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Erste Hilfe: Achtung Lebensgefahr!

Würden Sie eingreifen, wenn jemand Erste Hilfe braucht? Oder haben Sie Angst, etwas falsch zu machen? Grobe Fehler lassen sich ganz einfach vermeiden. Hier ein paar Tipps.

Fast jeder hat diesen Kurs besucht. Wenigstens jeder Autofahrer. Und doch reagieren die meisten im Ernstfall so, wie es ihnen garantiert niemand beigebracht hat: rumstehen, nichts tun, Angst haben.

Die Hemmschwelle ist riesig. Und der Erste-Hilfe-Kurs meist so lange her, dass bloß noch eine vage Vorstellung davon übrig ist, was zu tun wäre. Eine noch unveröffentlichte Studie der Charité zeigt, dass im Ernstfall nur jeder Achte eine notwendige Wiederbelebung macht. Experten fordern, dass es jedem gesetzlich vorgeschrieben wird, sein Erste-Hilfe-Wissen alle drei Jahre aufzufrischen. Dabei würde man auch feststellen, dass heute viel Praktischeres gelehrt wird als noch vor zehn Jahren. Und dass man manches besser dringend bleiben lassen sollte.

ALS ERSTES DIE 112 ANRUFEN

Bevor mit der Ersten Hilfe begonnen wird, muss der Notarzt unter der Nummer 112 alarmiert werden. Dabei unbedingt sagen, wer anruft, wo der Unglücksort ist, was passiert ist und wie viele Verletzte es gibt. Und: Nicht auflegen, sondern Rückfragen abwarten.

GEFÄHRLICHE STABILE SEITENLAGE

Wenn einem etwas vom Kurs für „Lebensrettende Sofortmaßnahmen“ in Erinnerung geblieben ist, dann wohl das: Bewusstlose müssen in die stabile Seitenlage. Tatsächlich hat das Befolgen dieser Regel oft tödliche Folgen. „Denn dabei wird leicht übersehen, dass die Menschen einen Herzstillstand haben und wiederbelebt werden müssten“, sagt Jan Breckwoldt, Notfall-Mediziner der Charité. Die von ihm durchgeführte Studie zeigt, dass 30 Prozent aller Menschen mit Herzstillstand von ihrem Ersthelfer auf die Seite gerollt werden. Deshalb gilt: Nur Bewusstlose mit normaler Atmung dürfen in die Seitenlage gebracht werden.

Auch das Umdrehen wird heute anders gelehrt. Früher empfahlen die Kursleiter, dem Bewusstlosen zunächst seinen Arm unter den Körper zu klemmen. Dabei kam es in der Praxis oft zu Verletzungen, meist an den Schulter- und Ellenbogengelenken. Vor allem kostete die Prozedur wertvolle Zeit. Inzwischen hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass es nur noch auf zwei simple Regeln ankommt: Der Mund muss offen sein und den tiefsten Punkt des Körpers bilden. Der Kopf sollte leicht überstreckt werden. „Es kommt darauf an, dass der Bewusstlose nicht an seinem Erbrochenen erstickt, dass die Zunge nicht nach hinten fallen kann“, sagt Breckwoldt. Ganz wichtig: Man muss regelmäßig kontrollieren, dass der Bewusstlose noch atmet.

HAUPTSACHE DRÜCKEN

Kaum eine Erste-Hilfe-Maßnahme ist so wichtig wie die Wiederbelebung. Denn beim Herz-Kreislauf-Stillstand sinkt die Überlebenschance mit jeder Minute um 20 Prozent. Um hier die Hemmschwelle zu senken, haben Notfallmediziner radikal umgedacht und raten nur noch zur Herz-Druck-Massage – ohne die künstliche Beatmung. Denn die Vorstellung, den eigenen Mund auf Nase oder Mund eines Fremden zu pressen, hält viele davon ab, überhaupt etwas zu tun. Außerdem ist in den ersten Minuten noch genug Sauerstoff in den Lungen des Bewusstlosen. Auch die Technik der Herz-Druck-Massage wurde deutlich vereinfacht. Heute gilt: Das Pulsmessen zwischendurch ist unnötig, die Stellung der Hände egal, und auf das komplizierte Vermessen des Druckpunktes kann man getrost verzichten. Man schätzt einfach die Mitte des Brustkorbes ab und drückt kräftig zu. Etwa 100 Mal pro Minute, und zwar in einem gleichmäßigen Rhythmus.

WUNDEN RICHTIG BEHANDELN

Egal ob Splitter, Kakteenstacheln, Messer oder Metallstäbe: Fremdkörper dürfen nicht entfernt werden. Denn das Herausziehen schmerzt, kann weitere Schäden anrichten und begünstigt Infektionen. Die Aufgabe des Ersthelfers beschränkt sich auf das – möglichst keimfreie – Abdecken der Wunden, sagt Reinhard Beyer, Leiter der Berliner Ausbildungsstelle der Johanniter-Unfallhilfe. „Ist kein Verbandszeug zur Hand, muss ein sauberes Stück Stoff reichen.“ Wichtig: Es darf nicht fusseln. Tempotaschentücher sind deshalb ungeeignet. Keinesfalls darf man Tücher in Mund oder Nase stecken. Das erschwert die Atmung und kann gefährlich werden, wenn der Stoff weiter ins Körperinnere rutscht. Auch das Abbinden von starken Blutungen wird heute in Erste-Hilfe-Kursen nicht mehr empfohlen. Stattdessen bekommen Kursteilnehmer einzelne Punkte gezeigt, an denen man die Blutungen abdrücken kann.

DAS MÄRCHEN VOM GARTENSCHLAUCH

Diese Regel ist weit verbreitet: Wenn jemand eine Biene verschluckt und die ihn in den Hals sticht, muss man dem Gestochenen schnell einen Luftröhrenschnitt verpassen und einen Strohhalm, einen hohlen Kugelschreiber oder gar ein Stück Gartenschlauch in den Hals stecken – damit er weiter atmen kann. „Ein Märchen“, sagt Melitta von Jutrzenka, Ausbildungsbeauftragte beim Berliner DRK. „Ein Luftröhrenschnitt gehört keinesfalls zu den Aufgaben des Ersthelfers.“ Stattdessen sollte er den Gestochenen beruhigen und darauf achten, dass dieser eine entspannte Sitzhaltung einnimmt. Das erleichtert das Atmen. Und natürlich den Stich kühlen, damit die Schwellung nicht wächst. Am besten von außen und innen.

VERGIFTUNGEN

Im Ernstfall ist der Berliner Giftnotruf rund um die Uhr unter 030 19240 zu erreichen. Hier erfährt man, was zu tun ist. Wichtig ist meist, Wasser, Tee oder Saft in kleinen Schlucken und Mengen zu trinken. Vor allem bei Säuren- und Laugenvergiftungen sollte das so schnell wie möglich erfolgen. Milch eignet sich nicht – sie kann die Giftaufnahme durch den Darm sogar beschleunigen. Und: Nur der Arzt darf versuchen, den Betroffenen zum Erbrechen zu bringen.

HELFEN IST PFLICHT

Jeder ist gesetzlich zur Hilfe verpflichtet. Wer sich weigert, macht sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar. Umgekehrt ist man gesetzlich geschützt: Wenn in der Aufregung etwas schief geht, kann ein Laienhelfer dafür nicht strafrechtlich belangt werden. Und: Jeder Ersthelfer ist automatisch gegen Körperschäden gesetzlich versichert.

Es gibt noch einen anderen Grund, sein Wissen regelmäßig in Kursen aufzufrischen: 74 Prozent aller Notfälle passieren in der eigenen Wohnung – und in 80 Prozent der Fälle kennen die Ersthelfer das Opfer. In fast 40 Prozent ist es der eigene Partner.

ERSTE HILFE ORGANISIEREN

Wer sich trotz allem nicht durchringen kann, sollte zumindest Hilfe organisieren. Auch das kann man falsch machen. „Stehen mehrere Passanten am Unfallort herum, reicht es auf keinen Fall , allgemein in die Runde zu fragen, ob jemand helfen kann“, sagt Melitta von Jutrzenka vom DRK. Das führe gerade in einer anonymen Großstadt wie Berlin dazu, dass sich niemand zuständig fühlt. „Man muss einzelne Personen ansprechen.“ Je konkreter, desto besser. Zum Beispiel: Sie da mit der Zeitung in der Hand, können Sie bitte helfen?

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