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Gesundheit: DURCHGEFALLEN: Schlußstrich unter fünf Jahre Lebenszeit

Wie fühlt man sich, wenn man das Examen auch beim zweiten Versuch nicht packt? Eine Durchgefallene berichtet.

Wie fühlt man sich, wenn man das Examen auch beim zweiten Versuch nicht packt? Eine Durchgefallene berichtet.VON SONJA A.TITTELFITZ"Nächste: Rathaus Schöneberg", raunt der Busfahrer mürrisch in sein Mikrophon.Es ist soweit, zum letzten Mal soll ich das Justizprüfungsamt in der Salzburger Straße 21 betreten. Jedes Jahr melden sich in Berlin rund 1100 hoffnungsvolle Kandidaten zum 1.Staatsexamen an.Über 30 Prozent werden so enden wie ich, sie werden das Examen nicht bestehen.1997 wiederholten laut Pressestelle des Justizprüfungamtes 72 Studenten die Prüfung, davon zerschlugen sich für 34 von ihnen (inklusive der "Freischüßler") endgültig alle Hoffnungen. Die Bustüren öffnen sich. Es ist Markttag vor dem Rathaus Schöneberg.Leuchtend orange strahlen mich faustgroße Mandarinen an, goldgelbe Bananen buhlen um die Gunst der einkaufenden Hausfrauen.Aromatisch duften Kräuteroliven, aber nach Einkaufen ist mir nicht zumute.Ein flaues Gefühl macht sich in meinem Magen breit, je näher ich dem Justizprüfungsamt komme.Wie stolz war ich, als ich vor einem Jahr zur Anmeldung die halbrunden Stufen zu den schwer zu öffnenden Türen des Gebäudes emporstieg! Beim Eintreten fällt der Blick zunächst auf den Mann hinter Glas.Ob der Pförtner in grauer Uniform sich wohl heimlich fragt: "Hat die wohl bestanden oder nicht?" Es riecht genau wie damals: eine Mischung aus Angst, Meister Proper, Schweiß und Staub.Ich stelle mir vor, mit welcher Leichtigkeit ich wohl die 225 Stufen hochgerannt wäre, um ein Abschlußzeugnis in Empfang zu nehmen.Die niederschmetternde Realität zwingt mich jedoch, auf dem Teppich zu bleiben.Teppich? Den hat es damals, als ich zu den neun Klausurterminen erschien, noch nicht gegeben.Die letzte steile dunkle Eichentreppe zu den Prüfungsräumen knarrte und ächzte damals, als ob sie um mein Schicksal bereits bangte. Jetzt sind die langen Flure menschenleer, die Zettel an den Türen "Ruhe Bitte, Prüfungen" sind schon vergilbt und kleben an manchen Ecken nicht mehr.Keine Wache mehr vor den Toiletten und Raumausgängen, die BZ-lesenden und apfelessenden Bewacher in Beige sind längst zu Hause. Da ist es, Zimmer 331.Ein Schlußstrich wird nun gezogen unter fünf Jahre meines Lebens, die ich zusammen mit über 600 Studenten in zu kleinen Räumen, überfüllten Bibliotheken und mit häufig unmotivierten Professoren verbracht habe.Der Weg, zum Examen zugelassen zu werden, war steinig genug, Hausarbeiten, Klausuren, Seminare, Projektgruppen und Praktika.Dazu eine Benotung, bei der ein Jurastudent schon die Sektkorken knallen läßt, wenn er nur ein "Befriedigend" erreicht. Ich atme tief durch und klopfe an.Ich zwinge mich zu einem fröhlichen "Guten Morgen" und nehme mir ganz fest vor, mir nichts von meiner Trauer und Wut anmerken zu lassen.Da geschieht das Unfaßbare: War ich fünf Jahre dazu verdammt, in einer anonymen Masse untergegangen zu sein, lediglich eine Matrikelnummer im Moloch Universität darzustellen, so erfahre ich auf meinem letzten Weg ein Stück Menschlichkeit und Interesse. Der Sachbearbeiterin entrutscht ein "herzliches Beileid" zum kläglichen Ende meiner juristischen Karriere.Sie kennt sogar meinen Namen und erkundigt sich besorgt nach meinen weiteren beruflichen Plänen.Traurig überreicht sie mir meine im Laufe des Studiums erreichten Leistungsnachweise, die nichts mehr bedeuten, und wünscht mir alles Gute für meine Zukunft.Und die werde ich mit frischem Obst und griechischen Spezialitäten beginnen. Lesen Sie auch:

SONJA A.TITTELFITZ

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