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Gesundheit: Die Müllentsorgung steht auf der Kippe

Vom 1. Juni 2005 an dürfen keine Abfälle mehr ohne Vorbehandlung auf die Deponien – doch es wird nicht genug Verbrennungsanlagen geben, sagt eine neue Prognos-Studie

„Schmiergeldzahlungen beim Bau von Müllverbrennungsanlagen“ – auf dieser Ebene wird das Thema Abfallwirtschaft derzeit in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Doch wenn sich eine neue Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos bewahrheitet, wird uns der Müll noch stärker stinken. Denn vom 1. Juni 2005 an dürfen Abfälle ohne Vorbehandlung nicht mehr auf herkömmliche Kippen gebracht werden. Und das könnte zu erheblichen Engpässen bei der Müllverbrennung führen.

Der Stichtag ist 1993 in der Technischen Anleitung Siedlungsabfall festgelegt worden. Hierin steht, dass der Abfall nur noch einen sehr geringen Anteil organischer Reste enthalten darf – das Spektrum reicht von der Windel bis zum Stück Holz. Alles, was Bakterien als Nahrung dienen kann, stellt auf der Kippe eine Gefahr dar. Denn die Kleinstlebewesen zersetzen das Material in klimaschädliches Methan, zudem kann Regenwasser den Sud in Boden und Grundwasser spülen.

All das wird seit Jahren hingenommen und bis Mitte 2005 von der Regelung zumindest geduldet. Das jedoch schafft nicht nur die Altlasten von morgen, sondern verzerrt auch die Kostenstruktur. Jene Länder, die rechtzeitig Müllverbrennungsanlagen (MVA) gebaut haben, werden schon seit Jahren bestraft.

Schnell Kasse mit Masse

Denn Kippenbetreiber, die das Ende der Einkünfte nahen sehen, können viel niedrigere Annahmeentgelte anbieten als die Leiter moderner Verbrennungen. So wird noch schnell Kasse mit Masse gemacht – der Müll von den Kippen geradezu angezogen. Dadurch erhalten die MVA schon lange nicht mehr die Mengen, für die sie konstruiert wurden. Und das erhöht ihre Fixkosten und letztlich die Annahmepreise. In der Öffentlichkeit entsteht das Bild, es gäbe immense Überkapazitäten viel zu teurer Verbrennungsanlagen.

Doch den umweltbelastenden Weg auf die Kippe gehen in Deutschland immer noch etwa 14 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle pro Jahr – so viel wie in die derzeit 60 MVA. Wird aber der Kippenweg versperrt, sind die Mengen für die vorhandenen Verbrennungsöfen viel zu groß. Auch das jetzt im Bau befindliche gute Dutzend zusätzlicher Anlagen wird wohl nicht reichen: Prognos schätzt, dass es für eine Siedlungsabfall-Menge von mindestens 4,2 Millionen Tonnen pro Jahr keine gesicherte Entsorgung gibt – schlimmstenfalls sind es 7,1 Millionen Tonnen.

Es gibt keine vollständigen Daten, bedauert neben vielen anderen Fachleuten auch Karl Thomé-Kozmiensky, Leiter des Fachgebiets Abfallwirtschaft an der TU Berlin. Er rechnet ebenfalls damit, dass wir 2005 „ein Defizit an ordentlichen Abfallentsorgungsanlagen in Deutschland haben werden".

Fest steht, dass sich neue MVA in der kurzen Zeit nicht mehr aus dem Boden stampfen lassen. Zudem ist der Bau solcher Anlagen in der Öffentlichkeit unpopulär: Jeder will zwar seinen Müll loswerden, aber niemand duldet die Verbrennung in seiner Nachbarschaft und die deutlich höheren Preise.

Berlin etwa verzichtet ganz auf Neu- und Ausbaupläne. Es bleibt bei der Ruhlebener Verbrennungskapazität von 520 000 Tonnen pro Jahr. Die Stadtreinigung arbeitet gerade an einer europaweiten Ausschreibung für mehr als 350 000 Tonnen Müll, die dann noch einen Abnehmer suchen.

Bernd Engelmann, Abfallwirtschaftler beim Umweltbundesamt, sieht durchaus Kapazitäten für Berlin an verschiedenen Standorten in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Aber teurer wird es auf jeden Fall. Derzeit nehmen die Kippen mindestens 25 Euro pro Tonne, und Müllverbrennungsanlagen brauchen so um die 100 Euro und mehr.

Wie auch immer, ohne thermische Behandlung geht es nicht, auch für die Reste aus Mechanisch-Biologischen Abfallbehandlungsanlagen (MBA). Sie sind interessant für eher dünn besiedelte Bundesländer wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Aus umwelttechnischer Sicht sind sie inzwischen auch schon akzeptabel – was Aufwand und Kosten aber auch hochgetrieben hat.

Aber Organik-Reste bleiben

Der Sinn einer MBA liegt in ihrer Filterwirkung: Metalle, Kunststoffe und Glas werden aussortiert, zudem dürfen Bakterien sich schon über die organischen Bestandteile hermachen. Sie erwärmen das Material dabei, das dadurch Wasser verliert. Dennoch können die Kleinstlebewesen nicht die gesamte Organik auffressen. Aus einer MBA kommen also immer noch organische Reste heraus, die wegen der Vorsortierung und der Trocknung einen deutlich höheren Brennwert als üblicher Müll aufweisen. Sie können bestehenden Verbrennungsanlagen deshalb nicht in zu hoher Konzentration zugeführt werden.

Aber diese und ähnliche Reste aus dem Gewerbebereich könnten auch andernorts verfeuert werden. Die große Hoffnung bilden Feuerungsanlagen von Industriebetrieben. Von den 750 Großfeuerungen in Deutschland (vorwiegend Kraftwerke) könnte theoretisch ein Zehntel jene aufbereiteten Abfälle abnehmen, schätzt Markus Gleis, beim Umweltbundesamt zuständig für Abfallbehandlung. Hinzu kommen Feuerungsanlagen von Industriebetrieben (Chemie, Papier) sowie Kalk- und Zementfabriken.

Die Prognos-Fachleute kommen in ihrer Berechnung auf ein Potenzial von 2,9 Millionen Tonnen, die mitverbrannt werden könnten. Doch noch niemand vermag einzuschätzen, wie groß das Interesse der Industrie tatsächlich wird, einen Brennstoff zu nutzen, dessen Zusammensetzung womöglich trotz aller Aufbereitung schwankt. Wenn dagegen eine bestimmte Qualität gefordert wird, erhöht das den Aufwand der Müllbearbeitung und damit die Kosten.

Und nun noch etwas zur Verwirrung: Rein rechnerisch ist es nämlich gar nicht der Müll des Normalverbrauchers, der die Sorgen bereitet. In den Jahren zwischen 1995 und 2000 haben Vorschriften zur Verringerung und zum Recycling von Verpackungsmaterialien gegriffen. Der übrig bleibende Müllberg (Haus- und Sperrmüll) schrumpfte um 16 Prozent auf nun knapp 15 Millionen Tonnen, stellen die Prognos-Fachleute dar.

Entscheidend ist, was aus dem Gewerbebereich kommt. Denn in Betrieben sowie an Baustellen entstehen Abfälle, die nicht von der Kommune oder in ihrem Auftrag abgeholt werden, sondern von privaten Unternehmen, die zum Beispiel Sortieranlagen betreiben. Und von dort aus geht ja nicht alles ins Recycling, es bleiben Reste, die beseitigt werden müssen.

Nach Auskunft des Bundesverbandes der deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) waren das im Jahr 2000 gut 28 Millionen Tonnen (für 2006 geschätzt: 20 Mio. t). Ein Teil davon gelangt heute schon in die Müllverbrennungsanlagen, nur so kommen sie auf eine Auslastung von 70 bis 80 Prozent.

Auch der BDE rechnet für 2005 mit einer Entsorgungslücke – wie groß sie sein wird, sei jedoch nicht einzuschätzen, sagt Verbandssprecherin Petra Dressler.

Und was ist, wenn man den Stichtag ignoriert und mit Ausnahmegenehmigungen weitermacht wie bisher? Die Verlockung mag groß sein. Aber dann würden jene Länder, die sich angestrengt und MVA gebaut haben, weiter bestraft, weil sie auf den hohen Betriebskosten sitzen bleiben.

Die Prognos-Forscher fordern für diesen Fall zumindest eine „finanzielle Bestrafung“, die zu einer Balance zwischen den Gebührensätzen führt. Dann saugen die Billigkippen wenigstens nicht weiterhin die großen Müllmengen an.

Gideon Heimann

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