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Gesundheit: Evolution, reloaded

Lässt sich die Entwicklung von Arten vorhersagen? Ja, sagte der Zoologe Richard Dawkins in Berlin

Einmal Richard Dawkins sehen. Am vergangenen Freitag hielt er einen Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität. Minuten, nachdem die Veranstaltung angefangen hatte, strömten noch Menschen in den Saal, mussten sich am Ende sogar zu ihm aufs Podium setzen, weil sonst kein Platz mehr da war.

Dawkins?

Geboren 1941 in Nairobi. Studierte in Oxford. Promovierte bei dem Nobelpreisträger und Verhaltensforscher Niko Tinbergen. Wurde 1970 Professor für Zoologie an der Universität Oxford. Die übliche Hochschullaufbahn.

Bis er 1976 ein Buch schrieb, das ihn über Nacht weltberühmt machte: „Das egoistische Gen“.

Plötzlich sah man in der Biologie und auch sonst die Dinge anders als zuvor. Bis dahin hatte man Darwins Theorie der Evolution auf der Ebene des Individuums interpretiert: Hasen, deren Oberschenkel nicht stark genug sind, werden bald von einem schnellen Fuchs gefangen. Sie sterben aus, nur die oberschenkelstarken Hasen überleben.

Dawkins verschob den Blick vom Individuum auf das Gen. Auf lange Sicht, so sein Argument, überlebt nicht einmal der Hase mit bestmöglichen Oberschenkeln. Was überlebt, sind die Gene, die Hasen starke Oberschenkel bescheren. Das Individuum, auch das bestangepasste, ist somit nur ein „Vehikel“ für Gene. Während die einzelnen Vertreter der Art sterben, können ihre Gene, wenn sie nur effektive Vehikel bauen, fortleben. Gute Gene sind geradezu unsterblich.

In seinem Vortrag in Berlin lenkte Dawkins den Blick auf die Ebene des Individuums und stellte die Frage, ob die Evolution vorhersagbar ist: Würden nach einer weltweiten Katastrophe wieder ähnliche Arten auftauchen? Oder würden sie ganz anders aussehen? „What if evolution were re-run?“, fragte der graumelierte Professor, der in hübschestem Oxford- English spricht, ruhig, konzentriert – und äußerst klar. Schließlich ist Dawkins seit 1995 „Professor of the Public Understanding of Science“: ein Vermittler zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.

„Die Evolution ist zwar nicht im Detail vorhersagbar“, sagte Dawkins. Es würden nicht unbedingt identische Arten auftauchen. Aber ähnliche. Denn die Muster sind vorhersagbar.

Reine Spekulation? Nicht ganz. Die Natur selbst hat für Dawkins’ Hypothese die besten Belege geschaffen: Kontinente und Inseln wie etwa Madagaskar oder Australien oder Neuseeland, auf denen die Evolution getrennt vom Rest der Welt ablief. Sieht man sich dort die Lebensformen an, zeigt sich: Wo ähnliche Bedingungen herrschten, erfand die Natur oft ähnliche Lösungen. „Konvergenz“ sagen Biologen dazu.

Beispiel: Die separate Entwicklung von drei verschiedenen Maulwürfen - in Australien, Asien und Afrika. Die Tiere stammen nicht etwa voneinander ab, sie sind nicht verwandt, sondern entwickelten ähnliche Organe, weil sie auf Böden stießen, in denen es sich nur mit Hilfe einer Schaufel überleben lässt.

Am Anfang steht dabei zwar der Zufall: Eine launige Veränderung des Erbguts, eine Mutation, die zu einer Veränderung des Organismus führt. Dann aber kommt es zu einer Auswahl, und nur die Mutationen, die zu einer besseren Anpassung des Organismus an seine Umwelt führen, kommen durch. Manchmal lässt die Natur nichts anderes als die Entwicklung einer Schaufel übrig. Hin und wieder jedoch bietet sie auch Spielraum für kreative Freiheit.

Zum Beispiel in Australien, wo Kängurus die Rolle der Antilopen übernahmen. Dass Kängurus hüpfen statt rennen, ist wieder so ein zufälliger Beginn der Evolution. Er funktionierte, und die Kängurus eroberten den Kontinent. Anschließend war dann kein Platz mehr für Antilopen, die Nische war besetzt, und nun ist der Prozess nur noch schwer umzukehren: Dass die Kängurus doch noch anfangen zu rennen, ist unwahrscheinlich.

Zahlreiche weitere Beispiele listete Dawkins auf: Das Auge entstand 40mal auf unabhängige Weise, Echolot entwickelte sich sowohl bei Delphinen als auch bei Fledermäusen. „Konvergenz ist keine Ausnahme, sondern eher die Regel.“

Ja, es sei geradezu schwer, in der Natur auf eine gute Erfindung zu stoßen, die sich nur einmal entwickelt hat. Ein Beispiel dafür ist der Bombardierkäfer, ein Genie der chemischen Kriegsführung. In einer Blase enthält das Insekt die Stoffe Wasserstoffperoxid und Hydrochinon. In einer mit dieser Blase verbundenen Kammer befinden sich Katalysatoren, die die beiden Stoffe zur Explosion bringen – so bombardiert der Käfer seine Feinde.

„Kreationisten lieben den Käfer“, sagte Dawkins. Kreationisten halten nichts von einer allmählichen Entwicklung der Arten, wie sie Darwin verkündete, sondern glauben, Gott hätte die Arten geschaffen, und zwar perfekt auf einen Schlag, so, wie wir sie heute vorfinden. „Eine Zwischenstufe des Käfers würde schließlich explodieren.“ Was nicht stimmt, wie Dawkins hinzufügte, der das mal in einer BBC-Fernsehshow demonstriert hat: Er mischte die beiden Chemikalien, und nichts passierte – erst, wenn man große Mengen der Katalysatoren dazugibt, kommt es zu einer Reaktion.

Die Umwelt wirkt sich auf die Evolution eines Geschöpfs aus wie ein Gefängnis: Es kann sich nicht frei entfalten. Nach einer Katastrophe, lautete somit Dawkins’ Fazit, würden viele heutige Arten ähnlich noch einmal entstehen. Mit Augen, Beinen, Ohren.

Selbst so etwas wie der Mensch würde wohl wieder auftauchen.

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