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Gesundheit: Ein Gen der Angst

Von Bas Kast Frau S. war selbst für den erfahrenen Neurologen Antonio Damasio ein außergewöhnlicher Fall.

Von Bas Kast

Frau S. war selbst für den erfahrenen Neurologen Antonio Damasio ein außergewöhnlicher Fall. Die ganze Welt erschien der Dame rosarot. Es störte sie nicht im Geringsten, dass sie sich in einer Klinik befand. Kein Mensch, von dem sie sich nicht gerne umarmen ließ. Frau S. war immer freundlich, immer fröhlich, entgegenkommend.

Etwas allzu entgegenkommend, wie der Neurologe fand. „Sie schien geradezu darauf zu brennen, mit jedem zu interagieren, der ein Gespräch mit ihr anfing“, beschreibt der Professor an der Universität von Iowa den kuriosen Fall in seinem Buch „Ich fühle, also bin ich“.

Aufschluss brachte ein Blick auf die Röntgenbilder ihres Gehirns. Tief unten in den beiden Schläfenlappen schimmerte ein „helles milchiges Weiß, nicht zu übersehen“. Allmählich dämmerte es Damasio, womit er es zu tun hatte.

Das „milchige Weiß“ war nämlich in einer Region des Hirns, wo sich die Amygdala befindet, auch Mandelkern genannt (siehe Infografik). Die Struktur heißt so, weil sie einer Mandel ähnelt. Wie die Computertomographie-Aufnahmen weiß auf schwarz zeigten, waren bei Frau S. die Mandelkerne ihrer beiden Hirnhälften buchstäblich verkalkt.

Emotionales Vokabular gelöscht

Was hatte der Befund zu bedeuten? Der Mandelkern gilt als Schaltzentrale der Angst. Das war der Grund für das Dauerhoch der Frau S.: Die Verkalkung der beiden Kerne hatte der Frau jegliche Fähigkeit genommen, Furcht zu empfinden. „Als wären negative Emotionen wie Furcht und Ärger aus ihrem affektiven Vokubular gelöscht worden“, schreibt Damasio. Angst, dieses dunkle, unfassbare Gefühl, lässt sich also lokalisieren im Kopf, eingrenzen auf zwei kleine Kerne. Fegt ein epileptischer Anfall über die Mandelkerne hinweg, bekommen die Patienten eine Panikattacke.

Eine neue Studie im US-Fachblatt „Science“ untermauert die Rolle, die die Mandelkerne für das Gefühl der Angst spielen. Die Forscher begnügten sich aber nicht damit, die Furcht bis tief ins Hirn zu verfolgen. Sie spürten sogar ein Gen der Angst auf.

Die Gruppe um den Neurologen Daniel Weinberger vom National Institute of Mental Health in Bethesda (US-Bundesstaat Maryland) zeigte dazu 28 Probanden jeweils drei Gesichter, die entweder Angst oder Ärger ausdrückten. Zwei der Gesichter zeigten immer das gleiche Gefühl (zum Beispiel Angst), das dritte wich davon ab (drückte in diesem Fall also Ärger aus). Die Versuchspersonen sollten lediglich angeben, welche zwei Gesichter die gleiche Emotion zeigten. Als Kontrollversuch mussten die Probanden dasselbe mit geometrischen Figuren machen.

Der Glücksbote

Doch bevor der Versuch begann, untersuchten die Wissenschaftler die Probanden auf ein ganz bestimmtes Gen. Ein Gen nämlich, das die Produktion eines Serotonin- Transporters kontrolliert. Serotonin, das ist ein Hirnbotenstoff, der auch als „Glücksbote“ bezeichnet wird. Bestimmte Hirnzellen, auch solche, die an unseren guten Gefühlen beteiligt sind, nutzen diesen Stoff für ihre Kommunikation. Hat eine Hirnzelle ihr Signal mit Hilfe von Serotonin an die nächste Zelle weitergegeben, wird der Botenstoff mit Hilfe des Transporters wieder in die Ausgangszelle zurückbefördert. Den Vorgang nennt man „Wiederaufnahme“. Viele Antidepressiva, etwa das Modemedikament Prozac, hemmen diesen Wiederaufnahmevorgang: Der Glücksbote Serotonin bleibt länger aktiv, die Stimmung steigt.

Der Bau des Serotonin-Transporters wird von einem Gen kontrolliert, das in zwei Fassungen vorkommt: einer kurzen und einer langen. Besitzt man die kurze Version, funktioniert der Serotonin-Transporter nicht so gut, das Serotonin bleibt also länger aktiv.

Eigentlich sollte das kurze Gen also wie „Glücksgen“ wirken – und wie Prozac die Stimmung heben. Studien haben aber gezeigt, dass Menschen mit dem kurzen Gen eher ein wenig ängstlicher sind als Menschen, die nur über die lange Version des Gens verfügen. Die Probanden der Science- Studie wurden in zwei Gruppen geteilt: Die einen verfügten über die langen Gene, die anderen hatten mindestens ein kurzes Kontrollgen für den Transporter.

Jetzt konnte das Experiment beginnen. Während sich die Probanden an die Aufgabe machten, scannten Weinberger und seine Kollegen mit einem Kernspintomographen (fMRI) ihre Gehirne.

Es stellte sich heraus, dass der rechte Mandelkern derjenigen Probanden, die ein kurzes Kontrollgen für den Serotonin-Transporter besitzen – bei den etwas Ängstlicheren also – beim Betrachten der verängstigten und verärgerten Gesichter aktiver wurde, als bei den Versuchspersonen mit den langen Kontrollgenen.

Gen, Gehirn, Gefühl

Was auf den ersten Blick trivial erscheinen mag – ängstlicher veranlagte Menschen reagieren heftiger auf bestimmte emotionale Reize –, erweist sich bei näherem Hinsehen als kleine Revolution. Denn mit ihrem Versuch schließen Weinberger und sein Team eine Lücke, die bislang nur schwer zu überbrücken schien: die Kluft zwischen Gen, Gehirn und Gefühl. Ein kurzes Kontrollgen für den Serotonin-Transporter geht nicht nur einher mit erhöhter Mandelkernaktivität, sondern auch – wie andere Studien gezeigt haben – mit gesteigerter Ängstlichkeit.

Der Mandelkern signalisiert uns „Gefahr!“ und versetzt uns in Angst. Was also könnte die Funktion eines besonders aktiven Mandelkerns sein? Er könnte uns besonders gut vor Gefahren warnen, „eine nützliche, positive Eigenschaft“, sagt Weinberger.

Auf der anderen Seite könne ein überaktiver Mandelkern aber auch „das Risiko einer Angststörung“ in sich bergen: Wenn der Mandelkern sich so leicht erregen lässt, dass er auch bei vollkommen harmlosen Reizen ausschlägt und Furcht in uns auslöst, ist der Schritt zu einer Angstneurose nicht mehr groß.

Die Aktivität des Mandelkerns hängt zwar damit zusammen, ob man über kurze oder lange Kontrollgene des Serotonin-Transporters verfügt. Wie aber andere Untersuchungen gezeigt haben, greifen auch die Erfahrungen, die wir in der Kindheit machen, in unseren Botenstoffhaushalt ein. „Stress in der Kindheit etwa macht einen Menschen ein Leben lang anfälliger gegenüber Stress“, sagt Weinberger. Der Grad der Angstanfälligkeit wird also von vielen Faktoren bestimmt. Die Gleichung kurzes Gen gleich Angsthase geht nicht auf.

Das gilt auch für eine weitere Gleichung. Lange galt, dass der Botenstoff Serotonin die Stimmung hebt – je mehr Serotonin, umso besser die Stimmung. Auch diese Regel erweist sich als zu einfach: Denn das kurze Kontrollgen beeinträchtigt den Abtransport des Serotonins. Wie bei dem Medikament Prozac bleibt der „Glückbote“ dadurch länger aktiv – das sorgt aber offenbar nicht für mehr Glück, sondern für gesteigerte Ängstlichkeit. „Es ist ein Unterschied, ob der Botenstoffhaushalt durch unsere Gene von Geburt an anders ist, oder ob er sich erst später im Leben verändert“, sagt Weinberger.

Die meisten Menschen besitzen übrigens mindestens eine Ausgabe des kürzeren Kontrollgens. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass eine leicht erhöhte Ängstlichkeit – sprich: eine etwas größere Empfindlichkeit für Gefahr – durchaus nützlich sein könnte?

Frau S., der Frau ohne Furcht, war genau das abhanden gekommen: Die Fähigkeit, Gefahren zu erkennen. Nicht selten wurde sie von ihren Mitmenschen reingelegt, ausgenutzt, betrogen. So schön uns also die rosarote Brille im Kopf vorkommen mag, Frau S. zahlte dafür einen hohen Preis.

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