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Gesundheit: Es geht an die Substanz

Freie und Humboldt-Universität verbünden sich gegen die Technische Universität

Der Streit zwischen den Universitäten ist nur zu verstehen, wenn man auf die Interessen blickt. Jede Universität hat bereits eine große Sparwelle hinter sich. Als Berlin in der Zeit der großen Koalition unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen die Zahl der Studienplätze von 115 000 auf 85 000 reduzierte, mussten die Universitäten ein Viertel bis zur Hälfte ihres Professorenbestandes aufgeben. Keine Universität hat nach der Strukturreform von 1997 bis 2002 noch viel Spielraum für Millioneneinsparungen. Bei jeder Universität geht es jetzt an die Substanz.

Künftig eine Uni weniger?

Dennoch ist Berlin die einzige Stadt in Deutschland, die vier Universitäten besitzt. Andere große Hochschulstädte stellen eine klassische Universität mit Geistes- und Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften und Medizin einer technischen Universität mit Ingenieur- und Naturwissenschaften gegenüber. Sollte es zu einer erneuten Sparrunde kommen, etwa wenn Berlin beim Bundesverfassungsgericht unterliegt, dann könnten auch Berliner Politiker daran denken, die Zahl der Universitäten zu reduzieren: auf eine klassische Universität, eine technische Universität und eine Universität der Künste. In diesem Fall wäre die Technische Universität auf der Erfolgsseite. Die Freie Universität und die Humboldt-Universität müssten die größten Opfer bringen.

Jede Universität ist stolz auf ihr Leitbild. Das erschwert eine pragmatische Lösung. Die Freie Universität ist durch ihre Gründungsgeschichte den Reformen und den Amerikanern verpflichtet. Die Humboldt-Universität will im Geiste von Wilhelm und Alexander von Humboldt wieder Weltgeltung erringen. Und die Technische Universität, die im Dritten Reich zur Denkfabrik für die Rüstung der Nationalsozialisten geworden war, bekennt sich zu ihrem von den Briten gegebenen Gründungsauftrag von 1946: Ingenieure dürfen nie mehr nur zu Fachidioten ausgebildet werden, sondern sollen sich der Technikfolgen bewusst werden. Seitdem gibt es Geistes- und Sozialwissenschaften an der TU.

Die Technische Universität will zurück an die Spitze der Ingenieurausbildung in Deutschland und begründet ihren Anspruch auf einen geringeren Sparbeitrag mit dem Argument der „Alleinstellung“. In 24 Diplomstudiengängen sei sie einzigartig in Berlin. Wenn sie stärker als die anderen Universitäten zur Kasse gebeten werde, dann müsse sie in ihrem Kernbereich, den Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie der Berufsschullehrerausbildung in der Technik, unverantwortliche Einschnitte vornehmen.

FU-Präsident Dieter Lenzen lässt das alles kalt. „Wenn TU-Studenten als künftige Ingenieure sich auch in Sozial- und Geisteswissenschaften ausbilden möchten, können sie das an der Freien Universität tun. Solche Service-Leistungen wären für die FU selbstverständlich.“ Auch die Ausbildung der Berufsschullehrer sieht Dieter Lenzen nicht an die TU gebunden. „Schon heute findet die kaufmännische Ausbildung der Berufsschullehrer an der Humboldt-Universität statt. Bei der Ausbildung der Berufsschullehrer in den technischen Fächern muss die Senatsschulverwaltung klären, ob sie bereit ist, solche Lehrer für den Schuldienst anzuerkennen, die ihre technische Ausbildung an einer Berliner Fachhochschule erhalten haben."

Die Humboldt-Universität ist in dem Streit auch nicht zahm. Vizepräsident Heinz-Elmar Tenorth lässt den Alleinstellungsanspruch der Technischen Universität nicht gelten: „Die TU hat die meisten Studiengänge, die sich mit Lehrangeboten der Fachhochschulen überschneiden. Wenn es um eine Verlegung von Studiengängen an die Fachhochschulen geht, ist die Technische Universität zuerst gefragt.“ Die Berufsschullehrerausbildung an die Fachhochschulen verlagern – auch in dieser Frage sind sich Humboldt-Uni und Freie Universität einig. Zur Abwehr der TU-Ansprüche hat HU-Präsident Jürgen Mlynek noch ein weiteres Argument parat: Er beruft sich auf das Ranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das der Humboldt-Universität den 9. Rang und der Freien Universität den 13. Rang unter 80 deutschen Universitäten zubilligt, während die Technische Universität auf den 20. Rangplatz zurückgefallen ist (siehe Kasten).

10 000 Studienplätze weg

Bleibt bei allem Streit das große Dilemma: Die dauerhafte Streichung von 75 Millionen in den Jahren 2006 bis 2009 führt zu schärferen Einschnitten, als das die Politiker und die Öffentlichkeit lange Zeit wahrhaben wollten: An jeder Universität werden etwa 80 Professuren gestrichen. Diese Streichung führt zur Einstellung von Studiengängen und Forschungsbereichen. Die 85 000 Studienplätze lassen sich nicht mehr halten, obwohl Klaus Wowereit und Wissenschaftssenator Thomas Flierl das Gegenteil behaupten. Die Humboldt-Universität wird 3000 Studienplätze streichen, die Freie Universität wird ebenfalls 3000 Studienplätze aufgeben, und die Technische Universität rechnet mit einem Verlust von 4000 Studienplätzen.

Und das alles in einer Zeit, da die OECD und die verantwortungsbewussten Politiker fordern: Deutschland müsse seinen Anteil an Akademikern drastisch erhöhen, wenn es international konkurrenzfähig bleiben will.

Uwe Schlicht

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