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Gesundheit: Die Supermacht im Nordatlantik

Auch zwischen den Stören gibt es einen europäisch-amerikanischen Grundsatzkonflikt

Wie das Schwein ist auch der Mensch – zumindest zoologisch betrachtet – omnivor, mit anderen Worten: Beide (fr)essen alles. Eine eher abseitige Nahrungsquelle des Menschen sind Fischeier, auch Kaviar genannt. Gereinigt und gesalzen, gilt dieser so genannte Rogen als Spezialität.

Freilich sind Fischeier nicht jedermanns Geschmack; und bekanntlich muss es auch nicht immer Kaviar sein. Unter Kennern und Genießern dagegen gilt der Beluga-Malossol als Luxusgut besonderer Art. Dieser grobkörnige Kaviar stammt vom Hausen: von besonders großen Stören aus südrussischen Regionen, die bis zu 50 Kilogramm Fischrogen liefern.

Daneben ist der Rogen vom Kabeljau – hierzulande auch Dorsch genannt und mittlerweile beinahe ausgerottet – oder der Rogen vom Seehasen nurmehr Ersatzkaviar.

Unlängst nun fanden Zoologen heraus, dass der Kaviar vom europäischen Stör streng genommen ein amerikanisches Importprodukt ist. Sie entdeckten, dass auch beim Stör die transatlantischen Verhältnisse „gestört“ sind – das allerdings schon seit langem.

Detektivischer Spürsinn

Der Stör in Europa, so scheint es, ist ein Einwanderer aus Amerika. Und eben weil der Stör hierzulande ursprünglich Amerikaner ist, der amerikanische Stör klimabedingt aber kaum eine Zukunft hat, steht es langfristig schlecht um dessen Kaviar.

Aber der Reihe nach: Mit geradezu detektivischem Spürsinn und unter Einsatz molekulargenetischer Verfahren, die jedem forensischen Kriminalisten gut anstünden, hat ein Team deutscher und amerikanischer Biologen um Arne Ludwig vom Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin herausgefunden, dass es beim Stör bereits vor geraumer Zeit zu einer höchst ungewöhnlichen transatlanischen Übersiedlung gekommen ist.

Eingeweihte wissen, dass in den Flüssen an beiden Küsten des Atlantiks zwei verschiedene Störarten vorkommen. Vermutlich entstanden diese beiden Arten, als sich vor rund 15 bis 20 Millionen Jahren der Nordatlantik im Zuge plattentektonischer Vorgänge auftat; dabei wurde eine einstmals einheitlich die Nordkontinente besiedelnde Störpopulation getrennt, aus der sich dann die heutigen beiden Tochterarten des Störs entwickelten.

Seitdem lebt in Europa der heimische Stör „Acipenser sturio“, wie Zoologen den Kaviarträger korrekt ansprechen, und in Nordamerika „Acipenser oxyrinchus“. Damit waren die familiären Verhältnisse klar. Was allerdings in keiner Weise verhinderte, dass – wie bei anderen Süßwasserfischen auch – die A.-sturio-Bestände insbesondere in Europa schrumpften, je mehr auf dieser Seite des Atlantiks Flüsse und flussnahe Küstengewässer etwa der Nord- und Ostsee verschmutzt und verbaut wurden.

Das transatlantische Forscherteam fand nun Hinweise in den Fischgenen von lebenden und in Museen konservierten Tieren dafür, dass amerikanische Störe bereits während der Kaltzeit im Mittelalter, vor rund 1200 bis 800 Jahren, den Ostseeraum kolonisiert haben.

Die Zoologen vermuten, dass einige der nordamerikanischen Störe in den Golfstrom geraten sind und mit diesem in den östlichen Atlantik verfrachtet wurden.

Denn – eher ungewöhnlich für Süßwasserfische – Störe können auch die Bedingungen in mündungsnahen Brackwasserzonen der Flüsse und sogar im Meer vertragen, wo sie sich lange Phasen ihres Lebens aufhalten. Ähnlich wie Lachse sind auch Störe so genannte anadrome Wanderfische, die sowohl im Meer wie auch im Brack- und Süßwasser der Flüsse leben und im Frühjahr in großen Strömen zur Eiablage flussaufwärts schwimmen.

So haben auch jene unfreiwilligen Flossenträger unter den Stören aus Nordamerika, die über den Atlantik kamen, hierzulande vor Jahrhunderten Fuß gefasst, und zwar auf Kosten der bereits zuvor in Europa heimischen Störe. Die molekulargenetischen Vergleiche zeigen, dass die europäischen Störe seit dem Mittelalter allmählich allerorten vom Ostseeraum bis ans Schwarze Meer von den amerikanischen Verwandten verdrängt wurden. Übrig blieb nur eine kleine Reliktpopulation wackerer Überlebender, die sich in der Gironde in Südfrankreich gegen die Amerikaner behauptet haben.

Was aber machte die amerikanischen Neubürger unter den Fischen so überlegen? Im Gegensatz zum heimischen Stör Acipenser sturio, der nur bei Wassertemperaturen oberhalb von 20 Grad laicht, ist der nordamerikanische Acipenser oxyrinchus weitaus besser an Kälte angepasst und laicht bereits bei 13 bis 18 Grad. Unter den härteren klimatischen Bedingungen entlang der Ostküste Nordamerikas sicherte dies sein Überleben dort. Und da die amerikanischen Störe auch mit der Kleinen Eiszeit im mittelalterlichen Europa besser zurechtkamen als ihre hier heimischen Verwandten, konnte sie den europäischen Stör vor allem im kühlen Ostseeraum nach und nach verdrängen. Denn während es Acipenser sturio schlicht zu kalt für Kaviar war, vermehrte sich der aus Nordamerika eingewanderte Stör munter weiter.

Wo der gute Kaviar herkommt

Diese Befunde haben einen ganz praktischen Nutzen. Es gibt Überlegungen, die aus den Flüssen und Küstengewässern hierzulande beinahe vollständig verschwundenen Störe wieder heimisch zu machen. Für derartige Ansiedlungsversuche aber spielt es eine Rolle, ob dabei nordamerikanische oder europäische Störe ausgesetzt werden.

Denn wegen der heutzutage wieder wärmeren Gewässer, und vor allem angesichts einer zu erwartenden zukünftigen globalen Erwärmung, dürfte das Aussetzen der kälteadaptierten amerikanischen Störe langfristig zum Scheitern verurteilt sein. Daher empfehlen die Autoren der Stör-Studie in der Fachzeitschrift „Nature“ dringend, Nachzuchten von Acipenser sturio heimisch zu machen, der dank seiner bevorzugten Laichtemperatur heute wieder eine weitaus bessere Überlebenschance in Europa hätte.

Wenn schon die Rente nicht, der Kaviar scheint den Gourmets dennoch gesichert. Denn unabhängig davon, welche Störart nun etwa im Ostseeraum zukünftig wieder heimisch werden wird – der richtig gute Kaviar stammt in jedem Fall von Stören aus dem Kaspischen Meer.

Matthias Glaubrecht

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