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Gesundheit: Eine Spritze fürs Gedächtnis

Impfen gegen Alzheimer – ist das möglich? Nach anfänglichen Rückschlägen gibt es nun wieder Hoffnung

Vor gut einem Jahr sah es noch nach einem völligen Aus für die Impfung gegen Alzheimer aus: Schwere Nebenwirkungen hatten zum Versuchsabbruch geführt. Jetzt wandelt sich das Bild offenbar wieder.

Die Gedächtnisleistung der ersten Alzheimer-Patienten nämlich, die einen Impfstoff gegen die Krankheit erhalten haben, hat sich binnen eines Jahres kaum verschlechtert. Dies berichteten Roger M. Nitsch und Christoph Hock von der Abteilung für Psychiatrische Forschung der Universität Zürich auf der Titisee-Konferenz des Boehringer Ingelheim Fonds – Stiftung für medizinische Grundlagenforschung.

16 Monate ist es her, dass die internationale Impfstudie, an der auch die Schweizer Patienten teilgenommen hatten, abgebrochen wurde. 15 von 375 Probanden hatten eine Hirnentzündung („Meningoencephalitis“) erlitten. Und nun das: Alle drei Patienten, die in Zürich erkrankt waren, sind nach der Behandlung mit handelsüblichen Medikamenten („Glukosteroide“) genesen, wie Experte Nitsch berichtete.

Weder in Zürich noch in den anderen europäischen und US-amerikanischen Behandlungszentren hätten die Patienten bleibende Schäden zurückbehalten, bestätigte auf der Titisee-Konferenz auch Dale Schenk, der „Erfinder“ der Alzheimer-Impfung. Insgesamt 30 Patienten im frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit waren an der Universität Zürich behandelt worden. Wie im Rahmen derartiger Versuche üblich, erhielten jedoch nicht alle Teilnehmer den echten Impfstoff. Jeder Dritte bekam stattdessen eine Scheininjektion mit einer Kochsalzlösung, ein Placebo.

Eine erste Auswertung der Daten von 28 Patienten ist am heutigen Donnerstag in der Fachzeitschrift „Neuron“ erschienen. Demnach gab es nach einem Jahr deutliche Unterschiede in der Gedächtnisleistung zwischen den beiden Patientengruppen. Bei einem Standardtest verschlechterten sich jene Versuchsteilnehmer, die lediglich eine Scheininjektion erhalten hatten, um durchschnittlich 6,3 Punkte auf der 30-teiligen Skala gegenüber nur 1,4 Punkten für den echten Impfstoff. Sämtliche Probanden waren vor der ersten von zwei Spritzen als „mild bis moderat“ erkrankt eingestuft worden.

In der einjährigen Nachbeobachtungszeit verschlechterten sich unter den tatsächlich geimpften Personen lediglich drei von 19 (16 Prozent) um eine Stufe auf „ernsthafte Demenz“. In der scheingeimpften Kontrollgruppe waren es dagegen sechs von neun Patienten (67 Prozent). Auch eine Befragung des Pflegepersonals ergab nach einem Jahr deutliche Vorteile für die geimpften Patienten. Sie waren besser in der Lage, sich zu waschen, zu kochen, zu telefonieren oder einzukaufen. „Die Stabilisierung der Gehirnleistung ist demnach auch für das Alltagsleben relevant“, bilanzieren Hock und Nitsch.

Doch sie warnen vor verfrühten Hoffnungen: Die Ergebnisse sind wegen der kleinen Zahl von Versuchsteilnehmern noch nicht besonders aussagekräftig und müssen in größeren Studien bestätigt werden.

Auch bei der irischen Firma Elan, die den Impfstoff unter dem Namen AN-1792 entwickelt hat, hält man sich zurück. Trotz des glimpflichen Ausgangs der abgebrochenen Studie sind die Nebenwirkungen zu groß, um eine Zulassung zu beantragen.

Bisher gibt es für die Behandlung beginnender und mittelschwerer Fälle von Alzheimer nur eine Medikamentenklasse, deren Wirksamkeit belegt ist. Diese „Cholinesterasehemmer“ verlängern die Lebenszeit eines Botenstoffes, der Signale zwischen den Nervenzellen überträgt. Obwohl diese Arzneien nicht an der Ursache der Alzheimerschen Krankheit angreifen, sondern lediglich die Funktion des angeschlagenen Gehirns unterstützen, können sie beispielsweise die Einweisung von Patienten in ein Pflegeheim um etwa ein Jahr verzögern. Misst man die Wirkung der am häufigsten verschriebenen Cholinesterasehemmer Donepezil (Handelsname: Aricept) und Rivastigmin (Exelon) in Gedächtnistests, so ist der Effekt ähnlich groß wie ihn Nitsch und Hock jetzt für ihre geimpften Patienten beschreiben.

Die Wissenschaftler plädieren nun dafür, vor weiteren Studien mit Menschen den Impfstoff zu verbessern. An diesem Projekt arbeiten derzeit – mehr oder weniger offen – fast alle größeren Pharmakonzerne.

Einiges deutet darauf hin, dass der Elan-Impfstoff bestimmte Immunzellen aktiviert. Diese bilden nicht nur die gewünschten Antikörper zur Beseitigung bestimmter Ablagerungen (Beta- Amyloid) im Gehirn der Alzheimer-Patienten, sondern auch zahlreiche Botenstoffe, die eine schädliche Entzündungsreaktion hervorrufen.

Deshalb arbeiten viele Wissenschaftler an einer passiven Impfung, die ohne Mitwirkung der übereifrigen Immunzellen funktionieren soll. Dazu könnte man mit Hilfe der Gentechnik die gewünschten Antikörper in Zellkulturen herstellen, aufreinigen und per Spritze verabreichen.

Eine andere Strategie sieht vor, gezielt jene Antikörperfragmente synthetisch herzustellen, welche das schädliche Beta-Amyloid aus dem Gehirn „herausfischen“ können. Wie von den auf der Titiseee-Konferenz versammelten Experten zu hören war, werden derartige Versuche am Menschen vermutlich erst in mehreren Jahren beginnen.

Michael Simm

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