zum Hauptinhalt

Gesundheit: Entwicklungsbiologie: Der Autopilot des Auges

Das Forschungsobjekt ist etwa neun Zentimeter groß und blind. Es lebt in Schwärmen und bewohnt unterirdische Höhlen.

Das Forschungsobjekt ist etwa neun Zentimeter groß und blind. Es lebt in Schwärmen und bewohnt unterirdische Höhlen. Zur Raumorientierung und Futtersuche nutzt es ausschließlich seinen Geruchs- und Tastsinn. Der unscheinbare Knochenfisch heißt Astyanax mexicanus und ist eng mit einem Star unter den Zierfischen verwandt, dem Neonfisch. Beide Fischarten gehören zur Familie der Salmler und bewohnen große Teile Südamerikas und Afrikas.

Biologen der amerikanischen Universität Maryland nutzten den kleine Höhlenfisch, um ein wenig Licht in das Dunkel der Augenentwicklung von Wirbeltieren zu bringen. "Wir haben entdeckt, dass die Linse nicht nur als Lichtkanal dient, sondern auch als Organisator des Augenwachstums", erklärt William Jeffery vom Institut für evolutionäre Entwicklungsbiologie der Universität von Maryland.

Die Fische der Art Astyanax mexicanus leben sowohl in Höhlen als auch in oberirdischen Gewässern. Ohne Tageslicht entwickelte sich im Laufe der Evolution in unterirdischen Gewässern eine eigene Population, die im Gegensatz zu ihren oberirdischen Artgenossen keine Augen hat. Die Embryonen der Höhlenfische entwickeln zwar noch die Anlagen für ein Auge: Augenbecher und die Vorläuferstrukturen von Netzhaut und Linse werden gebildet. Doch schon am zweiten Tag der Entwicklung degenerieren sie wieder. Anstelle des Auges besitzen die Fische einen Hautlappen.

William Jeffery und sein Kollege Yoshiyuki Yamamoto entfernten bei Embryonen von Höhlenfischen die Linsen aus den Augenbechern und setzten statt dessen die Linsen von Embryonen oberirdischer Fische ein. Wie die Forscher im Wissenschaftsmagazin "Science" (Band 289, Seite 631) berichten, entwickelten sich daraufhin Höhlenfische mit vollständigen Augen. Erfolgt die Transplantation in umgekehrter Richtung, entwickeln sich oberirdische Fische mit degenerierten Augen. "Mit diesem einfachen Experiment konnten wir quasi den Lauf den Evolution zurückdrehen", interpretiert Jeffrey die Ergebnisse. "Arten behalten das Potenzial, bestimmte Strukturen zu entwickeln, die sie eigentlich während der Evolution verloren haben."

Die Wissenschaftler lieferten mit ihren Transplantationsversuchen einen wichtigen Puzzlestein zum grundlegenden Verständnis von Entwicklungsvorgängen. Alle Entwicklungsbiologen beschäftigen sich prinzipiell mit der gleichen Frage: Wie entwickelt sich aus einer einzigen befruchteten Eizelle ein vollständiger Organismus mit hunderten verschiedener Arten von Zellen? Signalmoleküle übertragen Informationen von einer Zelle zur anderen und steuern so die Entwicklungsprozesse. Doch Bildung und Funktion dieser Moleküle sind bisher noch nicht im Detail verstanden.

"Wir wissen nun, dass die Linse irgendein Signal geben muss, welches die Augenbildung hervorruft", kommentiert Ralf Dahm, Linsenexperte am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, die Ergebnisse seines amerikanischen Kollegen. Und genau das will Jeffrey in weiteren Untersuchungen herausfinden. William Jeffery und Ralf Dahm sind davon überzeugt, dass die Ergebnisse auch für die menschliche Augenentwicklung gültig sind.

Manuela Röver

Zur Startseite