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Gesundheit: Erbgut-Tests: Versicherungsvertreter im Gen-Labor

Sollten Versicherungen Gentests verlangen oder ihre Ergebnisse erfahren dürfen? Spontan würden die meisten auf diese Doppelfrage wahrscheinlich mit einem klaren "Nein" antworten.

Sollten Versicherungen Gentests verlangen oder ihre Ergebnisse erfahren dürfen? Spontan würden die meisten auf diese Doppelfrage wahrscheinlich mit einem klaren "Nein" antworten. Bei der zweiten Veranstaltung des "Berliner Dialogs Biomedizin" der Friedrich-Ebert-Stiftung wollte man allerdings "schnelle Antworten nicht leichter machen, sondern eine sorgfältige Abwägung der Interessen und wertgebundenen Gesichtspunkte leisten". Das betonte Wolf-Michael Catenhusen, Parlamentarischer Staatssekretär im Forschungsministerium und Moderator der Veranstaltungsreihe.

Um eine Antwort trotzdem schnell vorwegzunehmen: Dass Gentests nicht zur Voraussetzung gemacht werden dürfen, wenn jemand einen Versicherungsvertrag abschließen möchte, erwies sich als allgemeiner Konsens der Experten. "Wir müssen verhindern, dass Menschen sich dem Wissen über ihre genetische Ausstattung stellen müssen, um überhaupt versichert werden zu können," so formulierte es Carola Reimann, Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages und sowohl im Gesundheits- als auch im Forschungsausschuss.

Der Mediziner Achim Regenauer, Abteilungsleiter Leben bei der Münchner Rückversicherung, bekräftigte den Standpunkt der privaten Versicherungsunternehmen: "Wir verlangen keine Durchführung von Gentests. Anders lautende Pressemeldungen sind einfach falsch." Andererseits brauche man aber in der privaten Lebens- oder Krankenversicherung, die keine Zwangsmitgliedschaft kenne und nicht auf dem Solidaritätsprinzip beruhe wie die gesetzliche Krankenversicherung, auch das "Prinzip der Waffengleichheit".

Man bestehe deshalb darauf, dass potenzielle Kunden Informationen über Risiken weiterleiten, die sie schon haben. Nur so könne man sich dagegen schützen, dass systematisch in dem Moment eine Lebensversicherung abgeschlossen wird, in dem jemand von einem höheren Risiko erfahren hat. Dieses Prinzip gilt schon lange und erstreckt sich zum Beispiel auf Blutdruck- oder Blutfettwerte.

Was ist also bei der Gendiagnostik anders? Jörg Schmidtke, Humangenetiker an der Medizinischen Hochschule in Hannover, nannte einige Besonderheiten der genetischen Information. Sie weist weit über das Individuum hinaus und betrifft ganze Familien. Deshalb beinhaltet sie immer die Gefahr kollektiver Diskriminierung. Zudem hat eine Gendiagnose heute meist noch schicksalhaften Charakter, weil es meist keine Vorbeugung und keine Behandlung gibt.

Die Entscheidung für oder gegen den Test muss der Einzelne nach guter Aufklärung durch den Humangenetiker treffen. Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass es "keine erbgesunden Menschen gibt", wie Ingo Kennerknecht, der zweite Humangenetiker auf dem Podium, ausdrücklich hervorhob. Jeder von uns trägt drei bis sieben defekte Erbanlagen in sich, die aber meist nicht in Erscheinung treten, sagte der Mediziner aus Münster. Die Entwicklung von speziellen Chips birgt die Möglichkeit zu ganzen Test-Sets. "Wir dürfen nur Chips zulassen, bei denen eine vorherige Zustimmung des Betroffenen möglich ist", forderte Schmidtke.

Wer aber sein großes Risiko kennt, im späteren Leben schwer zu erkranken, wird der nicht vom Gesunden auf einen Schlag zum "Noch-nicht-Kranken"? Das ist nach Ansicht der Humangenetiker ein grundlegendes Problem, das allerdings heute nur eine sehr kleine Gruppe von Menschen betrifft: Nur etwa drei Prozent der Bevölkerung sind von Erbkrankheiten betroffen, die auf eine Veränderung eines einzelnen Gens zurückgehen. Nur bei monogenen (durch ein Gen hervorgerufenen) Erbkrankheiten weiß man im Anschluss im Extremfall, ob man kein Risiko trägt oder ob man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erkranken wird.

Als Paradebeispiel für die Probleme der Gendiagnostik dient heute Chorea Huntington, der erbliche Veitstanz. Der Gentest kann sicher vorhersagen, ob die Krankheit im späteren Leben ausbrechen wird, und es gibt noch keine Behandlung dieses furchtbaren Leidens. In Deutschland nutzen nach Auskunft von Schmidtke etwa fünf Prozent der Menschen, die um ihr familiäres Risiko für Chorea Huntington wissen, die Tests. Ein Grund dafür kann zum Beispiel im Kinderwunsch liegen. In der Sicherheit der Vorhersage ist dieser Test allerdings die absolute Ausnahme. Und für die Risikokalkulation der Versicherungen spielt die seltene Krankheit keine Rolle. "Die Krankheiten, die die Krankenkassen heute viel Geld kosten, haben alle mehrere Ursachen", sagte Kennerknecht.

Bleibt die Frage, ob der Gesetzgeber in Sachen Gentests und Versicherungen angesichts der zu erwartenden rasanten Entwicklung für den rechtlichen Rahmen sorgen muss. Das wird sich im nächsten Jahr entscheiden. "Rechtsrahmen muss aber nicht immer gleich Gesetz heißen", sagte Staatssekretär Catenhusen.

Adelheid Müller-Lissner

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