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Gesundheit: Die Wirkung der Wörter

Von „entartet“ bis „Blitzkrieg“: Germanisten untersuchen die Karriere der NS-Sprache – und stoßen auf aktuelle Phänomene

Problematische Worte bringen ebensolche Denkweisen in Umlauf: diese These wurde nach Ende des 2. Weltkriegs heftig diskutiert, die Sprache für das Aufkommen der Nazi-Diktatur mitverantwortlich gemacht. Es gab Bemühungen, bestimmte Begriffe aus dem deutschen Wortschatz zu streichen. „Blitzkrieg“, „entartet“, „Lager“ oder „Mädel“ sollten nicht mehr verwendet werden und nur noch „im Geschichtsunterricht späterer Zeiten“ wieder auftauchen, wie etwa Romanist Victor Klemperer erklärte.

Tatsächlich kam es anders: Wie sich die Sprache seit Ende der Nazi-Zeit entwickelt hat, was aus den Schlüsselworten von damals geworden ist, das untersuchen Georg Stötzel und sein Team aus Germanisten der Universität Düsseldorf. In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt geht es dabei nicht nur um die Karriere der Nazi-Sprache, sondern auch um heutige Phänomene: Welche Worte verwenden Historiker, wenn sie von damals berichten? Wie werden die Begriffe in der heutigen Zeit instrumentalisiert? Gibt es ein Vokabular der Geschichtsverdrehung?

Um solche Fragen zu beantworten, werden Zeitungen ausgewertet, Archive durchsucht und Fachliteratur, Gerichts- und Bundestagsprotokolle studiert. Bis 2007 soll ein rund 100 Worte umfassendes „Wörterbuch der Vergangenheitsbewältigung“ entstehen. „Es soll der Auseinandersetzung dienen“, sagt Stötzel. „Die Interpretation kommt von allein.“

Heißt es „Reichspogromnacht“ oder „Reichskristallnacht“? Haben die Nazis die Macht ergriffen, erschlichen oder übernommen? „Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, welche Bedeutung Vokabeln im historischen Kontext haben“, erklärt Georg Stötzel. „Die Verwendung derartiger Begriffe zeigt, wie sich die Deutschen selbst interpretieren.“ Besonders gut sei dies bei öffentlichen Gedenkfeiern zu beobachten, auch hier gebe es Beispiele: So erregte Bundestagspräsident Phillip Jenninger 1998 mit seiner Rede zum 50. Jahrestag der November-Pogrome von 1938 den Eindruck, er würde sich nicht ausreichend vom nationalsozialistischen Gedankengut distanzieren. Nach erheblichen Protesten trat Jenninger zwei Tage später zurück.

Ein besseres Wortgefühl hatte Richard von Weizsäcker mit seiner Ansprache am 8. Mai 1985 bewiesen. Zum Jahrestag des Kriegsendes, der in diesen Tagen zum 60. Mal begangen wird, erklärte der damalige Bundespräsident: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Die Darstellung der Schuldverstrickung der Deutschen, die Hervorhebung des 8. Mai 1945 als Zäsur, dieser Ausdruck fand weltweit viel Anerkennung.

„Die Frage ist also, welches Geschichtsvokabular überhaupt gewollt ist“, sagt Stötzel. Die Diskussionen über die Namensgebung von Reichstag und Bundeswehr oder die Verwendung des Begriffs Wiedervereinigung zeigten, dass es eine bewusste Festlegung solcher Worte nach einer öffentlich geführten Diskussion gibt – sie alle werden Eingang in den Sammelband des Germanisten finden.

Ein ganz anderes Gebiet, das ebenfalls im Düsseldorfer Wörterbuch verzeichnet werden soll, ist die Verwendung von Nazi-Vergleichen und ihrer Wirkung. „Oft werden diese bewusst eingesetzt und dienen dann der Diffamierung, andere geschehen tatsächlich aus Unachtsamkeit“, berichtet Stötzel. Manchmal werde aber auch versucht, einen ausgesprochenen Vergleich wieder ungeschehen zu machen. Dazu gehört etwa die Aussage Helmut Kohls in einem Interview mit der amerikanischen Zeitschrift „Newsweek“ im Oktober 1986. Der Bundeskanzler verglich Gorbatschow mit Goebbels: Beide verständen etwas von Public Relations. Nachdem die Aufregung angesichts dieser Äußerung hohe Wellen schlug, sagte ein Regierungssprecher, Kohl habe dies niemals so gesagt.

Auch in den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Nazi-Vergleichen, und jedes Mal konnten die Düsseldorfer Germanisten beobachten, dass sie heftige Reaktionen auslösten: Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi erregte Aufsehen, als er im Juli 2003 den Europaabgeordneten Martin Schulz in eine Reihe mit KZ-Schergen stellte. Er blieb im Amt, während ein Vergleich von US-Präsident Bush mit Hitler die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin zuvor ihren Job gekostet hatte. Als aktuelles Beispiel nennt Stötzel das Wort vom „Bomben-Holocaust“. Anfang 2005 hatte NPD-Fraktionschef Holger Apfel anlässlich des 60. Jahrestags der Zerstörung Dresdens mit diesem Vergleich Proteste hervorgerufen.

„Besonders dieses Beispiel zeigt, wie stark die Sensibilität für diese Themen in der Öffentlichkeit ausgebildet ist,“ sagt Stötzel. Außerdem steht es für ein weiteres Themenfeld, das er in seinem Wörterbuch behandeln will: Der Nazi-Vergleich ist für den Germanisten nur ein Beleg dafür, wie rechtsradikale Politiker Sprache einsetzen. „Sie vermeiden jede Form von verfänglichen Wendungen“, berichtet Stötzel. So drehten die Neonazis in der Schuldfrage die Seiten um und erklären, die Deutschen seien von „Schuld besessen“. Indem die Germanisten auch diese Worte untersuchen, wird aus ihrem Buch-Projekt kein reines Werk zur Vergangenheitsbewältigung, sondern auch eine Reflexion der aktuellen Situation.

Nicola Kuhrt

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