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Gesundheit: „Eltern sorgen sich um das Studium ihrer Kinder“ Neuer Ansturm auf die Unis: Wie Peter Frankenberg, Wissenschaftsminister in Baden-Württemberg, die Lage meistern will

Herr Frankenberg, über die Pisakatastrophe redet ganz Deutschland. Über den bevorstehenden Studentenandrang sprechen bisher nur Eingeweihte.

Herr Frankenberg, über die Pisakatastrophe redet ganz Deutschland. Über den bevorstehenden Studentenandrang sprechen bisher nur Eingeweihte. Wie ist das zu erklären?

Das Land Baden-Württemberg hat lange vor dem Oktober, als die Kultusministerkonferenz an die Öffentlichkeit ging, die Statistiken über den bevorstehenden Studentenandrang veröffentlicht. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger hält die Bewältigung des Andrangs für das Kernthema der kommenden Jahre. Die Eltern fragen uns immer häufiger, ob ihre Kinder künftig einen Studienplatz bekommen werden.

Wie stark ist Baden-Württemberg vom Studentenberg betroffen?

Wir sind von dem Andrang stärker betroffen als die Länder im Norden oder Osten. Wir wissen, dass wir selbst in den Jahren nach 2020 mehr Studienanfänger haben werden als heute. Die notwendigen zusätzlichen Studienplätze wollen wir in Absprache mit der Wirtschaft einrichten, um nach Fächern differenziert die Studienplätze dort zu schaffen, wo vermutlich auch die besten Berufschancen in der Gesellschaft gegeben sind und wo der größte Bedarf an Absolventen zu erwarten ist. Wir wollen den Andrang als Chance begreifen, um mehr hoch qualifizierte Kräfte zu gewinnen

2010 beginnt in den meisten Bundesländern der steile Anstieg der Studienanfängerzahlen von heute 350 000 auf maximal 450 000 im Jahr 2014. Gleichzeitig sind dann fast alle Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt. Kann die Studienreform mit Bachelor und Master auch unter dem Massenansturm gelingen?

Ich glaube ja. Wenn mehr Studenten den Bachelor machen und damit rasch in den Beruf wechseln, wird das zu einer Verkürzung der Studienzeiten an den Universitäten führen. Dadurch könnte die Entwicklung der gesamten Studentenzahlen niedriger bleiben, als wenn wir nicht auf Bachelor und Master umgestellt hätten. Wir wollen auf keinen Fall die Betreuungsrelation von Wissenschaftlern zu Studenten verschlechtern, sondern eher verbessern. Dazu schlagen wir eine Doppelstrategie ein: Studiengebühren sollen dazu dienen, die Verhältnisse in der Lehre durch intensivere Betreuung zu verbessern, und das Land wird zusätzliche Studienplätze finanzieren, um der wachsenden Zahl von Studienanfängern eine gute Chance zu geben.

Bisher sind die Einnahmen aus den Studiengebühren zweckgebunden: Stellen für studentische Hilfskräfte und Tutoren sollen geschaffen werden, aber nicht Stellen für Dozenten. Da beim Bachelor-Studium in jedem Semester Prüfungen abzulegen sind, wird eine Betreuungsintensität ohnegleichen nötig. Prüfungen mit Relevanz für die Abschlussnote dürfen jedoch nicht von Tutoren, sondern nur von qualifiziertem Personal abgenommen werden, das mindestens die Promotion erreicht hat.

Die Studiengebühren sollen nicht dazu dienen, den Studentenberg zu bewältigen. Im neuen Hochschulgesetz steht, dass die Einnahmen aus Gebühren nicht auf die Kapazität angerechnet werden. Das heißt, Stellen, die durch Studiengebühren finanziert werden, führen nicht dazu, dass noch mehr Studenten aufgenommen werden. Nur so kann die Betreuung durch Gebühren verbessert werden. Deswegen kommen wir auch angesichts des neuen Studentenandrangs nicht ohne zusätzliche staatliche Leistungen aus.

Die Hochschulrektorenkonferenz hat vorgeschlagen, heute schon 8000 zusätzliche Professorenstellen durch vorgezogene Berufungen zu finanzieren, um den Studentenberg zu bewältigen. Das heißt, wenn im Jahre 2019 ein Professor ausscheidet, soll sein Nachfolger schon im Jahre 2010 berufen werden. Was halten Sie davon?

Ich halte es für vernünftig, wenn man wieder zu vorgezogenen Berufungen kommt. Wir hatten das schon mal in den 1980er Jahren mit den Fiebiger-Professoren. Das hat dazu gedient, dass jungen hoch qualifizierten Wissenschaftlern eine Chance im Land geboten wurde, so dass sie nicht abwandern mussten. Aber man kann nicht allein mit dem Instrument der vorgezogenen Berufungen arbeiten, sondern man muss auch den Bereich des Mittelbaus verstärken. Und zwar dadurch, dass wie in den angelsächsischen Ländern auch in Deutschland Lecturers und Senior Lecturers eingeführt werden. Diesem neuen Personal muss man natürlich Karrierechancen innerhalb der Hochschulen einräumen.

Sie denken also an einen Dozenten, der nur lehrt und auch die vielen Bachelor-Prüfungen abnehmen darf. Die Hochschulrektoren sehen in dem Lecturer eine Billiglösung, eine Personalkategorie allein für die Lehre sei nicht wünschenswert.

Der Lecturer ist nicht nur für die Lehre da. In angelsächsischen Ländern forscht er auch, und ihm stehen weitere akademische Karrieren zum Assistance- oder Full-Professor offen.

Sie sehen also im Lecturer das wirkungsvollste Instrument, um den Massenandrang zu bewältigen und der Bachelor-Reform zum Erfolg zu verhelfen?

Ja. Ein Lecturer könnte etwas mehr lehren als ein Professor. Außerdem wird man für eine bestimmte Summe Geldes mehr Lecturer einstellen können als Professoren.

Die Hochschulrektoren halten jedes Jahr zusätzlich 1,5 bis zwei Milliarden Euro für angemessen, um den Studentenandrang bewältigen zu können. Sind diese riesigen Beträge ohne Finanzhilfe des Bundes aufzubringen, und bietet die Föderalismusreform die rechtlichen Rahmenbedingungen, um Hochschulsonderprogramme mit Hilfe des Bundes zu ermöglichen?

In erster Linie ist die Bewältigung des Studentenandrangs Aufgabe der Länder. Wir haben in der Föderalismusreform und zuvor beim Exzellenzwettbewerb unter den Hochschulen darauf geachtet, dass die Aufgaben von Bund und Ländern getrennt sind. Dennoch können sich Bund und Länder auf gemeinsame Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der Hochschulen verständigen, und zwar genau zu der Zeit, da der zusätzliche Andrang zu verkraften ist. Allerdings trifft dieser Andrang die Bundesländer sehr unterschiedlich. Insofern muss man sich fragen, ob Länder im Osten, bei denen die Studentenzahlen ab 2007 zurückgehen, auch zu einem Programm beitragen wollen und können.

Viele Länder sind ärmer als Bayern und Baden-Württemberg und werden Bundeshilfe benötigen. Wie könnte das aussehen?

Wir könnten uns ein Beispiel an den USA nehmen. Dort läuft die Exzellenzförderung auch für die Lehre über die National Science Foundation. Abgeleitet aus diesen Erfahrungen könnte eine mit der Föderalismusreform verträgliche Lösung so aussehen: Die vorgezogenen Professuren, die der Bund über ein DFG-Programm fördert, sollten Forschungsprofessuren mit einem Lehrdeputat sein – ähnlich den Professuren, die gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft berufen werden. Hier beträgt das Lehrdeputat zwei bis vier Stunden. Die Differenz zum vollen Deputat sollten die Hochschulen beziehungsweise die Länder erbringen.

Schon im Januar wollen Bund und Länder in einer Arbeitsgruppe erste Vorschläge zur Bewältigung des Studentenandrangs diskutieren. Werden die Länder mit abgestimmten Ideen in diese Beratung gehen?

So wie sich die Länder bei dem Exzellenzwettbewerb untereinander abgestimmt haben, werden sie es auch bei der Bewältigung des Studentenbergs tun.

Die Zeit drängt, die Länder können nicht lange warten. Was passiert konkret?

Baden-Württemberg wird im Februar einen großen Kongress mit Vertretern der Wirtschaft, der Hochschulen und des Landes veranstalten. Thema ist die positive Bewältigung des Studentenandrangs. Danach werden wir das Problem mit zwölf weiteren Regionalkongressen angehen. Unsere Absicht ist es, im Herbst den Zukunftsbedarf für die akademische Ausbildung in den Regionen darzustellen und zu einem Solidarpakt mit allen Hochschulen zu kommen, um ihnen unter den neuen Bedingungen Planungssicherheit zu geben. Danach will Baden-Württemberg im Doppelhaushalt 2007/2008 entsprechende Vorsorge zur Bewältigung der zunehmenden Studierendenzahlen treffen.

Das Interview führte Uwe Schlicht.

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