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Gesundheit: Die Turbostudenten

Das Semester beginnt – viele Studierende versuchen vor allem eins: schnell fertig zu werden

„Ich bin schon 21“, sagt Marcus Dippe und klingt sehr ernst dabei, „ich will so schnell wie möglich meinen Abschluss machen, weil ich ins Berufsleben einsteigen will.“ Der Brandenburger hat drei Praktika absolviert und in Australien als Obstpflücker gearbeitet, jetzt hat er gerade an der Freien Universität Berlin sein Studium begonnen, sein Jahrgang ist der erste, der in Wirtschaftswissenschaften einen Bachelor-Abschluss machen wird. Bachelor, das bedeutet: sechs Semester Regelstudienzeit, Praxisorientierung, regelmäßige Klausuren, Tests, mündliche Prüfungen. Nach drei Jahren will Marcus fertig sein mit der Uni. Ein konkretes Berufsziel hat er noch nicht, „irgendwas im Kultur- und Veranstaltungsbereich“, das werde sich ergeben, alles eine Sache von Kontakten. Von der Diskussion über die hochqualifizierte, hochmotivierte, aber niedrig oder gar nicht bezahlte „Generation Praktikum“ scheint er nichts mitbekommen zu haben: „Ein Job wartet auf mich. Das weiß ich.“

Politiker, Unternehmer und auch viele Univertreter wären sicher begeistert von Marcus – beklagen sie doch seit langem, dass Studierende hierzulande gerade im internationalen Vergleich viel zu spät die Hochschule verlassen und in die Arbeitswelt einsteigen. Gerade erst hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan noch einmal „mehr Tempo“ an deutschen Universitäten gefordert: Akademiker müssten künftig mit 25 im Beruf sein. Das konstant hohe Durchschnittsalter von Uni-Absolventen, das seit 1995 bei 27,9 Jahren liegt (27,4 Jahre bei Frauen), soll durch die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge deutlich gesenkt werden. Ebenso die Studiendauer bis zum ersten Abschluss, die derzeit im Schnitt noch bei 12,3 Semestern liegt.

Marcus wird halb so lange brauchen, wenn alles nach Plan läuft, genau wie Hanja Kalkner, die im diese Woche beginnenden Sommersemester ihr zweites Unihalbjahr BWL an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) in Angriff nimmt. Die 23-jährige Berlinerin hat nach dem Abitur ein Sprachjahr in Barcelona verbracht und anschließend Werbekauffrau gelernt. Der Bachelor ist für Hanja lediglich Mittel zum Zweck. „Ich habe einen Beruf“, sagt sie, und in dem wolle sie arbeiten, so schnell wie möglich. „Ich habe keine Lust auf ein Studentenlotterleben“. Ein BA verbessere ihre Jobchancen.

Anne Kathrin Schulze sagt ähnlich abgeklärte Dinge. „Mein Studium, das ist meine Zukunft“, sagt die FU-Studentin, die jetzt ins zweite Semester kommt. „Damit kann ich nicht herumhampeln.“ Außerdem zählt jede Note fürs Abschlusszeugnis, von Anfang an. Die 21-Jährige aus der Nähe von Aachen ist im Winter an der FU gleich voll eingestiegen, hat eine Lerngruppe gegründet, die sich im neuen Semester jede Woche treffen will. „Ich will es effizient machen und nicht die ganze Zeit rumgammeln.“ Dabei, meint Anne Kathrin, sie sei eigentlich kein Workaholic. „Ich fühle mich einfach gezwungen, schnell zu studieren“, sagt sie. Müsse man doch, heutzutage. Wenn sie mit 23 ihren Bachelor hat, will sie gleich in den Beruf, auch wenn sie noch herausfinden muss, in welchen. Irgendwann will sie noch den Master machen. Und mit dreißig dann das erste Kind – wenn sich der richtige Mann findet.

Marcus, Hanja und Anne Kathrin sind nicht die einzigen Schnellstarter. „Wir haben es mit einer sehr pragmatischen Studentengeneration zu tun“, sagt Siegfried Engl, Studienberater an der FU Berlin. Es werde zunehmend karriere- und weniger neigungsorientiert studiert, da treffe sich das Bachelor-System mit dem „Zeitgeist“. Auch Joachim Baeckmann, Leiter des Studierendenservice der Humboldt-Universität, hört von Studierenden immer öfter die Frage „Was kommt für mich dabei heraus?“ Für Baeckmann sind das Anzeichen für einen Trend weg von dem Ideal einer umfassenden Bildung, hin zu einer marktgerechten „Berufsausbildung“. Das nimmt auch Hans-Werner Rückert wahr. Im BA-Studium werde zudem der Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung „nicht mehr so stark gesehen“, meint der Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung der FU, „da liegt der Fokus auf Leistung“. Dementsprechend hätten sich auch die Beratungsbedürfnisse geändert. Früher sei in den Sprechstunden oft Orientierungslosigkeit das Problem gewesen, heute klagten die Studierenden eher über Stress.

Marcus findet es gut, dass sein Studium so klar durchstrukturiert ist. „Mit dem Druck lassen sich bessere Ergebnisse erzielen“, sagt er. Außerdem erforderten klare Anforderungen weniger Selbstdisziplin. Dass die alten, deutlich weniger strukturierten Studiengänge womöglich bei vielen Studierenden eine Hauptursache für die bislang langen Studienzeiten sind, bestätigt auch Studienberater Engl. Die Angehörigen der auslaufenden Magister- und Diplomgeneration kämen bisweilen nämlich mit ihrer „sogenannten Freiheit“, den Verlauf ihres Studiums größtenteils selbstständig zu strukturieren, gar nicht gut zurecht, sagt Engl. Er erzählt von einer Magistrandin, die „allen Ernstes geschimpft“ habe, die Uni schaffe es nicht, genug Druck aufzubauen, um sie morgens zum Aufstehen zu bewegen.

Dabei ist es durchaus möglich, auch ein Magisterstudium in der Regelstudienzeit durchzuziehen. Wie Ingo Schoenleber. Der 25-Jährige studiert im siebten Semester Germanistik, Geschichte und Politik, zwischendurch hat er ein Jahr lang in Texas studiert, Germanic Studies, im April will er sich zur Magisterarbeit anmelden. Dabei wirkt Ingo nicht verbissen, seine Motivation ist wohl wirklich – die Lust am Lernen. Seine Referate und Hausarbeiten hat Ingo „gestaffelt“ erledigt, ein, zwei schon im Semester, den Rest in den Ferien. Er freut sich darauf, seine Abschlussarbeit über die Verarbeitung von Krieg und Diktatur bei Marcel Beyer zu schreiben. Und danach? Erst mal nach Mexiko. Dann promovieren, vielleicht. Äußere Zwänge spornen an, sagt Ingo, und wenn nötig, müsse man sich eben selbst welche setzen. Seine Zwischenprüfung hätte er ohne den Abflugtermin nach Texas damals bestimmt nicht so schnell gemacht.

Ingos Studienbeschleunigungstipps könnten von Hans-Werner Rückert stammen. Der „Fachmann für gute Vorsätze und die Schwierigkeiten, sie zu verwirklichen“ empfiehlt, sich als Erstes darüber klar zu werden, warum man eigentlich so fix fertig werden möchte. Geldprobleme? Auslandsjahr? Toller Job in Sicht? Wenn der Anreiz identifiziert ist, so Rückert, sollte man eine „Bestandsaufnahme“ machen, also genau schauen, wo man steht, welche Arbeiten noch zu schreiben, welche Termine zu beachten sind. Wichtig sei, sich realistische, dem „persönlichen Tempo“ angemessene Ziele zu setzen. Und nicht zu vergessen, sich zu belohnen, wenn man sie erreicht.

Bisweilen gibt es allerdings auch gute Gründe, ein bisschen länger zu studieren. Ein Baby zum Beispiel. Die 28-jährige Dany Beyer hat sich, gemeinsam mit ihrem Freund, dafür entschieden, im Studium ein Kind zu bekommen. Dany studiert an der FU im 9. Semester Theaterwissenschaften, Osteuropa- und Nordamerikastudien, zwei Scheine braucht sie noch, dann kann sie Prüfung machen. Natürlich müsse sie Kompromisse eingehen, etwa ihren Seminarplan mit der Tagesmutter abstimmen. Natürlich werde ihr Studium dadurch nicht schneller. Allerdings, sagt Dany, sei sie durch ihre Tochter Zoe zur Selbstorganisation gezwungen: „Man lernt Zeitmanagement.“ Das braucht sie auch, schließlich ist da noch ihr Job bei einem Maskentheater. Mit realistischer Chance auf Übernahme. Das zweite Kind will Dany aber erst nach ihrer Unizeit bekommen: „Erst mal fertig werden.“

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