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Gesundheit: „Es gibt noch viele Missverständnisse“

Damit der Bachelor gelingt, müssen die Unis sich mehr anstrengen, sagt der Experte Peter Gaehtgens

Herr Gaehtgens, glauben Sie noch daran, dass es 2010 einen „einheitlichen europäischen Hochschulraum“ geben wird?

Nicht in dem Sinne, dass Studienstrukturen überall identisch wären – aber das ist auch nicht das Ziel des Bologna-Prozesses. Wir werden in Europa besser vergleichbare Strukturen haben, die eine wechselseitige Anerkennung von Studienleistungen und Abschlüssen erlauben. Das befördert die in der globalisierten Welt dringend nötige Mobilität von Studierenden und Absolventen und stellt das Niveau einer Hochschulausbildung in Europa insgesamt sicher.

In Deutschland sind bislang nur 12,5 Prozent aller Studierenden in Bachelor- und Masterstudiengängen eingeschrieben. Es scheint kaum möglich, die Umstellung bis 2010 abzuschließen.

Diese Zahl erklärt sich damit, dass viele der sogenannten „Massenfächer“ noch nicht umgestellt sind. Andererseits sind ja immerhin sind 48 Prozent aller Studiengänge umgestellt. Aber in der Tat liegen wir in Europa mit der Umsetzung der Bologna-Reform nicht an der Spitze. Daher sollten wir die Reform mit Nachdruck betreiben. Im Grundsatz ist sie jedoch unumkehrbar auf einem guten Weg.

Länder wie Berlin, die ihre Hochschulen verpflichtet haben, bis 2009 alles auf Bachelor und Master umzustellen, werden zu Bologna-Hochburgen, andere hinken hinterher. Müssen die Regierungen mehr Druck auf die Unis ausüben?

Nein, denn die Verantwortung für die Umstellung liegt jetzt vorwiegend bei den Hochschulen. Sie müssen verstehen, dass der Bologna-Prozess für sie eine Gestaltungschance ist, die wirklich mit Energie angegangen werden muss. Und sie müssen Missverständnisse ausräumen, die es noch in großer Zahl gibt.

Berlins Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner hat angedeutet, in Berlin ginge möglicherweise die Auslastung der Unis zurück, weil so viele Studiengänge umgestellt sind. Vermutlich fürchten Studenten, der Bachelor-Abschluss werde auf dem Arbeitsmarkt nicht angenommen. Ist es im Moment besser, Magister oder Diplom zu machen?

Wir sollten nicht spekulieren. Ein Studienbewerber sollte seine eigenen beruflichen Ziele kritisch prüfen, sich genau ansehen, was Inhalt und Ausbildungsziel der angebotenen Bachelor- oder Masterprogramme ist und dann entscheiden. Wer die Wahl hat, sollte nicht die alten Studienstrukturen wählen, die in wenigen Jahren ausgelaufen sein werden.

In Deutschland gibt es nach wie vor massive Vorbehalte: Technische Universitäten wehren sich gegen den Bachelor im Ingenieurstudium, und es gibt Geisteswissenschaftler, die den Bachelor als „akademischen Hauptschulabschluss“ sehen. Was halten Sie dem entgegen?

Hohe Abbrecherquoten und unmäßig lange Studienzeiten sind gerade in den Geisteswissenschaften dringender Anlass, etwas zu ändern. Die Idee der Bologna-Reform verlangt von den Hochschulen, dass sie bei der Studiengestaltung das Ausbildungsziel – in der Regel eine Tätigkeit auf dem außeruniversitären Arbeitsmarkt – im Auge haben. Jetzt müssen Fachbereiche ihre Ausbildungsziele definieren und die dafür erforderlich Inhalte in eine vernünftige und studierbare Struktur einbringen. Die Ingenieure fürchten, das international angesehene Diplomstudium würde durch die neue Studienstruktur entwertet, und für den Bachelor gebe es keinen Bedarf. Das sieht allerdings die Wirtschaft anders, die ihr Interesse an künftigen Bachelors deutlich bekundet hat.

Die Unis fürchten, dass sie es nicht schaffen, Schulabgänger in drei Jahren gut auszubilden. Sind einjährige Vorbereitungskurse für Technik- und Naturwissenschaften oder für fremdsprachliche Philologien, auf die Studienanfänger in der Schule nicht ausreichend vorbereitet wurden, eine Lösung?

Es kann in einigen Fächern durchaus sinnvoll sein, den Bachelor nicht auf drei Jahre zu begrenzen und im ersten Semester etwa eine intensive Sprachausbildung anzubieten. Auch ein Auslandsaufenthalt oder ein Praxissemester können im Einzelfall sinnvolle Begründungen dafür sein, über drei Jahre hinauszugehen. Das ist aber nach den Vorgaben der Kultusminister auch möglich. Die Spielräume müssen von den Hochschulen nur ausgenutzt werden. Und die Länder dürfen sie daran nicht hindern.

Bei der Berliner Bologna-Nachfolgekonferenz 2003 wurde beschlossen, auch die Doktorandenausbildung mit strukturierten Programmen zu vereinheitlichen. Professoren beklagen eine Verschulung. Müssen jetzt alle in die „Graduate School“? Oder wird es weiterhin möglich sein, im stillen Kämmerlein zu promovieren?

Die bisherigen Promotionswege bedürfen der Revision, daran kann es keinen Zweifel geben. Doktoranden promovieren ja nicht überwiegend für eine wissenschaftliche Karriere, sondern wollen sich in der Regel für den allgemeinen Arbeitsmarkt qualifizieren. Wissenschaftlich bearbeiten sie dabei aber oft nur ein thematisch sehr enges Planquadrat, so dass ihnen eine breite fachliche und überfachliche Ausbildung oft fehlt. Eine strukturierte Ausbildung, die auch allgemeine Schlüsselqualifikationen vermittelt, ist daher eine sinnvolle Ergänzung. Das findet in Graduiertenkollegs schon lange statt, und niemand beklagt sich darüber. Im Gegenteil, die Hochschulen bewerben sich im Rahmen der Exzellenzinitiative um weitere Graduiertenschulen. Zentrum der Promotion aber bleibt die Anfertigung einer originären wissenschaftlichen Forschungsarbeit.

Auch in anderen Ländern gibt es Widerstände, so hat das britische Bildungsministerium gerade empfohlen, dass britische Besonderheiten wie die neuen Fast-Track-Bachelorabschlüsse beibehalten werden sollten. Darf es Sonderwege geben?

Wo Studiengänge eingeführt werden, weil eine Hochschule damit Geld verdienen kann, sollte man genau hinschauen, ob das notwendige Qualitätsniveau erreicht wird. Ein entscheidender Inhalt von Bologna ist daher die verpflichtende Einführung von Instrumenten der Qualitätssicherung in den Hochschulen. Das ist ein Äquivalent für die von ihnen geforderte Autonomie.

Kritisiert wird auch, dass die Mobilität der Studierenden im Bologna-Prozess eher abnimmt, weil das verschulte Studium Auslandsaufenthalte erschwert.

Natürlich gibt es Übergangsprobleme. Die neuen Studiengänge sind noch nicht überall eingeführt. Wenn also jemand an einem Ort mit einem Bachelorstudium angefangen hat, kann er nicht an eine Hochschule wechseln, die das noch nicht anbietet. Insbesondere für einen Wechsel ins Ausland wäre es hilfreich, wenn die inhaltliche Struktur von Ausbildungsgängen zwischen Partnerhochschulen abgesprochen würde.

Und das soll der einheitliche Hochschulraum sein: Einzelne Hochschulen müssen Absprachen treffen, damit Studierende ein Semester bei ihnen verbringen können?

Studierende müssen wissen: Es gibt keine Automatik, an einer ausländischen Hochschule aufgenommen zu werden. Denn jede Hochschule wird neben formalen Kriterien auch Qualitätsansprüche an Bewerber stellen und deren Leistungsfähigkeit prüfen. Die völlig unterschiedlichen Studienstrukturen in Europa machten das bisher nicht gerade leicht. Vergleichbare Studienstrukturen aber, wie sie von der Bologna-Reform angestrebt werden, reduzieren die formalen Hindernisse und erleichtern die Bewertung von Studienleistungen entscheidend.

Ist der Bologna-Prozess womöglich doch noch umkehrbar?

Ich halte ihn weder für umkehrbar noch hielte ich eine Umkehr für vernünftig. Die Zustände in der Lehre sind beileibe nicht so, dass man alles beim Alten belassen könnte, und die Welt um uns herum hat sich stark gewandelt. Die Hochschulen sind daher gut beraten, von diesen Änderungen Notiz zu nehmen und diese Reform auch zu wollen und mit Nachdruck zu betreiben. Diese Einsicht hat sich glücklicherweise auch schon längst durchgesetzt.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

Peter Gaehtgens (69) ist Vorstandsmitglied der European University Association (EUA). Bis 2005 war er Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz und zuvor Präsident der FU Berlin.

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