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Gesundheit: Eine Flosse wäscht die andere

Zwischen den Putzerfischen und ihren Kunden haben sich ausgeklügelte Marktbeziehungen etabliert

Von Rolf Degen

Die beste Chance, dass sich Todfeinde nicht bekriegen, liegt offenbar im friedlichen Gütertausch. Dafür spricht jedenfalls die delikate Handelsbeziehung, die die Putzerfische im Korallenriff mit den häufig räuberisch veranlagten Abnehmern ihrer Dienstleistung eingehen.

Besonders im artenreichen Biotop der indopazifischen Korallenriffe suchen viele Fische regelmäßig „Putzerstationen“ auf. Dort wird ihre Haut durch den kleinen Putzerlippfisch (Labroides dimidiatus) von Parasiten und abgestorbenem Gewebe befreit. Neben dem Putzerlippfisch bieten auch manche Garnelen diesen Service an, und bei einigen Fischarten treten die Jungtiere als Putzteufel in Erscheinung.

Nicht nur friedfertige Fische nehmen den Hygienedienst in Anspruch: Auch große Räuber wie Zackenbarsche, Muränen (Bild rechts) und riesige Mantarochen klopfen bei den Putzerstationen an. Die kleinen Saubermacher checken nicht nur Haut und Flossen nach Unrat ab; obwohl sie ihren Dienst bis tief in die Mundhöhle verrichten, werden sie von den Kunden mit der großen Klappe nicht verspeist.

Das bemerkenswerte Verhältnis zwischen Putzerfischen und ihren Kunden gilt als eines der besten Beispiele für „reziproken Altruismus“ in der Natur, wie der Zoologe Redouan Bshary von der Universität Cambridge sagt. Nach dem Motto „Eine Hand wäscht die andere“ lassen sich zwei Tauschpartner gegenseitig Wohltaten zukommen. Der Raubfisch, der sich den potenziellen „Imbiss“ entgehen lässt, handelt sich dafür auf längere Sicht einen gesundheitlichen Vorteil ein, der nach einer Weile den verpassten Nährwert übersteigt. Für den Putzer selbst springen bei diesem Deal 800 bis 1000 verspeiste Parasiten am Tag heraus.

Gut gegen Stress

Auch der gesundheitliche Nutzen für die Kunden lässt sich in Zahlen fassen. In einer künstlichen Umgebung ohne Putzer weisen diese Fische bereits nach zwölf Stunden viermal so viele Parasiten wie gewöhnlich auf. Schon nach kurzer Zeit macht sich das hygienische Defizit durch Erkrankungen der Haut und der Flossen bemerkbar. Aber auch das Wohlbefinden sinkt: Bei den ungeputzten Fischen war ein deutlicher Anstieg der Stresshormone nachzuweisen. Kein Wunder, dass sich manche der studierten Fische bis zu 144-mal täglich putzen ließen.

Bis zu 2300-mal täglich werden Putzer aktiv. Dabei unterscheiden sie bedachtsam zwischen mehr oder weniger „lukrativen“ Kunden. Denn Klientel ist variabel. Sie setzt sich aus Stammkunden und Laufkundschaft zusammen. Bei Stammkunden, die in unmittelbarer Nähe der Putzerstation residieren, besitzen die Putzer eine Art „Monopol“. Die Laufkundschaft besteht dagegen aus „Herumtreibern“ (Floaters), die von Station zu Station pendeln und sich das Angebot mit der besten Putzleistung herausfischen.

Das schlägt sich im Verhalten der Putzer nieder. So wird die Laufkundschaft intensiver und länger nach Schmarotzern abgecheckt: Kunden, die zur Konkurrenz abwandern könnten, werden besser bedient. Kleinere Herumtreiber haben sogar den Vortritt gegenüber größeren Stammkunden, obwohl die Parasitenausbeute bei ihnen geringer ist. Dass Raubfische einen besonders guten Service erhalten, versteht sich von selbst.

Wie so oft im Wirtschaftsleben öffnen Handelsbeziehungen dem Versuch des Betruges Tür und Tor. Beispiel: Wenn mehrere Kunden um eine Reinigung anstehen, täuscht der Putzerfisch dem Wartenden durch wiederholte Berührungsreize am Rücken einen Putzvorgang vor, während er gleichzeitig einen anderen Fisch bedient.

Schlange stehen im Wasser

Wenn Stammkunden allerdings zu lange Schlange stehen müssen oder mitbekommen, dass sie nur schlampig gereinigt wurden, zahlen sie es dem Putzer durch aggressives Anschwimmen heim – dann wird der geneppte Kunde zur Aussöhnung besonders gründlich nach Schmarotzern durchsucht.

Gelegentlich erliegen Putzerfische auch der Versuchung und vertilgen statt Schmarotzern gesundes Gewebe oder den Schleim, der die Fischhaut wie ein schützender Film überzieht. Im Versuch des Zoologen Bshary fielen Putzer regelrecht über Kunden her, die kurzzeitig betäubt worden waren und sich daher nicht wehren konnten. Fische, die bei lebendigem Leibe angebissen wurden, reagierten meist sauer und jagten den Putzer kreuz und quer.

Um solche unangenehmen Interaktionen von vorneherein auszuschließen, ahmen viele Kunden-Fische die Putzer-Wahl anderer Fische nach: Wenn sie andere Fische beobachten, die guten Service erhalten, schließen sie sich der Wahl dieses Dienstleisters an. Freundliche Putzer können so ihre Kundschaft besser bei der Stange halten, der Aufbau einer guten Reputation wird für Putzer zum wirtschaftlichen Erfolgsprinzip.

In vielen Fällen müssen Kunden-Fische bei einem beliebten Putzer lange Schlange stehen. Selbst für Experte Bshary bleibt es ein Rätsel, wieso sie dabei diese stoische Ruhe bewahren: Von 2133 Interaktionen zwischen Kunden-Fischen wiesen nur 17 (0,8 Prozent) eine aggressive Note auf. Und dabei handelte es sich meist um territoriale Streitigkeiten – fast nie drängelte sich ein ungeduldiger Fisch in der Schlange vor.

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