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© Steyer

Fall in Hermsdorf: Im Bewusstsein

Zwei Menschen starben bei einer psycholytischen Therapiesitzung des Berliner Arztes Garri R. Dieser wird mit den Methoden des Schweizer Arztes Samuel Widmer in Verbindung gebracht. Was sind das für Methoden?

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Der Angehörige eines der Opfer von Hermsdorf brachte gestern – wohl eher unfreiwillig – Licht ins Dunkel. Der Arzt und Therapeut Garri R. sei ein Schüler des Schweizers Samuel Widmer, sagte er, dessen Methoden gingen auch auf die Lehren des Tschechen Stanislav Grof zurück. Der Psychotherapeut und Psychiater Grof gilt als einer der Begründer der transpersonalen Psychologie. Bei seiner Arbeit am psychiatrischen Forschungszentrum in Prag erforschte er die Wirkung psychedelischer Drogen wie LSD.

Samuel Widmer, der sich bereits für das kommende Jahr zu einem Vortrag in der Praxis von Garri R. in der Berliner Bertramstraße angekündigt hat, ist in der Schweiz kein Unbekannter. Als ein Redakteur der „Solothurner Zeitung“ am Sonntagmorgen von dem Vorfall in Berlin hörte, habe er sofort an Widmer gedacht, sagte er dem Tagesspiegel. Die Schweizer Zeitung hat oft über Widmer geschrieben, der in dem kleinen Ort Lüsslingen bei Solothurn mit zwei Frauen und etwa 80 Anhängern lebt, die er Lebensgefährten nennt.

Widmer, der auch über das Inzesttabu geforscht hat, bezeichnet sich als Spezialisten für Psycholytische Psychotherapie und besaß bis 1993 die Erlaubnis vom Eidgenössischen Bundesamt für Gesundheitswesen, mit den Substanzen MDMA und LSD psycholytische Psychotherapien durchzuführen. Seine Firma nennt er Therapeutisch-Tantrisch-Spirituelle Universität, seine Anhänger Kirschblütengemeinschaft. Nach Berichten des Schweizer Fernsehens behandelte er Patienten mit Halluzinogenen – vom „Drogentrip unter ärztlicher Leitung“ war die Rede. „Das ist lange her“, sagte er dem Tagesspiegel. „Schon seit 1993 arbeiten wir nicht mehr mit psychedelischen, sondern nur noch mit psycholytischen Substanzen, die jeder Arzt verschreiben kann. Das hat auch Garri R. ungefähr vor zehn Jahren bei uns gelernt.“

Psycholytische Therapien seien seit mindestens 20 Jahren nicht mehr wissenschaftlich anerkannt, sagt der Direktor der Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin-Mitte, Andreas Heinz: „Psychotherapie soll Menschen befähigen, selbstbestimmt zu handeln – Verabreichung von Drogen ist das Gegenteil und selbstverständlich von den Kassen nicht zugelassen.“ Ärzte wie Garri R. würden nach Ansicht von Heinz offenbar das Vertrauen, das ihm die Patienten entgegenbrächten, missbrauchen und ihre Machtstellung und Autorität ausnutzen.

Der Psychoszene-Experte der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungen (EZW) in Berlin, Michael Utsch, kritisiert, dass eindeutige Qualitäts- und Genehmigungskriterien für alternative Heilverfahren fehlten. Utsch, selbst Psychotherapeut, empfindet es als bedrückend, wie viel Scharlatane sich in diesem Bereich tummeln. „Seelenführer werden zu Gurus, die Grenzen von Sekten und Psychoangeboten verwischen, vielen angeblichen Helfern geht es eher um den eigenen Geldbeutel als um Heilung.“

Auf jeder abgepackten Wurst, auf jedem Brotbeutel müsse heute detailliert aus gesundheitlichen Gründen aufgeführt sein, welche Konservierungs- und anderen Inhaltsstoffe enthalten sind. Wenn es um die Psyche gehe, blieben die alternativen Angebote hingegen weitgehend unkontrolliert. Utsch: „Ich will doch auch nicht, das jeder Hans und Franz an meiner Seele herumbastelt.“

Als „brandgefährlich“ stuft er vor allem jene alternativen Therapieformen ein, die mit bewusstseinserweiternden Drogen oder anderen Substanzen arbeiten. Sie gehören zur großen Gruppe der sogenannten psycholytischen Therapie, was seelenöffnend bedeutet, und haben wie die meisten Hilfsangebote der Psychoszene das Ziel, die tieferen Schichten des Bewusstseins zu erreichen. Es gehe um grenzenlose Selbsterfahrung, um die Auflösung von Blockaden, um an Verdrängtes heranzukommen, sagt Utsch.

Verwendet würden LSD, euphorisierende Rauschmittel wie Amphetamine und vielfältige andere Substanzen. Historischer Bezugspunkt sind Mythen und Naturreligionen wie der Schamanismus. Auch dabei gehe es um die Öffnung der Seele – mit Drogen, durch Musik, Tanz und Spiritualität. All diese Ansätze finde man auch in der aktuellen Psychoszene. „Wer das Ziel allerdings am schnellsten erreichen will, setzt bewusstseinserweiternde Substanzen ein“, sagt Utsch. Gleichwohl seien diese drogenunterstützten Therapien auch in Berlin eher selten.

Für den Experten sind jedoch alle alternativen Versuche, das Bewusstsein grenzenlos zu öffnen und die Tiefen der Seele auszuloten, „höchst problematisch“. Seelisches Chaos könne angerichtet werden, Depressionen könnten die Folge sein. „Zumal die Frage meist offenbleibt, wie mit der plötzlichen, möglicherweise auch bedrückenden Selbsterkenntnis danach verantwortungsvoll umgegangen wird“, sagt Utsch.

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