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Gesundheit: Ernüchternde Bilanz

Fortgeschrittener Brustkrebs ist auch heute nur schwer zu behandeln. Nicht alle wollen das wahrhaben

„Bin ich dem kollektiven Wahn verfallen, der uns allen seit Jahren vorgaukelt, wir würden unseren Patienten etwas Gutes tun können?“ Der Kölner Hans Tilman Steinmetz ist nur einer von etlichen Krebsärzten, die sich jetzt im „Deutschen Ärzteblatt“ zu Wort meldeten. Sie verweisen auf Patientinnen, denen die Chemotherapie trotz fortgeschrittenem Brustkrebs wertvolle Monate schenkte, so dass sie „doch noch das Weihnachtsfest mit ihren Enkeln feiern konnten“.

Stein des Anstoßes sind die ernüchternden Ergebnisse, die Dieter Hölzel und seine Arbeitsgruppe vom Tumorzentrum München aus den Daten ihres Krebsregisters ableiten. Hat Brustkrebs schon Absiedlungen gebildet, wenn er entdeckt wird, dann sind der Frau heute im Durchschnitt nicht mehr Lebensjahre vergönnt als vor 20 Jahren, ermittelten die Epidemiologen. Sie können auf Daten zurückgreifen, die seit 1978 in dem 3,4 Millionen Menschen umfassenden Einzugsgebiet gesammelt werden.

Schon vor eineinhalb Jahren schlugen die Wogen hoch, als die Münchner ihre Daten zu verschiedenen Krebsformen erstmals veröffentlichten. „Giftkur ohne Nutzen“ titelte damals „Der Spiegel“. Krebsmediziner reagierten empört, Patienten verunsichert: Konnte es denn sein, dass die Chemotherapien überhaupt nichts brachten? Ist es sinnlos, sich von den nebenwirkungsreichen Mitteln beuteln zu lassen?

Über solche Schlussfolgerungen ist die Münchner Forschergruppe alles andere als glücklich. In seinem Beitrag für das „Deutsche Ärzteblatt“ bedauert Hölzel nun, dass „überspitzte Schlussfolgerungen zu erheblichen Verunsicherungen geführt“ hätten. Tatsächlich legen es die Daten keineswegs nahe, der „Giftkur“ pauschal den Nutzen abzusprechen.

Dass heute nicht mehr die Mehrheit der Frauen am Brustkrebs stirbt, ist im Gegenteil ganz maßgeblich der frühen Behandlung mit den Mitteln gleich nach oder sogar schon kurz vor der Entfernung des Knotens aus der Brust zuzuschreiben, von Medizinern „adjuvant“ oder „neoadjuvant“ genannt. Im besten Fall hat der Tumor dann noch nicht gestreut und noch keine Tochtergeschwülste in Knochen, Leber, Brust- oder Bauchraum, Haut oder Gehirn gebildet. Bei dem Viertel der Erkrankten, das dem Leiden auch heute erliegt, hat er es jedoch schon getan. Deshalb ist und bleibt es entscheidend, schon kleine Tumoren zu entdecken.

Die Münchner Forscher sprechen von Frauen, bei denen die Veränderung unglücklicherweise später entdeckt wurde. 7674 Fälle haben sie ausgewertet. Zwischen 1980 und 2000 kam es für die Patientinnen, die schon Tochtergeschwülste hatte, nicht zu einer statistisch aussagekräftigen Verbesserung der Lebenserwartung. Die Gesamtbilanz in der Gruppe der besonders schwer erkrankten Patientinnen ist ernüchternd: Fünf Jahre nach der Diagnose eines Tumors, der schon Metastasen gebildet hatte, lebte nur noch jede Vierte von ihnen. „An diesen Daten kann man nicht rütteln“, bestätigt der Berliner Brustkrebsspezialist Klaus-Dieter Hellriegel vom Vivantes-Klinikum Am Urban. Die Zahlen passen zudem zu denen einer großen Untersuchung aus den USA.

Vor allem zwei Gruppen von Patientinnen können Hellriegel und seine Kollegen heute besser helfen als vor 20 Jahren. Das sind erstens diejenigen, die mit dem Antikörper Herceptin behandelt werden können. Es ist zweitens die etwas größere Gruppe derjenigen Frauen, deren Krebszellen Andockstellen für das Geschlechtshormon Östrogen zeigen. Bei ihnen können inzwischen wirkungsvollere Gegenspieler des Hormons zum Einsatz kommen. Auch die Zellgifte selbst sind wirksamer und verträglicher geworden. Mehr Effizienz erhoffen sich Krebsmediziner zudem von Neuerungen der letzten Jahre. Im Schnitt geht es dabei jedoch um einen Gewinn an Lebenszeit, der sich allenfalls in Monaten ausdrücken lässt.

Adelheid Müller-Lissner

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