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Gesundheit: Es heilt auch von alleine

Mittelohrentzündungen werden meist mit Antibiotika behandelt. Doch das ist selten nötig

Der fünfjährige Danny hat seit ein paar Tagen Husten und Schnupfen – nicht weiter schlimm. Aber jetzt tut ihm plötzlich das linke Ohr sehr weh, und deshalb bringt die Mutter ihn zum Hausarzt. Der Zufall will es, dass Dannys Arzt, Hans-Michael Mühlenfeld, nicht nur Facharzt für Allgemeinmedizin und Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin in Göttingen ist, sondern auch Hauptautor der ausführlichen Leitlinie „Ohrenschmerzen“, die von der „Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (Degam)“ soeben vorgelegt wurde. Leitlinien dienen als wissenschaftlich abgesicherte Entscheidungshilfen für den medizinischen Alltag.

Als Mühlenfeld die Leitlinie Ohrenschmerzen jetzt auf der Degam-Jahrestagung in Potsdam vorstellte, erwähnte er Danny als typischen Patienten: Kleine Kinder sind besonders oft von Ohrenschmerzen geplagt. Die Hauptursache für Ohrenschmerzen ist die akute Mittelohrentzündung, oft als Folge eines Luftwegsinfekts. Der Schmerz kommt plötzlich und kann sehr stark sein. Denn die Schleimhäute des Mittelohrs sind geschwollen, das Sekret kann nicht abfließen, der Druck von innen aufs Trommelfell schmerzt, es kann auch zu Hörstörungen kommen. Aber bei vier von fünf Betroffenen heilt die Mittelohrentzündung von allein, zeigten Studien. Körperliche Schonung und genügend Flüssigkeit unterstützen die Heilung.

Gegen die Schmerzen sollten die Patienten laut Leitlinie Parazetamol als Saft oder Zäpfchen bekommen oder Ibuprofen. Nach einer Doppelblindstudie mit nicht weniger als 84000 Kindern helfen beide Mittel gleich gut. Da unter Ibuprofen keine stärkeren Nebenwirkungen auftraten, ist es vielleicht vorzuziehen, weil es gleichzeitig die Entzündung hemmt.

„Und kein Antibiotikum?“ fragte Dannys Mutter den Doktor. Der erklärte ihr, warum dies nach dem aktuellen Forschungsstand in der Regel unnötig ist, und so steht es auch in der Leitlinie, von der den Hausärzten auch eine Fassung für Patienten zur Verfügung steht. Wird die Mittelohrentzündung sofort mit einem Antibiotikum behandelt, so beeinflusst dies den Schmerz bis zum nächsten Tag gar nicht, und danach klingt er ohnehin ab, sagte Mühlenfeld. Auch Fieber und Entzündung gehen kaum rascher zurück.

Nach kritischer Sichtung aller einwandfreien Studien zu diesem Thema stellte sich heraus, dass nur eins von 20 Kindern mit Mittelohrentzündung Nutzen von einem Antibiotikum hat. Jedoch leidet eins von 23 antibiotisch behandelten Kindern stark unter Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.

Auch zur Vorbeugung von sehr selten auftretenden Komplikationen scheint man die Antibiotika bisher weit überschätzt zu haben. Am meisten gefürchtet ist das Übergreifen der Entzündung auf den Warzenfortsatz des Schläfenbeins, erkennbar an einer schmerzhaften Schwellung hinter dem Ohr. Sie kam in einer Studie nur bei einem von 5400 Kindern mit Mittelohrentzündung vor, und das, obwohl es Penicillin bekommen hatte. Das überzeugte Dannys Mutter. Sie nahm aber gern das Rezept "für alle Fälle" entgegen, denn das Wochenende stand bevor. Der Hausarzt schärfte ihr ein, dem Kind das Antibiotikum nur dann zu geben, wenn sein Zustand sich nach ein bis zwei Tagen nicht gebessert haben sollte. Bedenken seiner Kollegen gegen dieses Vorgehen zerstreute Mühlenfeld: Richtig informierte Eltern entscheiden vernünftig. Nur für 36 von 150 Kindern aus einer Studie wurde das Rezept eingelöst. Was Studien ebenfalls zeigten: Ärzte verschreiben Kindern oft nur deshalb Antibiotika, weil sie vermuten, die Eltern wünschten dies. Irrtum – was sie erwarten, ist eine gründliche Untersuchung und Beratung.

Allerdings gibt es Ausnahmen. Von den Kindern, die bei Mittelohrentzündung richtig krank sind, etwa fiebern und erbrechen, nützt immerhin jedem dritten ein Antibiotikum. Säuglinge (bis sechs Monate) sollen unbedingt an den Kinderarzt überwiesen werden, sehr kranke Kleinkinder gehören in die Kinderklinik, größere Kinder, die früher einmal eine komplizierte Mittelohrentzündung hatten oder zugleich unter einer anderen Krankheit leiden, sollen an den Hals-Nasen-Ohren- oder den Kinderarzt überwiesen werden. Die Allgemeinärzte kennen also durchaus ihre Grenzen. Über eine Empfehlung der Leitlinie stritten sie heftig: Zwiebelsäckchen – deren Effekt sei zwar nicht gerade wissenschaftlich nachgewiesen, gab Mühlenfeld zu, aber sie könnten zumindest nicht schaden; anders als Antibiotika, gegen die zudem, wegen des übermäßigen Gebrauchs, schon viele Erreger resistent wurden.

Der Einsatz von Antibiotika dort, wo dies sinnvoll ist, wird auch Schwerpunkt von drei weiteren Leitlinien sein: Nasennebenhöhlenentzündung, Halsschmerzen und akuter Husten.

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