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Gesundheit: Die Wahrheit ist ein Krampf

Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist nicht immer einfach – etwa bei einer Krebsdiagnose Am Dienstag berichten Experten im Rahmen der Vivantes-Akademie von ihren Erfahrungen

In einer Klinik im Norden Berlins sitzt eine Frau ihrem Arzt gegenüber. Monatelang zog sie eine aufwendige Krebstherapie durch. Nun ist sie arglos, hat einen neuen Job, will bald in den Urlaub. „Sie war richtig fröhlich“, erzählt der Arzt einige Tage nach dem Termin. Sie glaubt, er wolle ihr alles Gute wünschen, sie ins normale Leben entlassen. Sie liegt falsch. Die Therapie war nicht erfolgreich, der Tumor ist zurück, der Arzt weiß das durch die Blutwerte seiner Patientin. Sie wird eine härtere Behandlung brauchen, ihren Job nicht behalten, den Urlaub streichen müssen. Wie sagt der Arzt ihr das alles? „Es ist ein Krampf“, sagt er. Immer wieder stand er in seinen 30 Berufsjahren vor der Frage: „Wie viel Wahrheit verträgt ein lebensfroher Mensch?“ Seine Patientin ist gerade 40 Jahre alt. Der Arzt spricht von „Problemen“, sie fragt nach, wird unruhig. Je mehr er von „Befunden“ und „Aussichten“ redet, desto verzweifelter wird sie. Bevor er alles erzählt hat, was er sagen will, rennt sie aus dem Zimmer. Sie will, sie kann nicht mehr hören, dass sie den Kampf gegen den Krebs erneut aufnehmen muss.

Für viele Menschen bleibt nach einer Krebsdiagnose kein Stein auf dem anderen, schon deshalb gibt es in großen Kliniken speziell ausgebildete Psycho-Onkologen. Diese sollen helfen, dass der Patient wieder klar denken kann. Am Dienstag wollen Ärzte und Schwestern im Rahmen der Vivantes-Akademie in mehreren Vorträgen für Laien verständlich über die Kommunikation zwischen Arzt und Patient sprechen.

Nicht jeder Patient verträgt die ganze Wahrheit gut, zumindest nicht in aller Deutlichkeit. Er schon: Percy Grunwald, 52 Jahre alt, Finanzbeamter aus Neukölln. Grunwald sieht ein bisschen so aus, wie man sich den Kapitän einer Luxusjacht vorstellt. Blaues Sakko zu sanft gebräunter Haut und weißem, einst blondem Haar. Seine Ärztin Maike de Wit sagt, Grunwald sei ein souveräner Patient: „Er ist sehr reflektiert und relativ robust.“ Die 50-jährige Krebsspezialistin am Klinikum Neukölln betreut Grunwald seit mehr als einem Jahr.

Doch auch mit Grunwald sei nicht jedes Gespräch einfach gewesen, auch er habe nicht jedem Vorschlag der Onkologin zugestimmt. Er wollte unbedingt eine Misteltherapie beginnen, eine umstrittene Behandlung mit der bekannten Pflanze. Solche Debatten – Chemo versus Natur – können aus dem Ruder laufen, die Fronten zwischen Arzt und Patient verhärten. De Wit kam Grunwald entgegen, beide einigen sich darauf, dass er es vier Wochen lang mit der Misteltherapie versuchen kann. Wenn sich seine Symptome aber verschlechtern, vereinbarten beide, darf de Wit mit der Chemotherapie beginnen. Grunwald willigte ein und beobachtete sich selbst aufmerksam. „Ich habe schnell gemerkt, dass ich die Misteltherapie überschätzte“, sagt der Finanzbeamte. Wenig später sprechen die beiden über den Chemotherapieplan. „Man muss sich und dem Patienten Zeit geben“, sagt de Wit.

Die Ärztin hat sich einen bestimmten Umgang angewöhnt, um ihre Patienten kennenzulernen. De Wit holt sie etwa aus dem Wartebereich ab. Kein knarziges Aufrufen über einen Lautsprecher im Flur, das wäre ihr zu unpersönlich. „Schon durch den Händedruck gewinne ich einen ersten Eindruck“, sagt sie. Auch der Gang ins Besprechungszimmer verrät ihr etwas über die Patienten: Gehen sie schnell, langsam, ungeduldig?

„Patienten sind heute oft besser vorbereitet als vor zehn Jahren“, sagt de Wit. Manche testen ihren Arzt sogar, indem sie Unwissen vortäuschen. Zu den zahlreichen Gesundheitsforen im Netz kommen Ratgebermagazine und Fernsehsendungen. Gerade im Internet äußern sich neben ausgewiesenen Experten aber auch Laien und Hochstapler zu Krankheiten und Heilungsideen. „Es gibt Patienten, die mit lauter Halbwahrheiten in die Sprechstunde kommen“, sagt de Wit. Viele würden sich von Angehörigen beraten lassen, die nicht immer die richtigen Tipps geben: Die Hälfte der Krebskranken lehnt Onkologen zufolge eine Therapie zunächst ab – viele fürchten etwa das, was gemeinhin als Folge einer Tumorbehandlung gilt: Haarausfall, Depression, Schwäche. Vor allem, wenn der Tumor wiederkommt, wollen sich viele Patienten nicht zum zweiten Mal einer Therapie aussetzen.

Was machen, wenn der Patient partout nicht möchte, was ihm sein Arzt empfiehlt? „Ich rate Patienten, eine zweite Meinung einzuholen, einen anderen Arzt um eine Empfehlung zu bitten“, erklärt de Wit. Oft reiche schon ein Hinweis auf die Möglichkeit, einen Experten in einer anderen Klinik zu fragen – viele Patienten gingen dann gar nicht wirklich los, um mit einem anderen Mediziner zu sprechen. Percy Grunwald sagt: „Wichtig ist das Gefühl, selbst entschieden zu haben, dass man seiner Ärztin in ihrer Entscheidung vertraut.“

Vivantes-Akademie: „Hochleistungsmedizin und Menschlichkeit“, 1. November, 17 Uhr, Luisenstraße 58 (Langenbeck-Virchow-Haus). Kostenlose Veranstaltung.

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