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Gesundheit: Ein Fieber namens Q

Eine mysteriöse Krankheit ist im Aufwind – sie wird vor allem von Schafen übertragen

Die drei Hausärzte in einer Praxisgemeinschaft am Rande des Ruhrgebiets trauten ihren Augen nicht. Jeden Tag sahen sie mehrere Patienten mit identischen Symptomen, aber einem Krankheitsbild, das die Mediziner nicht einordnen konnten.

Alle Erkrankten hatten Fieber, neun von zehn klagten über Glieder- und Kopfschmerzen und bei drei von vier zeigten die Röntgenaufnahmen der Lunge einen krankhaften Befund. Zwei Drittel der Patienten hatten Bauchschmerzen, die Hälfte hatte stark an Gewicht abgenommen, bei einigen zeigten sich Veränderungen des EKGs. Nach vier Wochen und 97 Erkrankungsfällen war im Januar 1993 klar, dass am Stadtrand von Dortmund eine „Q-Fieber-Epidemie“ ausgebrochen war, verursacht durch den Erreger „Coxiella burnetii“.

Angriff aufs Herz

Coxiellen sind winzige Bakterien, die sich ausschließlich innerhalb von Zellen vermehren und typischerweise Wiederkäuer wie Kühe, Ziegen, Schafe befallen. Sie gelten als äußerst widerstandsfähig. Auch wenn keiner der Patienten in Dortmund Kontakt zu einem Paarhufer gehabt hatte, so waren alle Opfer ungewöhnlicher Umstände geworden, bei denen Schafe, Zecken und Coxiellen die Akteure waren.

Der vorausgegangene Sommer war ungewöhnlich heiß und trocken geworden, so dass sich die Zeckenpopulation enorm vergrößert hatte. Im Zeckenkot hatten sich unzählige Coxiellen zu „winterharten“ Sporenformen umgewandelt, mit denen sich wiederum einige Schafe infizierten, die die kalte Jahreszeit in einem Stall in der Ortsmitte von Dortmund-Asseln verbrachten. Zufällig wurden die Schafe mehrfach durch die Straßen der Ortschaft getrieben, als es gerade sehr windig war. Anlieger und Passanten atmeten die dabei mit dem Staub aufgewirbelten Bakterien ein – die Q-Fieber-Infektion nahm ihren Lauf. Der ungewöhnliche Krankheitsverlauf und die eigentümlichen epidemiologischen Zusammenhänge machen klar, warum die Krankheit im Englischen lange mit „query fever“, unklares Fieber, bezeichnet wurde.

Alleine in Deutschland wurden seit 1947 40 Q-Fieberepidemien mit 25 bis 100 Krankheitsfällen pro Jahr gezählt. In 24 Epidemien konnten Schafe als Verursacher der Erkrankung ausgemacht werden. Typischerweise begannen die Epidemien, kurz nachdem die Mutterschafe Lämmer bekommen hatten. Die Erklärung: In der Geburtsflüssigkeit, aber auch in der Nachgeburt ist die Erregerdichte besonders hoch und erreicht so die hohe Zahl von 109 Keimen pro Gramm Gewebe.

Eine im Mai dieses Jahres in Bad Sassendorf (Westfalen) aufgetretene Q-Fieber-Epidemie hat den Blick der Infektionsmediziner auf die Krankheitskomplikationen gelenkt, die nach einem Q-Fieber auftreten können. Während nämlich die akute Erkrankung leicht durch ein Antibiotikum kuriert werden kann, sind Spätfolgen nur schwer behandelbar.

So kann es noch zehn Jahre nach einem akuten Q-Fieber zu einer Herzklappenentzündung kommen. Von einer solchen gravierenden Krankheitsfolge ist etwa jeder 20ste Patient betroffen. Das Risiko ist dann besonders hoch, wenn die Herzklappe bereits vor der Infektion anatomisch etwas verändert war.

Warum sich Coxiellen gerade auf abnormalen Herzklappen ansiedeln, ist unbekannt. Klar ist aber, dass solche Patienten durch die zusätzliche Infektion später häufig in der Herzchirurgie landen, weil sie eine künstliche Herzklappe benötigen.

Die zweite Risikogruppe sind Schwangere, insbesondere in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft. Eine Untersuchung des nationalen französischen Rickettsien-Forschungszentrums in Marseille hat ergeben, dass von sieben Frauen, die sich im ersten Schwangerschaftsdrittel mit Coxiella burnetii infizierten, alle eine Fehlgeburt hatten. Bei Frauen, die sich später mit dem Q-Fieber ansteckten, war dies nur bei jeder Fünften der Fall.

Wissenschaftler der Abteilung für Infektionsmedizin des Robert-Koch-Instituts haben überprüft, ob man Risikopatienten mit einer Antibiotikadauertherapie vor diesen Krankheitskomplikationen schützen kann. In der Tat kam es nach der Einnahme von einem Tetrazyklinpräparat zu signifikant weniger Herzklappenentzündungen. Und von vier Schwangeren, die umgehend nach Beginn des Q-Fiebers und während der gesamten Schwangerschaft mit einen Kombinationsantibiotikum behandelt worden waren, hatte keine eine Fehlgeburt. Daraus leiten die Mediziner die Schlussfolgerung ab, dass eine dauerhafte Antibiotikatherapie solche Komplikationen nach einem Q-Fieber verhindern kann.

Eine Analyse aller in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs aufgetretenen Fälle von Q-Fieber zeigt nicht nur, dass sich die ungewöhnliche Infektion im Aufwind befindet, sondern auch, dass sich das Muster der Epidemien in den letzten 20 Jahren kontinuierlich verändert hat. Während früher die Krankheitsausbrüche meist am Ende des Winters bis Anfang Frühling auftraten, ziehen sie sich heute bis weit in den Sommer hinein. Dies hängt offensichtlich mit ökonomisch bedingten Änderungen in der Schafzucht zusammen.

Das ganze Jahr Lammfleisch

Schafherden, die vorwiegend über brachliegende Wiesen getrieben werden, gibt es so gut wie nicht mehr (1968 waren noch 30 Prozent aller Schafherden „nomadisierend“). Bei dieser Art der Schafhaltung trat das Q-Fieber vorwiegend in den Wintermonaten auf - wenn also die Schafe dichtgedrängt in einem Stall untergebracht waren und der coxiellenhaltige Staub von den Hirten oder Scherern eingeatmet wurde.

Heute werden Schafe meist auf festgelegten Weideplätzen gehalten. Die Geburt der Lämmer wird so gesteuert, dass es vom Frühling an bis in den Spätsommer über einen langen Zeitraum Nachschub an Lammfleisch gibt. Da das höchste Infektionsrisiko vom Fruchtwasser und der Nachgeburt ausgeht, ist verständlich, warum sich Coxiella-Epidemien nun mehr und mehr bis in den Sommer hinein erstrecken.

Hermann Feldmeier

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