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Gesundheit: Die Schere im Bauch und der falsche Patient

Chirurgen diskutieren offen über Fehler

„Wir tun alles, um Fehler zu vermeiden. Aber bei der Presse kommt nur rüber, dass wir Fehler machen!“ beklagte Rüdiger Siewert auf dem Chirurgenkongress in Berlin. Tatsächlich waren die Chirurgen die Ersten, die schon vor 30 Jahren begannen, die Qualität ihrer Arbeit systematisch zu untersuchen. „Die Festung Chirurgie öffnet sich“, sagte Siewert, Direktor des Klinikums rechts der Isar.

Eines von mehreren Beispielen für die neue Offenheit war auf diesem Kongress eine Vortragsreihe mit dem Titel „Die vergessene Schere“. Gemeint war die Schere im Bauch. Das Zurücklassen von Fremdkörpern im operierten Patienten und Eingriffe an der falschen Stelle oder auch am falschen Patienten: Das sind die beiden ersten Fehlergruppen, deren Vermeidung sich das vor Jahresfrist gegründete „Aktionsbündnis Patientensicherheit“ vornahm, dem auch die Chirurgen angehören. Solche Fehler sind selten, können aber schlimme Folgen haben.

Einige der geschilderten Verwechslungen: Da wurden einem Mann beide Hoden amputiert, weil man ihn in den falschen Operationssaal brachte. Da operierte man eine Patientin am falschen Knie, obwohl das richtige mit Kugelschreiber markiert war. Beinverwechslungen standen bei 84 (von einer Haftpflichtversicherung analysierten) Schadensfällen durch Eingriffe in die falsche Körperstelle an der Spitze, berichtete Rechtsanwalt Michael Petry (Detmold).

Als Hauptrisiko für solche Seitenverwechslungen gilt der für das gesunde Bein bestimmte Thrombose-Strumpf, wenn man ihn ohne Erläuterung dem Patienten hinlegt, der ihn dann nicht selten über das zu operierende Bein streift. Auch seitenverkehrt aufgehängte Röntgenbilder führen zu Verwechslungen, ebenso nicht gelesene Patientenakten, fehlende Markierungen der Operationsstelle und vor allem: Kommunikationsmängel. In der Hälfte der Fälle hatte der Operateur den Patienten vorher nie gesehen oder mit ihm gesprochen.

„Haben Sie auch nichts vergessen?“ kann der Narkotisierte nicht fragen, ehe man ihn wieder zunäht. Wie laut Petry die Analyse von 546 solcher Fälle ergab, werden vor allem Bauchtücher und Tupfer vergessen. Es folgen Teile von Drainagen, Endoskopen und Zangen. Auch drei Bohrer, zwei Messerklingen und, ja, eine Schere waren dabei. Die Klemme im Bauch eines operierten Piloten fiel erst bei einer Sicherheitskontrolle im Flughafen auf. Zuverlässige Zahlen über solche „unerwünschten Ereignisse“ fehlen. „Es gibt hier eine gewisse Publikationshemmung“, sagte Klaus Schönleben vom Klinikum Ludwigshafen.

Eigentlich wird alles Verwendete vor und nach der Operation gezählt, und zwar mehrfach. Kliniken mit modernem Risikomanagement perfektionieren die Kontrolle, schulen das Personal, verwenden nur röntgensichtbare Bauchtücher, durchleuchten den Patienten in Zweifelsfällen vor dem Wundverschluss. Und wenn etwas trotz aller Nachforschungen nicht mehr zu finden ist? Dann muss der Chirurg dem Patienten einschärfen, sich bei Beschwerden sofort zu melden.

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