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Gesundheit: Ein interessanter Zwischenjahrgang, die 1949 Geborenen - in der DDR Gegenstand der Propaganda, im Westen beim Marsch durch die Institutionen erfolgreich

Um es vorwegzunehmen: Zeitpunkt und Ort der Geburt sind kein Verdienst. Wer im Gründungsjahr der Bundesrepublik westlich der Elbe geboren wurde, hatte es schwer mit den Amerikanern, den Eltern und manchmal mit der Kirche.

Um es vorwegzunehmen: Zeitpunkt und Ort der Geburt sind kein Verdienst. Wer im Gründungsjahr der Bundesrepublik westlich der Elbe geboren wurde, hatte es schwer mit den Amerikanern, den Eltern und manchmal mit der Kirche. Kaum 19jährig, gerieten die jungen Westdeutschen 1968 in die chaotischen Monate der Straßenschlachten auf dem Kurfürstendamm und des Aufbegehrens gegen den Vietnam-Krieg. Wer im Gründungsjahr der Deutschen Demokratischen Republik das Licht der Welt erblickte, hatte Ärger mit den Russen, den Eltern und auch mit der Partei oder Stasi.

Als die jungen Ostdeutschen des Jahrganges 1949 gerade 19 Jahre alt waren, ließ der Prager Frühling die Hoffnungen keimen. Doch alle Träume starben kurz darauf auf dem Wenzelsplatz. "Das Jahr 1968 hat die Nachkriegsgeneration in beiden Teilen Deutschlands verschieden geprägt", sagt Dorothee Wierling, Sozialhistorikerin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. "Damals trennte sich die gesamtdeutsche Gesellschaft mental, das war der stärkste Einschnitt in die Biographien." Dorothee Wierling hat sich die Lebensläufe des Jahrganges 1949 genauer angesehen. Sie befragte Menschen in Ostdeutschland - mündliche Überlieferung von Geschichtserfahrung nennt das die Sozialwissenschaft. Sie las Polizeiprotokolle aus Karl-Marx-Stadt, Bitterfeld und Eisenhüttenstadt und grub jede Menge Daten aus den Archiven.

"Die jungen Leute in der DDR machten 1968 die Erfahrung einer bitteren Niederlage, die sie lange Zeit lähmte", kommentiert sie auf der Grundlage ihrer Recherchen. "Im Westen begann der selbstbewusste Marsch durch die Institutionen. Erst in den Siebzigern beziehen sich die ostdeutschen Oppositionellen stärker auf die westdeutschen Theoretiker der 68er Bewegung." Aber seit den 70er Jahren machte sich unter den jugendlichen Intellektuellen des Westens schon wieder Ernüchterung breit.

Ein Blick an den Anfang: Vier Jahre nach dem Krieg hatten sich die Besatzungszonen in Ost und West bereits sehr unterschiedlich entwickelt. Im Westen schwappten mit dem Marshall-Plan Nahrungsmittel, Jazz und Schokolade ins Land. Mit dem Wiederaufbau der zerstören Städte kam das Wirtschaftswunder in Gang. Im Osten demontierte die russische Besatzungsmacht die letzten verbliebenen Industriebetriebe als Ausgleich für die unermesslichen Kriegsschäden, die die Deutschen in ihrer Heimat angerichtet hatten. Die Geburtenrate in den westlichen Besatzungszonen lag schon 1946 deutlich höher als im Osten noch zu Beginn der 50er Jahre.

"Die Kinder des Jahrganges 1949 waren Kinder der Hoffnung und des Versprechens", meint Dorothee Wierling über die Situation im Ostteil des Landes. "Es war die Schwelle zum Frieden, zur Stabilität, zur Familie, manchmal zum Sozialismus, immer zur Zukunft." Im Westen wurden viele Kinder in die Welt gesetzt, um das zu erfüllen, was ihren Eltern durch Krieg und Entbehrungen versagt blieb.

Die offizielle DDR-Propaganda nutzte diese geheimen Sehnsüchte, indem sie den 49er Jahrgang politisch ausschlachtete. Mitte der 50er Jahre gab sie einen regelrechten Glücksauftrag aus: "Sei glücklich, junger Pionier!" Ein ganzer Jahrgang wurde für den Aufbau des Sozialismus vereinnahmt. "Doch während noch der zehnte Jahrestag der DDR vom Pathos des Aufbaus und der Arbeit bestimmt gewesen war, standen die Feiern 1969 stärker im Zeichen des Erreichten", sagt Dorothee Wierling, die sich zu diesem Thema habilitieren will. "Statt Arbeit waren es Freizeit und Konsummöglichkeiten, die die Propagandaslogans prägten."

Das hatte einen Grund: Ein Jahr nach dem Prager Frühling saß die Enttäuschung vor allem bei den jüngeren Leuten tief - den SED-Chefs blieb nur die Flucht nach vorn. Die Sozialwissenschaftlerin Monika Gibas nannte dies "den Versuch, eine soziale Zeit zu stiften, die Grenzen zwischen individueller und gesellschaftlicher Zeit zu überwinden und mit dem Gleichklang des Zeiterlebens den Gleichschritt im Zeit-Gestalten möglich zu machen." Dazu diente 1969 an erster Stelle der Geburtsjahrgang 1949: Fotos von jungen, frischen Mädchen mit dem Untertitel "Ich bin 20" zierten im Osten viele Fassaden. Sogar die offiziöse Erinnerung an die Blutopfer im Kampf gegen den Faschismus wurde verstärkt durch eine zukunftsgewandte Propaganda abgelöst.

Wissenschaftler des Zentralinstituts für Jugendforschung der DDR kamen seinerzeit nach Umfragen unter Jugendlichen und Studenten zu dem Schluss: Man könne "feststellen, dass Mädchen positiver als Jungen, Oberschüler positiver als Berufsschüler, Genossenkinder positiver als Kinder anderer Eltern, FDJ-Funktionäre positiver als Nichtfunktionäre urteilen. In allen Fällen reagieren die Berliner Jugendlichen negativer." Offenbar hatte der Bau der Mauer tiefe Spuren hinterlassen. Bemerkenswert ist auch diese Aussage: "Der positive Aussagegehalt nimmt mit der Zunahme des Alters ab." Mit dem Einstieg in den Beruf oder dem Beginn der akademischen Karriere mussten viele jungen Menschen in Ostdeutschland erfahren, wie weit die Schere zwischen ihrem Tatendrang und den tatsächlichen Möglichkeiten klaffte.

Anderen Untersuchungen zufolge waren die wichtigsten Schaltstellen der DDR-Wirtschaft fest in der Hand der Altkommunisten und gewendeter Nachrücker aus der ehemaligen Hitler-Jugend. Zu Beginn der 70er Jahre wurden die Stellen für einen schnellen beruflichen Aufstieg außerdem durch die stagnierende Wirtschaft in der DDR rar.

Im Wendejahr 1989 war der Propagandajahrgang 1949 familiär und beruflich fest etabliert. "Allerdings waren sowohl das Pathos des schweren Anfangs als auch der Optimismus bezüglich der gesellschaftlichen und persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten verflogen", resümiert Dorothee Wierling. "Die Idee vom steigerbaren Konsum oder vom persönlichen Fortkommen wich der Ernüchterung."

Vor allem die Akademiker fühlten sich behindert, unterfordert und enttäuscht. So wundert es nicht, dass zahlreichende führende Köpfe der ostdeutschen Opposition den Geburtsjahrgängen zwischen 1945 und 1955 angehörten. Einige Historiker bezeichnen den Umsturz im Jahr 1989 gar "als Revolution der 40jährigen", was ein bisschen zu eng gefasst sein dürfte. Tatsächlich handelte es sich bei den oppositionellen Aktionisten 1989 um ein sehr heterogenes Spektrum, in dem aber die Jüngeren bis 40 Jahre dominierten. Als sich im November 1989 plötzlich alle Türen öffnen, sind die Kinder des Geburtenjahrganges 1949 schockiert, denn "Deutschland kam bei ihnen bislang nur als Alptraum vor", wie der Soziologe Wolfgang Engler in seinem kürzlich erschienenen Buch "Die Ostdeutschen" schreibt. Als sie sich endlich mit den neuen Verhältnissen zurechtfinden, sind sie zu alt für den Neuanfang und zu jung für die Rente. Ihre westdeutschen Pendants übernehmen die wichtigsten Positionen in der ostdeutschen Wirtschaft, in den neu aufgebauten Verwaltungen und auch in den ideologisch belasteten Fächern der Universitäten.

Doch auch die westdeutschen Biographien zeigen, dass das Jahr 1989 mit großen Brüchen einherging, die noch lange nicht verarbeitet sind. Die westdeutschen Linken stehen noch immer unter dem Schock der Wiedervereinigung, und für die Konservativen sind die undankbaren Ossis schlichtweg nicht zu begreifen. Zehn Jahre nach der Wende befindet sich ganz Deutschland in einer neuen Realität. Wenn es gilt, sie zu bewältigen, werden eines Tages wohl Ort und Zeitpunkt der Geburt immer weniger eine Rolle spielen.

Heiko Schwarzburger

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