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Gesundheit: Epilepsie: Operation oft besser als Medikamente

Bei schweren Formen von Schläfenlappen-Epilepsie ist eine Operation der medikamentösen Dauertherapie überlegen. Das ist das Ergebnis einer kanadischen Studie, das jetzt im Medizinerblatt "New England Journal of Medicine" (Band 345, Nr.

Bei schweren Formen von Schläfenlappen-Epilepsie ist eine Operation der medikamentösen Dauertherapie überlegen. Das ist das Ergebnis einer kanadischen Studie, das jetzt im Medizinerblatt "New England Journal of Medicine" (Band 345, Nr. 5, Seiten 311 ff) nachzulesen ist. Der Neurologe Samuel Wiebe vom London Health Sciences Center der Universität von West-Ontario und seine Arbeitsgruppe haben die Behandlungsverfahren erstmals in einer kontrollierten wissenschaftlichen Studie verglichen, für die 80 Patienten nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Gruppen zugeteilt wurden.

Sie interessierten sich dabei in erster Linie dafür, wie viele Patienten beider Gruppen ein Jahr nach Beginn der Studie völlig frei von solchen Anfällen waren, bei denen die Wahrnehmung der eigenen Person und der Umgebung beeinträchtigt ist. Der Unterschied, der sich dabei zwischen den Gruppen zeigte, war beträchtlich: 23 der 36 Studienteilnehmer, denen kleine Teile des betroffenen Schläfenlappens einschließlich des Mandelkerns und eines Teils des Hippocampus entfernt worden waren, hatten im Jahr nach dem Eingriff keinen so schweren Anfall erlitten, 15 waren überhaupt frei von Anfällen geblieben.

Freiheit von Anfällen mit Bewusstseinsverlust wurde in der Medikamentengruppe dagegen nur bei acht Prozent der Epilepsiekranken erreicht. Insgesamt waren bei den Operierten die Anfälle seltener und weniger schwer. Allgemeine Begleiterscheinungen wie Depressionen kamen in beiden Gruppen etwa gleich häufig vor. Allerdings zeigten sich bei zwei Operierten leichtere Sprach- und Gedächtnisstörungen. Das ist ein Risiko, das die Mediziner angesichts des erreichten dramatischen Rückgangs der schweren Anfälle für tragbar halten, zumal auch die Lebensqualität der operierten Patienten deutlich höher war und sie sich Aufgaben in Beruf und Ausbildung deutlich besser gewachsen zeigten.

Angst vor Nachteilen in Beruf und Privatleben führt dazu, dass Epilepsie - mit fünf bis zehn Betroffenen pro 1000 Einwohner - eine häufige Krankheit ist, über die selten gesprochen wird. Obwohl die Möglichkeiten, Anfälle und Krämpfe durch die Gabe von Medikamenten einzudämmen oder in den Griff zu bekommen, sich immer weiter verbessert haben, können sie bei etwa einem Fünftel der Betroffenen nicht wirkungsvoll unter Kontrolle gehalten werden.

Eine sehr verbreitete Form des Leidens ist die in der Studie untersuchte Schläfenlappen-Epilepsie, bei der die Entladungen von einer Region ausgehen, die seitlich an der Oberfläche einer der beiden Hirnhälften liegt. Durch moderne bildgebende Verfahren und verbesserte Techniken wuchsen die Erfolge von chirurgischen Eingriffen. In 70 bis 80 Prozent der Fälle kann nach den Erfahrungen des Neurochirurgen Heinz-Wolfgang Oppel vom Epilepsiezentrum in Bethel, wo in den letzten zehn Jahren 550 Temporallappen-Operationen vorgenommen wurden, völlige Anfallsfreiheit erreicht werden.

Doch gerade diese Erfolge machten eine gründliche wissenschaftliche Studie schwierig. Die nämlich setzt den direkten Vergleich von Operation und Behandlung mit Medikamenten voraus. Wie im begleitenden Kommentar in der gleichen Ausgabe der Zeitschrift betont wird, ist ein solcher Vergleich aber ethisch problematisch: Sollte man dafür etwa Patienten, die für eine Operation in Frage kommen, weil ihnen Medikamente nur schlecht helfen, den Erfolg versprechenden Eingriff versagen?

In der kanadischen Klinik jedoch ergab sich die Möglichkeit für einen solchen direkten Vergleich aufgrund eines besonderen Umstands: Die Wartezeiten für eine Operation am Schläffenlappen betragen dort über ein Jahr. Man konnte also allen Studienteilnehmern eine Operation anbieten, musste sie nur hinsichtlich des dafür vorgesehenen Zeitpunkts in zwei Gruppen teilen. So entstand die Möglichkeit, die sofort operierten Patienten mit denjenigen zu vergleichen, die das Los für längeres Warten gezogen hatten und in der Zwischenzeit mit Medikamenten behandelt wurden.

Wolfgang Lanksch, Direktor der Klinik für Neurochirurgie an der Charité, wo in Zusammenarbeit mit dem Epilepsiezentrum Berlin-Brandenburg jährlich 40 bis 50 derartige Operationen durchgeführt werden, zeigte sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel besonders erfreut über die kanadische Studie: "Einen solchen Vergleich herzustellen, hat bisher niemand geschafft. Die Ergebnisse werden dazu beitragen, die Akzeptanz dieser besonders effektiven Methode bei Ärzten und Betroffenen zu erhöhen."

Wenn Vorbehalte gegen Epilepsie-Operationen ausgeräumt werden könnten, die zum Teil noch auf deren Missbrauch in der deutschen Vergangeheit zurückgehen, könne man Patienten helfen, bei denen die Medikamente - auch in Kombination - versagen. "Hier haben wir noch Nachholbedarf." Ein DFG-gefördertes überregionales Forschungsprojekt, das unter Beteiligung der Charité seit 1. Juli läuft, befasst sich nun auch mit Details der Operationsverfahren.

Adelheid Müller-Lissner

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