten, sich auf Anwesenheitslisten einzutragen und alle Leistungen in einem bestimmten Tempo zu erbringen, um Maluspunkte zu vermeiden. So wird es sehr erschwert, Zeit für das eigentliche Studium zu finden. Die Lehre hat sich nicht verbessert. Mein Eindruck ist, dass man die neue Studienordnung beschlossen hat, ohne intensiv über die Studieninhalte zu diskutieren. Durch den hohen Organisationsaufwand wird auch politisches Engagement schwieriger.

Zwischen den Linken und den Konservativen gibt es in Deutschland eine große Koalition gegen Bachelor-Studiengänge. Die Linken haben Angst vor einer neuen Elitenbildung, die Konservativen befürchten einen Massenansturm auf die Unis und eine Senkung des Niveaus. Wer hat Recht?

Die Studierendenvertretungen haben nichts gegen die Reform des Studiums an sich, sondern sie kritisieren, wie die Reform verläuft. Nach dem Bachelor soll nur eine kleine Zahl von Studierenden Zugang zum Master haben. Das ist elitär. Die Verschulung schränkt außerdem die Selbstbestimmung der Studierenden ein.

War nicht gerade das unverschulte Studium eine höchst selektive und elitäre Angelegenheit, wie sich an den hohen Abbrecherquoten zeigt? Und sagt nicht die Statistik, dass gerade Studierende mit nicht-akademischem Familienhintergrund die übersichtlicheren und praxisnäheren Fachhochschulen bevorzugen?

Die Verschulung und der höhere Organistationsaufwand in den neuen Studiengängen verschärfen die Probleme von Studierenden, die jobben, Kinder erziehen oder Verwandte pflegen müssen. Die Verschulung geht auch damit einher, dass viele Studierende aus der Uni geprüft werden. Es gibt Professoren, die sagen zur Begrüßung im Seminar: „Ich habe den Anspruch, die Spreu vom Weizen zu trennen.“ Den Studierenden wird vermittelt, dass nicht alle eine Chance haben. Hat man das Bachelor-Studium überstanden, steht man vor dem schlimmsten Filter, der Hürde zum Master.

Die Frage des Übergangs zum Master gehört zu den umstrittensten Punkten der Bologna-Reform in Deutschland. Der Freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) fordert, es solle jedem freigestellt sein, in den Master zu wechseln. Ihrer Meinung nach sollen die Länder dafür mehr Geld in die Hochschulen stecken. Ist das nicht eine völlig unrealistische Forderung?

Es wird immer gesagt, für den Bildungs- und Sozialbereich sei nicht mehr Geld da. Wir wehren uns aber gegen eine solche Politik der Alternativlosigkeit. Die Verteilung der Finanzen kann sehr wohl anders gestaltet werden. Man braucht nur den Mut, solche Schritte zu gehen.

Im Moment sieht es danach aber nicht aus. Wenn es keine Hürden zum Master gibt und die Länder nicht mehr Geld geben, würden die Masterstudiengänge nicht einen Verlust an Qualität erleiden?

Es kommt darauf an, was man unter Qualität versteht. Das ganze Studiensystem wird unter der Hürde zum Master leiden. Die Studierenden werden im Bachelor von dem Gedanken geprägt werden, dass sie besser sein müssen als ihre Kommilitonen, um weiterkommen zu können. Das Ergebnis ist die Entsolidarisierung und nicht die kooperative Wissenschaft, in der man gemeinsam lernt und forscht. Dieses ausgrenzende Bildungswesen ist eine fatale Qualitätsverschlechterung.

Sie kritisieren auch, die Studierenden würden im Bachelor auf Gängigkeit am Arbeitsmarkt getrimmt. Kann den Studierenden der Arbeitsmarkt wirklich egal sein?

Natürlich muss der Praxisbezug des Studiums sichergestellt sein. Es kommt aber darauf, wie er aussieht. Wir wollen den Praxisbezug nicht als „employability“, wie es die europäischen Minister wünschen, also als Einpassung der Studierenden in den Arbeitsmarkt. Uns geht es darum, einen kritischen Blick auf die Arbeitswelt zu schulen, um selbstbestimmt in den Arbeitsmarkt eintreten zu können. Wir begrüßen es deshalb, wenn jetzt bestimmte Disziplinen sagen, in sechs Semestern sei eine ordentliche Ausbildung nicht möglich.

Welche Möglichkeiten haben Studierende, den Bologna-Prozess mitzugestalten?

Grundsätzlich sollten sie auf allen Ebenen mitgestalten können. Im Abschlusspapier der Europäischen Ministerkonferenz vor zwei Jahren werden die Studierenden als gleichberechtigte Partner genannt. Trotzdem wurde uns verwehrt, ausreichend Einfluss zu nehmen. Bei der Akkreditierung von Studiengängen werden Studierende immer noch nicht grundsätzlich beteiligt. Der Bologna-Prozess ist kein demokratischer Prozess.

Gibt es unter den Studierenden Europas eine gemeinsame Linie?

Die Dachverbände Studierendenorganisationen haben sich zu ESIB, dem europäischen Studierendendachverband zusammengeschlossen. Wir fordern mehr Mitbestimmung, die Berücksichtigung von sozialen Aspekten und größere Geschlechtergerechtigkeit. Laut einer Studie des Kompetenzzentrums für Frauen in Wissenschaft und Forschung wirkt sich der Bologna-Prozess zum Nachteil von Frauen aus. Weniger Frauen als Männer wechseln in den Master.

Das Gespräch führte Anja Kühne

NELE HIRSCH (25) studiert im 6. Semester Politologie an der Freien Universität Berlin und gehört dem Vorstand des „fzs“ an, des Dachverbands der deutscher Studierendenschaften

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