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Gesundheit: Die Lehrer-Lücke

In zehn Jahren könnten 80000 Stellen nicht besetzt sein, warnt ein Pädagogen-Verband

Deutschland hat zu wenige Lehrer. 80000 werden in den nächsten zehn Jahren fehlen, wenn Bund und Länder nicht sofort „Notmaßnahmen“ ergreifen, sagte der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meininger, gestern in Berlin. Hinzu kommen erschreckende neue Ergebnisse der Potsdamer Lehrerstudie: Rund 60 Prozent der Pädagogen, die heute im Schuldienst sind, fühlten sich überfordert oder seien resigniert und verzweifelt – vor allem angesichts schwieriger Schüler und mangelnder sozialer Unterstützung, sagt der Leiter der Studie Uwe Schaarschmidt. Wenig Anlass zur Hoffnung gibt auch die Generation, die jetzt an den Hochschulen ausgebildet wird: Sie fühle sich zu einem Viertel schon vom Studium überfordert und sei zu einem Drittel wenig motiviert, mit Kindern zu arbeiten, sagt Schaarschmidt.

Meininger forderte von den Ländern eine Reihe von Maßnahmen, mit denen der eklatante Lehrermangel noch abgewendet werden könnte: Studierende vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern sollen bewegt werden, vom Diplomstudiengang zum Lehramt zu wechseln. Die Schulminister sollten verstärkt um Seiteneinsteiger werben – und dafür sorgen, dass sie sich im Referendariat pädagogisch qualifizieren. Absolventen, die in den vergangenen 25 Jahren abgelehnt wurden, sollten wieder für den Schuldienst aktiviert werden. Und beurlaubte Lehrer könnten überredet werden, sich wieder vor die Klasse zu stellen.

Die Schulminister der Länder hatten den drohenden Lehrermangel 2003 ähnlich hoch beziffert – auf 74000 bis 2015. Daraufhin startete die Kultusministerkonferenz im selben Jahr eine Werbekampagne für die Bildung und für den Lehrerberuf. Trotzdem sank die Zahl der Studienanfänger im vergangenen Jahr um sechs Prozent. KMK-Präsidentin Johanna Wanka (CDU) sieht darin einen leichten Rückgang, wie es ihn auch in anderen Studiengängen gegeben habe. Seit 1999 sei die Zahl der Lehramtsstudierenden um 30 Prozent gestiegen. Die Imagekampagne sei also erfolgreich gewesen. Auch die leicht verbesserten deutschen Pisa-Ergebnisse ließen auf eine positivere Einstellung zum Lehrerberuf hoffen.

Die Imagekampagne sei „nie passiert“, sagt dagegen Meininger. Auch eine bundesweite Lehrerbörse, die Verbände seit Jahren forderten, richte die KMK nicht ein. Die Länder hielten an ihren unterschiedlichen Einstellungsmodalitäten fest. Gleichzeitig würden Lehrer in Mangelfächern aus den neuen Bundesländern von westdeutschen Schulen abgeworben.

Viele Länder sind offenbar schon heute in Not. Es fehlten an den Schulen derzeit rund 10000 Lehrer, sagt Meininger. In den neuen Bundesländern, wo Lehrer wegen Schülermangels und Schulschließungen zwangsweise Teilzeit arbeiten, gebe es nicht genug Naturwissenschaftler und Fremdsprachenlehrer und „massiven Unterrichtsausfall“. In Bayern seien die Wartelisten bisher nicht eingestellter Lehrer im Fach Englisch restlos und in anderen Fächern weitgehend „leer geräumt“. Allerorten fehlten auch Latein-, Musik- und Kunstlehrer. Sogar in Nordrhein-Westfalen, wo die Landesregierung 3000 neue Stellen versprach, sei es schon schwer gewesen, bislang 1000 Stellen qualifiziert zu besetzen, weil der geeignete Nachwuchs fehle. Auch die hohen Arbeitslosenzahlen sind gesunken: Von 12 000 Lehrern ohne Job im vergangenen Jahr blieben jetzt noch 8000 – die meisten mit ungünstigen Fächerkombinationen wie Deutsch und Geschichte. „Lange Zeit haben wir die Besten nicht genommen“, sagt Meininger, „jetzt müssen wir alle nehmen.“ Mathelehrer würden in der Regel sofort nach dem zweiten Staatsexamen eingestellt – selbst mit der Note 3,5.

Bei alledem ist Meininger überzeugt, dass es „in der Gesellschaft genügend junge Leute gibt, die gut geeignet wären“. Aber wie können sie für den Lehrerberuf gewonnen werden? Das Potsdamer Institut für Psychologie, dessen Lehrerstudie vom Deutschen Beamtenbund gefördert wird, arbeitet an Empfehlungen, wie der Beruf attraktiver werden könnte. Abiturienten, die sich für das Lehramt interessieren, soll geholfen werden, selbst zu erkennen, ob sie auf dem richtigen Weg sind, sagt Uwe Schaarschmidt. Studierende sollten bundesweit verpflichtet sein, vor oder während der ersten beiden Semester ein Schulpraktikum zu machen und während des Studiums ein berufspraktisches Trainingsprogramm zu durchlaufen. Auch im Beruf sollen Pädagogen laufend beraten und trainiert werden. Und damit sie keine Einzelkämpfer bleiben, wird ein neues Programm zur Teambildung im Kollegium empfohlen.

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