zum Hauptinhalt
Blick in die neue Rettungsstelle.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die neue Rettungsstelle des Unfallkrankenhauses: Besuch in Berlins Emergency Room

Vor kurzem hat das Unfallkrankenhaus Berlin seine modernisierte Rettungstelle eröffnet. Neu ist, dass Patienten viele Abläufe verfolgen können. Und der Platz reicht sogar noch für ein Filmteam. Unsere Autorin hat sich dort umgesehen.

An einer Sache hat auch der Umbau nichts geändert: Freiwillig kommt noch immer niemand hierher. Auch nicht der Mann Ende 50, der sich gerade am Empfang der Rettungsstelle des Unfallkrankenhauses Berlin (UKB) in Marzahn anmeldet. Der junge Pfleger bittet ihn um etwas Geduld. Seine Begleiterin holt dem Patienten einen der Rollstühle, die neuerdings gleich neben dem Eingang stehen, hintereinander aufgereiht wie Einkaufswagen. Sie hilft dem Mann in den Sitz und schiebt ihn in den geräumigen Wartebereich, der sich von 17 auf 60 Sitzplätze vergrößert hat. Es ist Donnerstagvormittag, gerade sind nur ein paar Stühle besetzt. Die neue Spielecke ist unbesucht, über dem Süßigkeiten- und Getränkeautomaten hängt ein Fernseher, im Vormittagsprogramm wird schon das Mittagessen vorbereitet.

Der Weg vom Wartebereich in die eigentliche Rettungsstelle erinnert an zwei Dinge: an die Kommandostation eines Raumschiffs in einem Science-Fiction- Film. Und an eine US-amerikanische Krankenhausserie – mit ausreichend Platz für ein riesiges Filmteam.

Mitte Mai hat das UKB seine umgebaute Notaufnahme eröffnet – nach eigenen Angaben ist sie nun die modernste Rettungsstelle in Deutschland. Die alte Station war ursprünglich für 13 500 Patienten jährlich konzipiert. Eine Zahl, die rasch angestiegen ist. Das UKB ist ein junges Krankenhaus und erst seit 1997 in Betrieb. Schon ein Jahr später verzeichnete es 22 000 Akutfälle, 2008 kamen mehr als 50 000 Patienten in die Rettungsstelle – per Selbsteinweisung, Rettungs-, Notarztwagen und Hubschrauber. Die Klinikleitung hat deshalb beschlossen, die Notaufnahme umzustrukturieren und zu erweitern, um die Räume den tatsächlichen Patientenzahlen anzupassen. Statt 1000 ist sie nun 1600 Quadratmeter groß.

Durch den Umbau ist ein offener Bereich entstanden, 18 der insgesamt 37 Behandlungsplätze funktionieren sozusagen nach dem Motto: sehen und gesehen werden. „Dieses offene System kann man fast schon einen Paradigmenwechsel nennen. Früher war man bestrebt, die Patienten in Einzelkabinen abzuschotten“, erklärt Holger Hilt. Er ist promovierter Mediziner, hat lange als Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Rettungsstellen gearbeitet und auch selbst eine geleitet. Im UKB arbeitet er seit zwei Jahren als ärztlicher Koordinator.

Für heikle Untersuchungen existieren in der neuen Rettungsstelle natürlich auch separate Räume. Und endlich gibt es auch einen Bereich für ernste Besprechungen. Früher musste oft erst nach einem Zimmer gesucht werden, wenn Angehörigen eine traurige Nachricht zu überbringen war. „Natürlich ist es wichtig, die Sichtbarkeit und die Privatsphäre in der Balance zu halten“, sagt Holger Hilt. Doch der offene Bereich helfe dem Team dabei, gute Arbeit zu leisten. Und er gebe den Patienten das Gefühl, dass man sie immer im Blick habe.

Im Schockraum können vier Patienten gleichzeitig behandelt werden

Blick in die neue Rettungsstelle.
Blick in die neue Rettungsstelle.

© Kitty Kleist-Heinrich

Alle Pflegekräfte in der Rettungsstelle haben eine Sonderausbildung in der Ersteinschätzung der Patienten. Wer hier ankommt, wird nach dem sogenannten Manchester-Triage-System eingestuft, mit dem das UKB seit April 2012 arbeitet: Wird einem Patienten die Farbe Rot zugeordnet, muss er unverzüglich behandelt werden. Wer Orange bekommt, dessen Behandlung sollte innerhalb von zehn Minuten eingeleitet werden, Gelb innerhalb von 30, Grün von 90 und Blau von 120 Minuten.

„Rote“ Patienten gibt es in diesem Moment keine, auf dem PC sind die Farben Orange, Gelb und Grün zu sehen. Auf dem Bildschirm hat die Krankenschwester alle 23 Patienten im Blick. Vermerkt sind das Geschlecht, die Einlieferungszeit und die Kurzeinschätzung der Pflegekraft. Die Zahl der Bildschirme, die hier hängen, kann ohne Probleme mit denen in einer Nachrichtenredaktion mithalten. So behalten die mehr als 50 Mitarbeiter den Überblick über ihre Patienten.

Holger Hilt geht hinüber in das Herzstück der Rettungsstelle: den Schockraum, der durch den Umbau auf 156 Quadratmeter angewachsen ist. Statt zwei können hier nun vier Patienten gleichzeitig behandelt werden. Weil es dabei oft um Sekunden geht, wurden die Schränke nach dem sogenannten ABC-Prinzip bestückt. Hinter jedem Buchstaben befinden sich Materialien, die dabei helfen, zunächst die Atemwege frei zu machen (A), die Beatmung aufrechtzuerhalten (B), die Blutungskontrolle und Flüssigkeitszufuhr sicherzustellen (C). Und dann den neurologischen Zustand zu erfassen (D) und den Patienten schließlich zur Untersuchung zu entkleiden (E). Außerdem gibt es einen speziellen Schrank, in dem diese Materialien in Kindergrößen gelagert werden. „Es ist gut, dass das Röntgengerät und der Computertomograf direkt neben dem Schockraum liegen“, sagt Hilt. In anderen Häusern müsse man dafür oft längere Strecken zurücklegen.

Holger Hilt, Ärztlicher Koordinator
Holger Hilt, Ärztlicher Koordinator

© Kitty Kleist-Heinrich

Umgebaut wurde das UKB von Oktober 2010 bis April 2013 – parallel zum laufenden Betrieb. Wir war das zu schaffen, wenn täglich zwischen 140 und 250 Patienten in die Rettungsstelle kamen? „Von der Reinigungsfirma bis zum Chefarzt müssen viele Abteilungen kooperieren und gut kommunizieren“, erklärt Pflegeleiter Stefan Wollschläger in seinem kleinen Büro. „Die Umbauarbeiten stellten eine Dauerbelastung dar, deshalb war es wichtig, regelmäßig über Baufortschritte zu informieren.“

Aber der Umbau hat den Mitarbeitern natürlich auch viele Chancen geboten: Das Team hat einerseits analysiert, wie bestehende Probleme beseitigt werden konnten. „Andererseits haben wir aber auch versucht, pfiffige Ideen zu entwickeln“, so Wollschläger. Ein Beispiel dafür sind die hellblauen Flächenvorhänge, die in Zusammenarbeit mit einem Tischler und einen Kunststoffhersteller entstanden sind. Sie lassen sich aufklappen und abwischen. Außerdem habe man darauf geachtet, warme, freundliche Farben einzusetzen. Sehr wichtig findet der Pflegeleiter der Rettungsstelle auch den optischen Kontakt zur Wartehalle. „Durch die halb transparente Glastür können die Patienten aus aus dem Wartebereich in einen Teil der Notaufnahme hineinschauen, und sie sehen, dass hier gearbeitet wird.“ Und nicht etwa Kaffee getrunken und Pizza gegessen wird. Das mache es den Patienten leichter, zu warten – auch wenn es mal etwas länger dauere.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false