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Gesundheit: Eine gelungene Talkshow ohne Prominente

Medien lieben Hitlisten und schillernde Gestalten. Als das Jahrhundert zu Ende ging, stand daher für Zeitungen und Zeitschriften in aller Welt die Wahl der Persönlichkeit des 20.

Medien lieben Hitlisten und schillernde Gestalten. Als das Jahrhundert zu Ende ging, stand daher für Zeitungen und Zeitschriften in aller Welt die Wahl der Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts an. Albert Einstein ging wohl am häufigsten als Sieger und Titelheld aus dieser Wahl hervor. Ein Physiker! Und man liegt wohl nicht ganz daneben, wenn man behauptet: Viele Menschen kennen keinen zweiten.

Eine Talkshow mit fünf Physikern ist also notgedrungen eine Talkshow ohne Prominente - auch wenn die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) zur Eröffnung des "Jahres der Physik" am Dienstagabend in der Urania in Berlin mit Alexander M. Bradshaw, Gregor Morfill, Joachim Treusch, Gisela Schütz und Horst J. Soboll wohl einige der in ihren Reihen bekanntesten Vertreter auf die Bühne schickte. Das mag an der Zurückhaltung der Wissenschaftler liegen, die manch einer als "Ethos der Bescheidenheit" durchaus für gerechtfertigt hält. Nach Ansicht von Alexander M. Bradshaw, dem Präsidenten der DPG, wird Physikern die Kunst der öffentlichen Präsentation aber auch nicht gerade in die Wiege gelegt. "Sie schaffen es oft geradezu meisterhaft, spannende Ergebnis höchst unattraktiv gegenüber der mit der Wissenschaft weniger vertrauten Öffentlichkeit darzustellen."

Die Öffentlichkeit trat an diesem Abend vor allem in Gestalt eines Schülers, eines Pfarrers, eines Schulleiters, des Chefredakteurs einer Nachrichtenagentur und in Person der Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn zu den Physikern ans Mikrofon. In den paarweisen Wortgefechten wurde vor allem deutlich, dass vielen Menschen das Verständnis der Physik als Teil der kulturellen Entwicklung auch in einem High-Tech-Land wie Deutschland schon in bedauerlich jungen Jahren abhanden kommt. Wenn Physiker heute auf dem Arbeitsmarkt gesucht sind wie nie zuvor, Doktorandenstellen an Universitäten zum Teil nur noch schwer zu besetzen sind, wenn das Durchschnittsalter der Physiklehrer an Schulen bei 52 Jahren liegt und sich immer noch nur sehr wenige Frauen für eine Physikausbildung entscheiden, so sei dies ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft etwas verpasst habe, so der Tenor der Talkrunde.

Und doch sei es schon im Kindergartenalter möglich, sich der Physik im spielerischen Umgang zu nähern, unterstrich Joachim Treusch, der als Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich diesbezüglich von sehr guten Erfahrungen etwa an den Tagen der Offenen Tür des Instituts zu berichten wusste. Und falls der Lehrer in der Schule selbst Spaß und Begeisterung vermittele, dann hätten die Schüler kaum eine Chance, sich dem zu entziehen.

Doch das ist wohl eher die Ausnahme. Physiker wie Gregor Morfill, Präsident des Rates der Deutschen Sternwarten, wurde der Spaß an der Physik in der Schule durch die zu starke und frühe Mathematisierung und Theoretisierung des Faches erst einmal gehörig ausgetrieben. Er habe sich erst nach dem Wechsel zu einer Schule in Großbritannien für die Physik begeistern können, erzählt er. "Erst dort habe ich physikalische Experimente im Unterricht kennen gelernt."

Die Klage von Peter Hartig, Sprecher der Landesschülervertretung Berlin, Physik sei in der Schule eine "hochtheoretische Angelegenheit", verwunderte denn auch niemanden. Allenfalls sein Vergleich der Physiker mit Männern, die zwar über 40 Liebespositionen kennten, aber keine einzige Frau. Dank solcher Assoziationen schien die Möglichkeit, aus der Physik eine "erotische" Wissenschaft zu machen, plötzlich wieder in weite Ferne gerückt.

Es mag in der Tat nicht leicht für Physiker sein, Gehör zu finden, wenn sie nun zu den zahlreichen Veranstaltungen im "Jahr der Physik" aus den Labors und Bibliotheken heraustreten. Allen Beteiligten ist klar, dass der gewünschte Dialog mit der Öffentlichkeit nur in einem langwierigen Prozess in Gang kommen kann, für den beide Seiten erst noch gewonnen werden müssen.

"Unser Ziel ist es, die Menschen für Wissenschaft und Forschung zu begeistern und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Chance zu geben, ihre Arbeiten vorzustellen und transparent zu machen", sagte Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn. Wissenschaft und Forschung prägten maßgeblich unsere kulturelle Identität und die wirtschaftliche Zukunft des Landes, sagte die Ministerin. "Sie dürfen nicht im Elfenbeinturm stattfinden." Gerade die jungen Wachstumsbranchen wie etwa die Informationstechnologie wären ohne physikalische Grundlagenforschung undenkbar: kein PC oder Laptop ohne Halbleitertechnologie, keine CD-Spieler ohne Lasertechnologie.

Auch Edelgard Bulmahn ist sich dessen bewusst, dass die nun gestartete, mehrjährige Initiative "Wissenschaft im Dialog", deren Anfang die Physiker machen, ein Experiment ist. "Und der Erfolg ist - wie so oft in der Wissenschaft - nicht von Anfang an sicher." Die Offenheit und der selbstkritische Blick, mit denen die Talkshow geführt wurde, dürften weiteren Diskussionsrunden der Physiker in diesem Jahr aber einigen Auftrieb geben. Selbst wenn es ihnen bei den Erzählungen über ihre Forschung noch manches Mal an treffenden Bildern und Analogien ermangeln wird, weil Atome eben doch nicht aussehen wie Kartoffeln. Bisweilen müssen die Forscher das, was Gegenstand ihrer täglichen Arbeit ist, aber einfach nur hoch genug halten. Faszinierende Aufnahmen und Instrumente präsentieren sie den vielen Besuchern der Ausstellung, der Vorträge und Gespräche in der Urania in diesen Tagen jedenfalls zur Genüge.

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